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Moench

Israel / Palästina - Nahostkonflikt (9) -
Gaza: Genozid?

Rückblick: Analysen und Schuldfrage        Update 18.10.2025

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  • You break it, you own it.” - Israels Verantwortung in Gaza  (last update 3.9.2025) gleich anschließend
     
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  • Israel und der Nahostkonflikt seit dem 7. Oktober 2023 (Analyse)
     
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    Aktuelles neues Vorwort zu meinem Buch Israel, Palästina und wir

    (last update 15.6.2025)
     
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Der Trump-Plan für Gaza - eine Chance? ...und wofür?
sowie:
 
Zwei Jahre 7. Oktober - Der Hass kommt weiterhin auf die Straße  >>hier

 

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Spektroradiometrisches
Satellitenbild des Nahen Osten
mit den eingezeichneten Grenzen
von 1949.

Wikimedia Commons

 

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"Diesen klugen Ausführungen zu
 der komplexen Geschichte
 Palästinas und Israels
kann ich nur  viele Leser 
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Ein wichtiges Stück historische
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Prof. Dr. Lutz Raphael
Vorsitzender des Verbandes der
 Historiker und Historikerinnen Deutschlands.

Mehr zum Buch
>>hier unten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf den Seiten 1-7:
1.  Startseite: Links zu Seiten im Internet und bibliographische Hinweise zu Büchern >hier

2. Daten zur Geschichte Jerusalems, des Alten Israel und der Provinz Palästina vom Altertum zum Osmanischen Reich (bis 1914) >hier

3. Palästina vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg >hier
a) Chronologie,
b) Inhaltliche Ergänzungen: Sykes-Picot-Abkommen, Balfour-Deklaration / Britisches Mandat / 2. Weltkrieg

4. Nach dem Zweiten Weltkrieg: UN-Teilungsplan, Gründung Israels und die Folgen bis nach dem Sechstagekrieg >hier
a) Chronologie
b) Inhaltliche Ergänzungen: Unabhängigkeitskrieg / 1948/1967: Kampf um Jerusalem / Sechstagekrieg: Präventivkrieg oder Expansionskrieg?

5. Der Nahe Osten seit dem Sechstagekrieg bis zur Ermordung Rabins 1995  >hier
a) Chronologie
b) Inhaltliche Ergänzung: Situation nach dem Sechstagekrieg und Entwicklung der Siedlungsbewegung

6. Der Nahostkonflikt von der Ermordung Rabins bis zum israelischen Rückzug aus Gaza 2005 >hier

7. Der Nahostkonflikt nach dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 bis zum 7.10.2023

 

„You break it, you own it.“
Israels Verantwortung in Gaza

 

  • Krieg, Sieg… und dann?
  • “Unlawful combattants” und Relativität des Kriegsrechts
  • Eskalation der Dehumanisierung
    Neuer Zivilisationsbruch am 7.10.2023
    Degradation
  • You break it, you own it
  • Journalismus und Wahrheit
     

Im Anschluss an mein Buch (siehe oben)
S. 22ff. und 269ff..

(C) Wolfgang Geiger

Last update 3.9.2025

Text als >pdf

 

Vor dem Irak-Krieg 2003 wies US-Außenminister Colin Powell seinen Präsidenten George W. Bush darauf hin, dass es mit dem erwarteten Sieg nicht getan sei, und warnte ihn mit dem in Amerika als „Töpferladen-Regel” bekannten Spruch: „Wenn du es zerbrichst, gehört es dir.” Ursprünglicher Sinn: „…musst du es bezahlen.“ Hier bekam das „...gehört es dir” nun eine leicht andere Bedeutung: „...bist du dafür verantwortlich.” [1] Oder wie Powell später selbst sagte: „Wenn man eine Regierung stürzt, wird man die Regierung.”[2] - Für Israel und Gaza gilt genau dasselbe.
 

[1] Cf. William Safire: If You Break It..., >New York Times, 17.10.2004. - Naomi Klein: You Break It, You Pay for It, Global Policy Forum, 22.12.2004. - Pottery Barn Rule, Wikipedia

[2] David Samuels: A Conversation With Colin Powell, >The Atlantic, April 2007.

Krieg, Sieg... und dann?

Nach dem Krieg muss man auch den Frieden gewinnen, lautet ein anderes Sprichwort. Im Irak waren die USA unfähig, eine stabile Friedensordnung herbeizuführen, ihr eigenes Verhalten als Besatzungsmacht artete in das exakte Gegenteil dessen aus, was sie bringen wollten. Sie konkurrierten mit den Methoden Saddam Husseins in dessen berüchtigtstem Gefängnis, das sie nun für Gefangene der anderen Seite nutzten, die zuvor das Sagen hatte: Kriegsgefangene und andere echte oder vermeintliche Anhänger des alten Regimes, die der US-Army auf irgendeine Weise in die Hände gefallen waren. Die in Abu Ghraib von US-Soldaten verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die der Begriff Misshandlung euphemistisch und der Begriff Folter inadäquat ist, weil in vielen Fällen damit gar keine Aussagen mehr erpresst werden sollten, wurden durch Wikileaks der Weltöffentlichkeit bekannt und schädigten das Image der Vereinigten Staaten wie kein anderer Vorgang seit dem Vietnamkrieg.

Dabei gab es ja auch noch Guantanamo, wo es gegenüber Abu Ghraib offenbar noch auf einer nach unten offenen Skala der Kerker vergleichsweise „gemäßigt” zuging, wobei auch dort weder militärisches noch ziviles Recht vorwaltet, wenn auch beschränkt Rechtsanwälte für Inhaftierte Recht einklagen konnten. In einem von mehreren Präzedenzfällen ohne Folgen verurteilte der US Supreme Court die dort vorherrschende „Sondergerichtspraxis“ als unzulässig (Fall Hamdan vs. Rumsfeld). Die Gefangenen galten auch dort und gelten immer noch als „unlawful combattants”, für die damals Verteidigungsminister Rumsfeld wie auch Justizminister Gonzales die Folterpraxis des waterboarding rechtfertigten – „sogenannte ‚erweiterte Verhörmethoden‘ (ein Euphemismus, der in Orwells 1984 gepasst hätte).”[3] Und solche Gefangenenlager gab es noch mehr, wie humanitäre Organisationen nachweisen konnten, v.a. in Afghanistan.

Aus Abu Ghraib verurteilt wurde zehn Jahre später nur der Soldat, der die meisten Fotos gemacht hatte, die dann zunächst im Militär nach oben kommuniziert und dann nach außen geleakt wurden, und zwar zu einem Jahr Haft. Die Verantwortung der militärischen Vorgesetzten stand nie in Frage, so wenig wie die der politischen Führung, die sich schon dadurch mitschuldig machte, dass die nichts zur Aufklärung der Verbrechen und Bestrafung der unmittelbar und mittelbar Schuldigen beitrug, sondern dies verhinderte oder zumindest deckte, während sich die US-Regierung offiziell für Abu Ghraib „entschuldigte”.[4]  Obwohl es also fast keine Verurteilung von Schuldigen gab, wurde 20 Jahre danach immerhin einigen Opfern Entschädigungen zugesprochen. Für Taten ohne Täter.

Doch warum dieser Exkurs in den Irakkrieg?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[3] Margaret MacMillan: Krieg. Wie Konflikte die Menschheit prägten. Berlin (Propyläen) 2002, (2)2022, S. 277.

[4] Abu-Ghuraib-Folterskandal, Wikipedia. - Abu Ghraib Prison, Encyclopaedia Britannica, by Adam Volle. - Barbara Vorsamer: Chronologie des Folterskandals, SZ, 1.5.2010. - Milde Straffe für Abu-Ghraib-Folterer, >Deutschlandfunk, 19.5.2014. - Yassin Musharbash: Die Dämonen von Abu Ghraib, Die Zeit Nr. 12/2023, 19.3.2023. - US-Justiz spricht in Abu Ghraib Gefolterten Entschädigung zu, >Zeit Online, 12.11.2024. - Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base, >Wikipedia

“Unlawful combattants” und Relativität des Kriegsrechts

Mit der pseudo-juristischen Erfindung des „ungesetzlichen Kämpfers” nach dem 11.9.2001 wurde ein Präzedenzfall geschaffen. Zwar gibt es den Begriff in der Debatte nicht erst, seitdem ihn die USA im War on Terror offensiv eingebracht haben, sondern schon früher in Überlegungen zum Kriegsrecht aufgrund des Haager Abkommens und der Genfer Konventionen, wonach nämlich Zivilpersonen ihre Schutzwürdigkeit verlieren, wenn sie sich irregulär an Kampfhandlungen beteiligen.

Um als regulärer Kombattant nach dem Kriegsrecht zu gelten, muss man dieses Recht auch mit seinen Pflichten für sich selbst respektieren, wie in den Analysen auf Nahostkonflikt (8) 7.10.2023 / 13.6.2925 schon zum Thema „asymmetrischer Konflikt” [5] angesprochen. Der Terrorismus ist dabei faktisch ein völker- und kriegsrechtliches „Niemandsland”, weil noch nicht einmal eindeutig von der UNO geklärt. Christian Schaller schreibt:

    „Im Völkerrecht existiert bislang keine universelle Definition des Begriffs ‚Terrorismus’. Die zahlreichen sektorspezifischen Konventionen zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen umgehen dieses Problem, indem sie auf bestimmte kriminelle Handlungen abstellen, denen ein terroristischer Charakter beigemessen wird.” [6]

Das heißt also nicht, dass es keine Vorstellung von Terrorismus gibt, so im Entwurf einer UN-Kommission in der bislang letzten Fassung von 2000, in späteren Versionen so übernommen; darin gilt als Terrorist:

    “1. Any person commits an offence within the meaning of the present Convention if that person, by any means, unlawfully and intentionally, causes: (a) Death or serious bodily injury to any person; or (b) Serious damage to public or private property, including a place of public use, a State or government facility, a public transportation system, an infrastructure facility or to the environment [...].”[7]
     

 

 

 

 

 

[5] Siehe in der einleitenden Analyse seit dem 7.10.23, Anm. 1 und 2, und in Recht, Unrecht... Völkerrecht, Einleitung, >hier

[6] Christian Schaller: Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in: Ulrich Schneckener (Hrsg.): Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismusbekämpfung. Berlin (Stiftung Wissenschaft und Politik) 2007, S. 16.

[7] Draft comprehensive convention on international terrorism: working document / submitted by India, 2000, >UN Digital Library; der Text wurde 2010 wortgleich aktualisiert, cf. Kai Ambos / Anina Timmermann: Terrorism and customary international law, in: Ben Saul (Hrsg.): Research Handbook on International Law and Terrorism, Cheltenham (U.K.) / Northampton (Mass./USA) (Edward Elgar Publ.) second edition 2020, S. 25

Diese Definition terroristischer Akte, die im Dokument noch weitergeführt wird, ist sicher unbestritten, aber Teil eines Dokuments, das nach wie vor als Ganzes keinen Konsens gefunden und dadurch keine Geltung hat, also keine „universelle Definition“. Es ist seit Jahrzehnten nur ein Entwurf, der selbst noch Lücken enthält. Die UN-Vollversammlung müsste dann solch eine Richtlinie beschließen und jeder Mitgliedsstaat müsste sie ratifizieren, d.h. für sich selbst als rechtlich bindend anerkennen.

Auch Kai Ambos und Anina Timmermann, auf die dabei verwiesen wurde (Anm. 7), heben deutlich die Unfähigkeit zur Einigung innerhalb der UNO hervor. Ein bedeutender Streitpunkt dabei sind die sog. „Befreiungsbewegungen”, zu denen eine mächtige Lobby unter den UN-Mitgliedstaaten auch die Hamas zählt, weswegen sie nicht als Terrororganisation eingestuft wird [8].

Die „ungesetzlichen Kombattanten” – eigentlich ein Widerspruch in sich – unterliegen also nicht den kriegsrechtlichen Regeln, insofern sie sich selbst nicht daran halten. Was heißt das für ihre Bekämpfung? Die Völkerrechtler sind hierzu gespalten: Die Position der Reformer (Anpassung des Rechts an die Realität) „wendet sich gegen eine ‚asymmetrische‘ Bindung des Staates an Völkerrechtsregeln, welche die andere Konfliktpartei mit dem Terror gegen Zivilpersonen systematisch missachtet.“ Die konservative Meinung (die Realität darf das Recht nicht außer Kraft setzen) setzt dagegen, „dass sich auch der ‚Kampf gegen den Terror‘ nicht im völkerrechtsfreien Raum vollziehen dürfe […]“ [9] und dass zumindest Teile des geltenden Völkerrechts nach wie vor anzuwenden seien.
 

 

 

 

 

{8] Siehe oben in Recht, Unrecht... Völkerrecht? >Hamas

 

 

[9] Matthias Herdegen: Völkerrecht. München (Beck) 23., überarbeitete und erweiterte Aufl. 2024, S. 521, 506, Genfer Konvention Zusatzprotokoll I (1977), Art. 51,7.

Als Individuen dürfen Terroristen natürlich bekämpft und auch strafrechtlich verurteilt werden. Da Letzteres durch das grenzüberschreitende Agieren des internationalen Terrorismus nahezu unmöglich geworden ist, erfolgt eine Erweiterung der Kampfzone in Drittstaaten hinein, die die Anführer, Waffen, Nachschub am Material und Personal ganz oder auch nur zeitweilig beherbergen. Das war so für Afghanistan und Al-Qaida und wurde von der UNO anerkannt, da Al-Qaida als Terrororganisation eingestuft und deren Unterstützung völkerrechtswidrig war. Im Falle Irans und Libanons gilt dies nicht für die Hamas und die Hisbollah, die eben nicht als terroristisch klassifiziert wurden. Das kann aber der von Terroristen angegriffene Staat nicht akzeptieren und dies ist der Hintergrund des „targeted killings“ im internationalen Raum und der damit faktisch erfolgenden Ausweitung der Kampfzone auf Dritte. Im Falle des Libanon ist oder war die Hisbollah sogar ein Staat im Staat. Diese Ausweitung der Kampfzone wird aber bereits von der Terrorganisation herbeigeführt.

Deswegen folgt daraus in der Praxis eine zweite, eigenmächtige „Logik” der Terroristenbekämpfung, wonach sie als „unlawful combattants” auch „outlaws” seien, Gesetzlose, gegenüber denen gar kein Recht zu respektieren sei. Was jedoch keineswegs zutrifft und weswegen dies eine pseudo-juristische Auffassung vom „unlawful combattant” als Rechtfertigung für ungesetzliches Handeln ihm gegenüber ist und unter Umständen auch gegenüber Unbeteiligten im Kampfgeschehen. Denn selbstverständlich gelten in diesem Fall immer noch die Menschenrechte, im Falle von Gefangenschaft für sie persönlich, und im jeweiligen Kontext des „targeted killing“ – wenn man das als legitime Kampfhandlung akzeptiert – ohnehin für betroffene Dritte, Zivilisten, auch nach dem Kriegsrecht.

In jedem Fall gelten auch in asymmetrischen Konflikten und in der Terroristenbekämpfung die Grundlagen der Genfer Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung. Art. 51,3 von Zusatzprotokoll I „lässt sich als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens deuten“, sagt Michael Herdegen [10]. Darin und im folgenden Absatz 4 heißt es:

    „Zivilpersonen genießen den durch diesen Abschnitt gewährten Schutz, sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. […] Unterschiedslose Angriffe sind verboten.“ [11]
     

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[10] Herdegen, op. cit., S. 522.

 

[11] Genfer Konvention (s.o.), Zusatzprotokoll, Art. 51,3 und 4

D.h., selbst wenn der terroristische Akteur diese Regel bricht – und der Terrorismus tut dies per Definition –, entbindet dies den gegnerischen staatlichen Akteur nicht von seiner Pflicht, die Regeln des Internationalen Humanitären Rechts zu respektieren. Die unscharfe Trennung zwischen terroristischen Akteuren, Unterstützern (– und in welchem Maße?) sowie Unbeteiligten verbindet beides auf problematische und tragische Weise miteinander, weil die gewollte Unschärfe seitens der Terroristen die Trennung für die Gegenseite fast unmöglich macht – …fast: Ein Recht, deswegen darauf zu verzichten, hat sie nicht. Es gibt aber eine Relativierung.

Nicht zu vergessen ist nämlich, dass auf der Gegenseite der Missbrauch der Zivilbevölkerung als „menschliche Schutzschilde“ oder entsprechend von zivilen Gebäuden, insbesondere von Krankenhäusern usw., ebenfalls als Kriegsverbrechen gilt. Art. 51,7 besagt:

    „Die Anwesenheit oder Bewegungen der Zivilbevölkerung oder einzelner Zivilpersonen dürfen nicht dazu benutzt werden, Kriegshandlungen von bestimmten Punkten oder Gebieten fernzuhalten, insbesondere durch Versuche, militärische Ziele vor Angriffen abzuschirmen oder Kriegshandlungen zu decken, zu begünstigen oder zu behindern. Die am Konflikt beteiligten Parteien dürfen Bewegungen der Zivilbevölkerung oder einzelner Zivilpersonen nicht zu dem Zweck lenken, militärische Ziele vor Angriffen abzuschirmen oder Kriegshandlungen zu decken.“ [12]

Das Gleiche gilt für zivile Objekte in Art. 52. Herdegen präzisiert:

    „Hier schützt die für militärische Zwecke genutzte Einrichtung nicht vor militärischen Operationen des Gegners. Aber die gebotene Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung kann hier zu besonderer Zurückhaltung im Hinblick auf mögliche Kollateralschäden führen.“ [13]
     

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[12] Genfer Konvention (s.o.), Zusatzprotokoll I, Art. 51,7.

 

 

[13] Herdegen, S. 506.

Dies bedeutet, dass der Schutz von Zivilpersonen im Kriegsgeschehen relativiert wird, weil die gezielte Verletzung der genannten Richtlinien durch die militärische Nutzung ziviler Gebäude bzw. von Zivilpersonen zur Tarnung oder als „Schutzschild“ das Kriegsrecht relativiert. Mit anderen Worten: Tatsächlich erfolgt auch hier schon eine Herabstufung des humanitären Rechts in der Logik einer Eskalation: Wenn die eine Seite es verletzt, dann gilt dies auch gleichsam als „Recht“ für die andere Seite – wenn auch nicht unbeschränkt. So entscheidend wie schwierig ist die dabei geforderte Verhältnismäßigkeit, weil sie immer eine Einschätzungsfrage ist. [14]

Diesbezüglich ist jedoch darauf hinzuweisen, dass selbst die Begründung der Haftbefehle gegen Netanyahu/Gallant und die drei damaligen Hamas-Führer Haniyeh, Deif und Sinwar – also quasi vorweggenommene Anklagen – selbst asymmetrisch sind. Die israelischen Politiker wurden für Teile ihrer Kriegsführung im Gaza-Streifen angeklagt, darunter auch Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die Hamas-Führer „nur“ für Verbrechen im Zusammenhang mit dem 7. Oktober, aber nicht ebenso für den Missbrauch der Zivilbevölkerung und ziviler Einrichtungen im Gaza-Streifen [15], eben auch ein Kriegsverbrechen. So soll also die Missachtung des Internationalen Humanitären Rechts nur auf einer Seite juristisch verfolgt werden, auf der anderen nicht, und dies in Bezug auf dasselbe Recht und denselben Vorgang: Tod von Zivilisten bei Kampfhandlungen im Gaza-Streifen.

 

 

 

[14] Cf. Martin Rhonheimer: Krieg, Kollateralschäden und humanitäres Völkerrecht: Was heißt Verhältnismäßigkeit? Austrian Insitute – Economcs & Social Philosophy, >AI , 18.11.2023. Vgl. darin auch Kritik an der asymmetrischen Anklage der „Kollateralschaft“ im Gaza-Krieg.

[15] Vgl. Statement of ICC Prosecutor Karim A.A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine, 20.5.2025, International Criminal Court, >ICC; zur Rechtsgrundlage vgl. Römisches Statut des Internationalken Strafgerichtshofes, Art. 7, >Auswärtiges Amt

Eskalation der Dehumanisierung

Dass im Kriegsgeschehen unweigerlich eine moralische Verrohung des Kämpfenden stattfindet, ist so alt wie der Krieg selbst und erscheint unvermeidlich. Und dennoch oder gerade deswegen war die Einhegung des Kriegsgeschehens, also der Kampf gegen unmenschliche Kriegführung, Ursache und Antrieb für die kriegs- und völkerrechtlichen Konventionen seit dem 19. Jahrhundert.

Wenig beachtet ist in dieser Geschichte, dass der Amerikanische Bürgerkrieg hierbei eine Rolle spielt. Ein 1827 eingewanderter jüdischer Deutscher, Franz (Francis) Lieber, 1835 Professor für Geschichte in South Carolina und 1856 an der Columbia, verfasste 1862 einen Verhaltenskodex für die Unionssoldaten und bot ihm dem Oberbefehlshaber an. Im Kern ging es darum, dass die konföderierten Soldaten nicht mehr als abtrünnige Verräter, sondern als Kombattanten behandelt werden sollten.

„Das Ergebnis, von Präsident Lincoln im folgenden Jahr als Generalbefehl Nr. 100 erlassen, war ein Schlüsseldokument auf dem Weg zur Kodifizierung des modernen Kriegsrechts; vieles von dem, was seither beschlossen wurde, etwa die Genfer Konvention, beruht auf diesem sogenannten Lieber-Kodex.“ [17]
 

 

 

 

 

[17] MacMillan, op. cit., S. 256. Kap. VIII. Das Unkontrollierbare kontrollieren. – Original: Instructions for the Governement of Armies of the United States in the Field, 24 April 1863. International Humanitarian Law >Databasis. – Zum Kontext Wikipedia: >Francis Lieber / >Lieber-Code; Roman Schmidt-Radefeldt: Die Wurzeln des modernen Kriegsvölkerrechts als transatlantisches Erbe – Leben und Werk von Francis Lieber (1798-1872), in: Humanitäres Völkerrecht. Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Condlict, Vol. 22, 1/2009, S. 44- 55,> online

In diesem erstaunlichen Werk war bereits „das Pardon wird nicht gegeben“ gegenüber dem Besiegten verboten, ebenso der Einsatz von Gift zur Kriegführung. Die Südstaaten akzeptierten dieses Kriegsrecht, wenn auch widerwillig und nicht in allen Details. [18]

Denkwürdig ist dies auch insbesondere, weil sich hier zwei Kriegsgegner während der Kämpfe auf humanitäre Regeln einigten um der Entmenschlichung im Kriegsgeschehen entgegenzutreten. Heutzutage gibt es die entgegengesetzte Tendenz.

Am ehesten lassen sich solche Regeln einhalten, wenn es zu einem Konflikt auf symmetrischer Ebene kommt, Staat gegen Staat, und doch wurden sie auch da immer wieder gebrochen, v.a. in den Weltkriegen. Schon die Offizialisierung des „Vernichtungskriegs im Osten” ab 1941 offenbarte die Absicht dazu von vornherein, abgesehen davon, dass der 2. Weltkrieg ohnehin ein geächteter Angriffskrieg war.

Im asymmetrischen Konflikt ist dies aber ein gravierendes strukturelles Problem von Anfang an. Da soll ein Staat, in diesem Falle Israel, unter Wahrung des Internationalen Humanitären Rechts einen Gegner bekämpfen, die Hamas, der keinerlei Recht achtet, ja, noch nicht einmal kennt. Israel soll die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen vor den Auswirkungen der Kriegshandlungen schonen, während der Hamas die eigene Bevölkerung ganz egal ist, mehr noch: Sie benutzt sie nicht nur als „Schutzschild” – was voraussetzt, dass Israel sich dadurch von bestimmten militärischen Operationen abhalten ließe oder diese einschränken würde –, vielmehr ist ihr massenhaftes Opfer sogar strategisches Kalkül, um Israel auf die Anklagebank der Welt zu bringen. Mit Erfolg, wie man sieht.

 

[18} Cf. Jenny Gesley: The „Lieber Code“ – the First Modern Codification oft he Laws of War, Library of Congress >Blogs / In Custodia Legis – Law Librarians of Congress, 24.4.2018. Original der Erklärung der Konföderierten in: Russell A. Alger / Fred C. Ainsworth / Joseph W. Lirkley (Hrsg.): The War of the Rebellion. A Compilation oft he Official Records oft he Union and Confederate States,  Series II, Vol. VI, Washington 1899, S. 41-47. Online >Hathi Trust.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neuer Zivilisationsbruch am 7.10.2023

Die Hamas hat mit ihrem Terrorangriff und organisierten Pogrom vom 7.10.2023 einen neuen Zivilisationsbruch begangen, indem sie nicht nur gezielten Massenmord und andere damit verbundene Unmenschlichkeiten begangen hat, sondern dies dabei auch live in die Welt gestreamt hat, ohne dafür zunächst als Organisation politisch, geschweige denn völkerrechtlich verurteilt zu werden. Bislang hatten Massen- und Völkermörder ihre Verbrechen vorher vielleicht propagandistisch angekündigt, ohne dass man das ernst nahm, wie bei Hitler, oder aber nachträglich als Verteidigungs- oder Strafaktion gerechtfertigt, v.a. im kolonialistischen Kontext. Niemand hatte aber „live“ – unter Berücksichtigung der jeweiligen technischen Mittel dazu – oder in unmittelbarem Tatzusammenhang selbst seine Unmenschlichkeit ostentativ zur Schau gestellt demonstriert und sich damit gebrüstet. Allenfalls gab es Aufzeichnungen von Beteiligten oder Augenzeugen, die dann Briefe nach Hause schrieben, oder in seltenen Fällen von Dritten, Journalisten, die darüber berichteten, sofern dies möglich war. Solche Briefe von Soldaten wollte die Wehrmacht explizit unterbinden und die NS-Führung setzte alles auf die Geheimhaltung der Taten.

Terroristen einer Sondereinheit der Hamas, die den Angriff und das Pogrom vom 7.10.2023 verübten, filmten und streamten ihre Taten ins Internet in voller Überzeugung, dass die Weltöffentlichkeit sie – kollektiv gesprochen – dafür nicht zur Verantwortung ziehen würde. In Gerichtsprozessen geht es oft darum, ob ein Täter seine Tat im Unrechtsbewusstsein verübte oder nicht (wobei man sich fragen darf, was strafmildernd oder strafverschärfend gilt…), hier, so ist mein Eindruck, haben wir ein neues Phänomen, dass nämlich beides zusammenfällt. Und sie hatten Recht, dass die Welt sie nicht zur Verantwortung ziehen würde, die Hamas als Organisation, die bewaffneten Täter selbst wussten, dass sie zeitverzögert die direkte Konfrontation mit dem israelischen Militär kaum überleben würden. Die hinter ihnen offenbar nachfolgende Meute nicht-milizionärischer, aber bewaffneter Gazaouis, die sich an den jüdischen Bewohnern der Dörfer vergingen, kamen wohl größtenteils ungeschoren davon.
 

 

Anders als für die Reaktion Israels, die damit provoziert werden sollte, aber wohl doch viel weiter ging, als die Hamas einkalkuliert hatte. Das Ziel, die Hamas militärisch und als Organisation auszuschalten, damit keine, wie von etlichen Hamas-Führern angekündigt, Wiederholung des 7. Oktober mehr stattfinden könne, war berechtigt. Soweit handelte es sich um eine Verteidigung auch in die Zukunft hinein. Aber es brachte die israelische Armee in das Dilemma der Konfrontation mit der Zivilbevölkerung in Gaza, die zwischen die Fronten geriet, die es eigentlich nicht gab: Sie waren die Front.

    „Die Hamas hat mit ihrem Terror nicht nur Israel in einen Krieg gezwungen, in dem es schuldig wird. Sie orchestriert auch mit Erfolg unsere Gefühle.“ [19]

Dieser zusammenfassende Untertitel eines Artikels der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in der F.A.Z. am 3.6.2024, Text ihrer Rede vom October 7 Forum in Stockholm am 26.5.2024, bringt die Ungeheuerlichkeit des ganzen Vorgangs bis heute in nicht zu überbietender Prägnanz auf den Punkt.
 

Degradation

So zeigte sich im Kriegsverlauf, dass die anfangs durch Vorwarnungen in den Zielzonen der Luftangriffe merkliche Sorge um die Zivilbevölkerung im Laufe der Zeit gesunken ist und die Vermeidung von zivilen Opfern immer weniger wichtig und am Ende unwichtig wurde – abgesehen von großflächigen „Evakuierungs“befehlen für Zehntausende oder mehr. Die anfängliche Rücksichtnahme sank aber in Relation zu der wachsenden Dimension der Herausforderung angesichts des immer größer sich erweisenden Tunnelsystems unter weiten Teilen des Gebiets mit Verbindungen an die Oberfläche in zivile Gebäude hinein, und mit einem die Schätzungen weit übertreffenden Arsenal von Raketen und Waffen und „Kämpfern“ die irgendwo ans Tageslicht kommen konnten.
 

 

Dies erinnert etwas an den Ho-Chi-Minh-Pfad im Vietnamkrieg, wo die Entlaubung des Urwalds die feindlichen Vietcong sichtbar und angreifbar machen sollte. Im Gaza-Streifen wurden flächendeckend Häuser zerstört zum selben Zweck. Doch war bzw. ist dies hier um ein Vielfaches komplexer. Die damit verbundene zeitliche Ausdehnung des Krieges über die Ausschaltung der Raketenabschüsse hinaus und die Verzögerung des erwarteten Sieges über die Reste der Hamas verstärkten den Prozess der Enthemmung der Kriegführung, die ohnehin schon aufgrund der asymmetrischen Situation inhärent war. Die Rücksichtsmaßnahmen wurden zunehmend nur noch als Hemmnis wahrgenommen.

Hier schließt das Besondere, das Asymmetrische an Phänomene des klassischen Krieges an, in die auch Rachegefühle mit eingehen. Am Beispiel von Belagerungen schreibt Margaret MacMillan:

    „Je länger oder verlustreicher eine Belagerung ist, desto wahrscheinlicher erwartet die Bewohner ihrer Stadt ein furchtbares Schicksal, weil die angreifenden Soldaten Widerstand als Verlängerung der Härten betrachten, die sie haben aushalten müssen.“ [20]

Dies dreht sich hier in Gaza prozedural um bei gleichbleibendem Effekt: Um den verlustreichen Häuserkampf von Mann zu Mann für die israelische Armee zu vermeiden, bei dem die Hamas alle Vorteile hätte, wird so angegriffen, dass man möglich selbst aus der Schusslinie bleibt, und das heißt massiv und pauschal aus der Distanz heraus. Auch dies zeigte sich in Vietnam.
 

 

 

 

 

 

 

[20] MacMillan, op. cit., S. 229.

Dies dreht sich hier in Gaza prozedural um bei gleichbleibendem Effekt: Um den verlustreichen Häuserkampf von Mann zu Mann  für die israelische Armee zu vermeiden, bei dem die Hamas alle Vorteile hätte, wird so angegriffen, dass man möglich selbst aus der Schusslinie bleibt, und das heißt massiv und pauschal aus der Distanz heraus. Auch dies zeigte sich in Vietnam.

Allgemeiner beschreibt Karl Heinz Metz in seiner Geschichte der Gewalt dieses Phänomen, wie der Überlegene dadurch erst zum Überlegenen wird:

    »Das Geheimnis des Erfolgs im asymmetrischen Kampf für den Überlegenen besteht seit jeher darin, auf die Symmetrie-Ebene herabzusteigen, also den Partisanen wie ein Partisan zu bekämpfen, den Terroristen wie ein Terrorist.« [21]

Diese Angleichung nach unten als Voraussetzung für den viel schwerer als gedacht zu erringenden Sieg bedeutet nicht nur einen Prozess der Verrohung des einzelnen Soldaten oder der militärischen Gruppe im Einsatz, sondern auch der Enthemmung in der Befehls- und Verantwortungshierarchie. Unterschiede zwischen Hamas-Kämpfern, die immer noch die offiziellen Ziele bleiben oder als solche ausgegeben werden, aber immer weniger greifbar sind, und der Zivilbevölkerung verwischen sich nicht nur in den Kampfhandlungen, sondern auch im Bewusstsein, in einer Art Kollektivschuldzuweisung an die Gaza-Bevölkerung.
 

 

[21] Karl Heinz Metz: Geschichte der Gewalt. Darmstadt (WBG) 2010, S. 260.

Benny Morris, der Star unter den „Neuen Historikern“ Israels, hat es sich in der Vergangenheit sowohl mit nationalistischen Israelis als auch mit radikalen Palästinensern und ihren Unterstützern weltweit verscherzt, aber auch etwas mit der israelischen Linken, die in der Zeitung Haaretz noch ein Forum hat – all dies, weil er Wahrheiten ausspricht, die abwechselnd der einen und dann der anderen und manchmal der dritten Seite missfallen. So weist er den Genozidvorwurf in Gaza vehement zurück und relativiert auch die Frage der zivilen Opfer:

    „Die israelischen Luftangriffe zielen auf Hamas-Kämpfer ab. Man weiß, dass sie sich unter zivilen Einrichtungen verstecken, weshalb auch andere Menschen getötet werden – was nach internationalem Recht sogar erlaubt ist. Es stellt sich dann aber die Frage der Verhältnismäßigkeit.“ [22]

Doch auf beiden Seiten finde eine bedenkliche ideologische Konditionierung der Menschen zum Äußersten hin statt:

„Die Menschen werden darauf konditioniert, die Palästinenser als Untermenschen zu betrachten, und diese Entmenschlichung ist eine notwendige Voraussetzung für einen eventuellen Völkermord. […] Gleichzeitig spiegelt das die Konditionierung der Palästinenser gegenüber den Israelis. Die Palästinenser betrachten die Israelis inzwischen als Untermenschen oder Dämonen, eine Mischung aus Allmächtigen und Schwächlingen.“
 

[22] Benny Morris im Rahmen eines Interviews über den aktuellen Krieg gegen den Iran am 20.6.2025: „Wir sprechen über Netanjahus Obsession: das iranische Atomprojekt“ – Benny Morris im Gespräch.> F.A.Z., 20.6.2025. Vgl. auch Benny Morris: Israel Is Not Committing Genocide in Gaza. But It May Be on the Way There, >Haaretz, 30.1.2025.

Die Hungerblockade von März bis Mai war keine Erfindung antiisraelischer Propaganda. Die israelische Regierung selbst hat zwei Begründungen dafür gegeben:

Die erste war, dass Druck auf die Hamas ausgeübt werden sollte, die restlichen Geiseln freizulassen. Ein Argument der Hilflosigkeit für die Mehrheit der eigenen Bevölkerung, die die Geiseln zurück und ein Ende des Krieges will, während für die Regierung die Geiseln unwichtig sind gegenüber den strategischen Zielen, so oft genug unter Beweis gestellt. Die bisherigen Deals kamen nur zustande, weil das Kampfgeschehen dann doch wieder aufgenommen wurde und der Hamas die Teilerfolge ausreichten.

Alles ist ja mit dem Eingeständnis verbunden, dass, in Abwandlung der Redewendung, immer noch ist, was nicht sein darf: dass die Hamas weiterhin noch existiert Die Berichte des ominösen Gesundheitsministeriums zeigen es täglich. Und in gewisser Weise herrscht sie auch weiter, nur nicht mehr militärisch. Alle wissen genau, dass der Hamas die Aushungerung der eigenen Bevölkerung völlig egal ist, sie weiß auch das zu ihren Gunsten zu nutzen, denn die israelische Regierung stellt sich dadurch selbst immer mehr an den Pranger. Man musste und muss zu diesem Zeitpunkt (22.7.25) auch fragen, wie es denn den restlichen Geiseln unter der Hungerblockade erging.
 

 

Die übrig gebliebenen Hamas-„Kämpfer“ selbst leiden keinen Hunger, mit der ihnen verbliebenen Macht können sie ihre Position aus der Menge der anonymen Masse heraus immer noch aufrechterhalten, solange die Israelis am Rande stehen und keine Struktur der Notverwaltung aufbauen, die dann natürlich auch wieder angreifbar wäre. Mit den verbliebenen Handfeuerwaffen kann die Hamas die israelische Armee immer noch punktuell herausfordern, denn, was in der täglichen Berichterstattung über die toten Zivilisten vor den Hilfszentren untergeht, ist, dass immer noch auch israelische Soldaten durch Hinterhalte zu Tode kommen.

Das zweite Argument für die Hungerblockade, das dann zu der prekären Lösung für die Lebensmittelverteilung durch die neue Organisation GHF (Gaza Humanitarian Foundation) führen sollte, war, dass die Hamas unter der Ägide der UN die Lebensmittel in ihre Hand bringe, statt eine gerechte Verteilung zuzulassen, weil die UNRWA seit Jahrzehnten mit der Hamas kollaboriere. Letzteres ist eine richtige Einschätzung, aber sie berechtigt deswegen nicht dazu, alle UN-Organisationen wie z.B. die WHO [23] pauschal als mit der Hamas verbündet einzustufen, sie zu behindern oder von ihrer humanitären Arbeit auszuschließen oder sogar zu beschießen, wie es im Laufe des Krieges und bis zuletzt vorkam und was angesichts der Zahl solcher Angriffe, auch andere NGOs betreffend, nicht als eine Serie von Irrtümern gelten kann. Angesichts dieser Situation ist es aber logisch, dass sich alle diese Organisationen gegen diese israelische Politik stellen. Wer einmal neutral sein wollte, kann es nicht mehr sein.

 

 

 

 

 

 

[23] Cf. Jack Khoury, Rawan Suleiman and Reuters: „Systematic Destruction of Medical Facilities“ / WHO Condemns Israeli Attack on Its Facilities in Central Gaza, Raid on Staff Quarters, >Haaretz, 22.7.2025. – Vgl. auch den jüngsten Situationsbericht der WHO über die humanitäre Lage im Juni 2025, >WHO

You break it, you own it.

Israel setzt auf eine indirekte Kontrolle durch die Kollaboration von Einheimischen. Zum einen hat Israel eine palästinensische Clan-Miliz – manche sagen „Gangster“-Miliz – in Gaza bewaffnet, die Widerstand gegen die Hamas leistete, aber selbst alles andere als demokratisch gesonnen ist. Ihr Anführer, Abu Shabab, ein Beduinenführer und Drogenhändler aus Rafah, war in einem Hamas-Gefängnis, aus dem er unter ungeklärten Umständen irgendwann vor dem 10.6.2025 entkam, als der Guardian darüber berichtete. Ein humanitäres Hilfswerk der UN, OCHA, warf seinen Leuten und ihm persönlich vor, Lebensmittel wiederum für sich selbst abzuzweigen, und dass kriminelle Gangs dies unter den Augen Israels von Anfang an täten.[24] Eine Retourkutsche gegen das israelische Hamas-Argument.

Der ehemalige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, selbst ein Rechtsaußen der israelischen Politik, aber nicht so rechtsextrem wie die jetzigen Koalitionspartner Netanyahus – alles ist eben relativ… – und mit diesem auch inzwischen verfeindet, brachte die Sache in die Öffentlichkeit.[25] Ihm zufolge, und inzwischen ist das wohl auch überprüft, soll Abu Shabab dem IS nahestehen, was auch die Opposition zur Hamas erklären könnte, die zwar ebenfalls sunnitisch ist, aber politisch mit dem schiitischen Iran verbunden. Haaretz sieht in der Indienstnahme dieser Hilfstruppe eine Parallele zu Afghanistan,  als die USA die islamistischen Mujaheddin gegen die sowjetischen Besatzer unterstützten, aus denen dann später das Taliban-Regime hervorging und mithin die Basis für Al-Qaida.

Netanyahu bekräftigte öffentlich, dass die Abu Shabab-Miliz für Israel arbeite, sie nehme Israel die Arbeit ab und helfe somit die israelischen Soldaten zu schützen.[26] Die neu gegründete GHF für die Lebensmittelverteilung, die nach zwei Monaten Blockade angelaufen ist, unterliegt amerikanisch-israelischer Kontrolle und wird von ehemaligen US-Soldaten und Geheimdienstlern geleitet.
 

 

 

 

[24] Lorenzo Tondo: From Gaza prisoner to „the Israeli agent“: how rise of Abu Shabab could ignite new phase of war, >The Guardian, 10.6.2025.

 

[25] Israel providing weapons to Gaza group linked to ISIS, ex-minister Lieberman claims, >Jewish News (U.K.), 6.6.2025.

 

 

 

[26] Karim El-Gawhary: Gangster-Miliz von Netanjahus Gnaden, >taz, 10.6.2025.

Seither kommt es täglich zu immer mehr Toten durch Schüsse bei der Verteilung der Lebensmittel. Zeugen vor Ort beschuldigen israelische Soldaten der willkürlichen Ermordung von Menschen jedes Alters in den Warteschlangen, die Armeeführung bestreitet dies, versprach anfangs eine Untersuchung, die kaum stattfindet bzw. ergebnislos blieb. Ein Teil dieses Schusswaffengebrauchs lässt sich wohl durch das oben beschriebene Szenario erklären, dass die Hamas immer noch Soldaten angreifen kann. Auch neutrale Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen etc. – sie sind natürlich nicht mehr neutral, wie bereits erwähnt – beteuern aufgrund dessen, womit sie bei ihrer Arbeit konfrontiert sind, dass die IDF willkürlich in die Menge schieße (zahlreiche Berichte). Doch zu den Erschossenen kommen noch andere. Nach den spektakulären Hungertoten unter den Kindern am 25.7. erklärte der israelische UN-Vertreter, Israel sei dafür nicht verantwortlich. Doch – ist es: You break it, you own it. Israel ist für alles verantwortlich, was es angerichtet hat, für die Folgen seines Handelns – selbst wenn es im Einzelnen berechtigt gewesen war – sowie für die Folgen seines Nichthandelns.

Die Lebensmittelausgabe erfolgt über nur drei Ausgabestellen im Süden und eine im Norden für mehr als zwei Millionen Menschen. Die Zugänge sind kanalisiert durch Erdwälle und Zäune, die Verteilung der Pakete läuft kontrolliert unkontrolliert, d.h., wer kommt, bekommt so viel, wie er tragen kann.[27] Der Kampf um den Zugang mit gewaltsamen Konfrontationen und die ungleiche Weiterverteilung sind inhärent, es unterliegen die Schwächsten. Wer sich aus der Menschenmasse scheinbar bedrohlich den an den Seiten wachenden Milizionären oder israelischen Soldaten nähert, läuft Gefahr, erschossen zu werden, von den Milizionären oder den Soldaten. Ist damit alles erklärt? Noch nicht. Hinzu kommt noch der drastische Mangel an humanitärer Versorgung: Medikamenten, medizinische Behandlung usw. Welche Ausrede gibt es hierfür? Dass die WHO es an die Hamas weitergibt? Die israelische Regierung will es gar nicht kontrollieren, weil sie sonst diese Ausreden nicht mehr hätte. Sie begreift gar nicht, wie sie sich auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 23.7. isoliert hat wie noch nie in seiner Geschichte zuvor.

Ein weiterer drastischer Fehler der israelischen Führung war von Anfang an war, dass es ausländische Journalisten von nicht zugelassen hat. Dass die allgemeinen täglichen Berichte von vor Ort so einseitig sind, ist somit Israels eigene Schuld, denn es kommen auch alle Bild- und Filmaufnahmen von Einheimischen, die, entsprechend – und wie überhaupt? fragt man sich – ausgerüstet sind. Die ARD berichtet durch „ihr einheimisches Team vor Ort.“
 

 

 

 [27] Lea Frehse/Suha Ma’ayeh/Yassin Musharbash/Franziska Wunderlich: „Ich muss Essen mitbringen“ – Fast täglich werden bei der Verteilung von Hilfsgütern in Gaza Menschen getötet. Warum? >Die Zeit, 28/2025, 3.7.2025.

Dass sich die Weltmeinung immer mehr gegen Israel dreht, hat die Regierung somit selbst zweifach verschuldet: durch die Art ihres militärischen Vorgehens und durch das Verbot einer unabhängigen internationalen Berichterstattung. Zweifellos meinte die Regierung, damit unliebsame Reportagen verhindern und die Berichte von Einheimischen als Feindpropaganda abtun zu können. Sie erzielte damit jedoch das exakte Gegenteil des Beabsichtigten.

Dies war somit ein großer Fehler von Anfang an, weil das Presseverbot nicht nur die örtlichen palästinensischen Berichterstatter mit Handy oder besserem Equipment privilegierte, sondern auch auf der anderen Seite die israelischen Soldaten in der Illusion wiegte, die Welt bekäme nicht so viel konkret davon mit. Dies kann man jedenfalls vermuten. Angesichts der Polarisierung der Informationen auf die beiden Seiten kann man über vieles nur nach der Logik spekulieren. Einzelne kritische Zeugenberichte von Soldaten über schockierende Taten oder auch nur Einstellungen ihrer Kameraden sind verschiedentlich in die Medien gekommen, v.a. in Haaretz. Deswegen müssen sie nicht repräsentativ sein, aber auch nicht isoliert.

Seit dem Ende des Krieges im engeren Sinne der Kampfhandlungen gibt es im Ganzen – d.h. über genannte Erklärungen im Einzelnen hinaus – keinen nachvollziehbaren Grund für die täglichen Toten unter der Zivilbevölkerung und die allgemeinen humanitären Folgen für die Gesamtheit der Bevölkerung.
 

 

Israel hat nicht nur ein Ruinenfeld von ca. 75% zerstörter Gebäude hinterlassen, sondern auch bombardierte Agrarflächen, in denen sich wohl gerade keine Hamas-Einheit sichtbar präsentierte. Kommt es zu einem Prozess beim Internationalen Strafgerichtshof gegen die beiden beschuldigten Politiker und darüber hinaus auch vorhersehbar beim Internationalen Gerichtshof gegen den Staat Israel, wo eine Klage Südafrikas und anderer Staaten anhängig ist [28], dürfte solches wohl als Indiz einer geplanten Strategie gewertet werden. Nach der Blockade organisiert nun Israel indirekt, aber damit trotzdem verantwortlich, die nach wie vor unzureichende humanitäre Versorgung,

Die israelische Regierung wollte das Ende der Hamas, das hat sie nicht vollständig erreicht, trotzdem haftet sie jetzt für all das, was sie erreicht hat. Was seit dem Frühjahr passiert, sind keine Folgen des Krieges mehr. Die Führung der IDF und sicher viel mehr noch die Soldaten wollen ein Ende, die Reservisten nachhause zurückkehren, die ganze israelische Bevölkerung am liebsten Gaza vergessen, wenn denn die restlichen Geiseln nicht wären. Netanyahu hat keinen Plan für die Zukunft, das wurde in den Medien oft genug betont, seine rechtsextremen Koalitionspartner schon: Der Gaza-Streifen soll israelisch werden, Siedler sind schon in den Startlöchern und werden trotzdem Geduld haben müssen. Trumps Umsiedlungsidee, so unüberlegt und dumm wie alle anderen, hat die Extremisten Freudentänze aufführen lassen. Jetzt scheint er aber auf einen Deal, wie man heute nur noch sagt, mit der Hamas zu drängen: Waffenstillstand, möglichst dauerhaft, gegen Freilassung der Geiseln. Damit würde die Hamas wieder politisch anerkannt. Um ihr Come-back zu vermeiden, muss Israel eine humanitäre zivile Kontrolle über die Region aufbauen.
 

[28] Cf. South Africa's genocide case against Israel, >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

Was als „Plan“ jetzt im Sommer 2025 offeriert wird, ist eine „humanitäre Stadt“ ganz im Süden, auf dem Boden von Rafah, das dem Erdboden gleich gemacht wurde. Schon spricht man von einem KZ, ein Begriff, der sich freilich abgenutzt hat, weil die Situation im Gaza-Streifen vor dem 7. Oktober auch schon damit verglichen wurde (zu Unrecht).

Die laufenden, von Ägypten und vor allem Qatar vermittelten Verhandlungen mit der Hamas sollen zunächst Waffenruhe für 60 Tage und währenddessen Verhandlungen für eine endgültige Lösung beinhalten, gegen sukzessive Freilassung der restlichen Geiseln. Von der Hamas gibt es die altbekannte Forderung nach einem vollständigen Rückzug der israelischen Armee. Dem kann nicht nur nicht Netanyahu, dem kann ernsthaft niemand zustimmen, der keine Regeneration der Hamas will. Alle Toten wären noch einmal „sinnlos“ gewesen (was ihrem Tod keinen „Sinn“ als gerechtfertigte Zielsetzung geben soll).

Nein, Israel ist jetzt gefragt, nach dem Krieg den Frieden zu gewinnen. Und das heißt: Es muss ihn organisieren. „You break it, you own it“, wer eine Regierung stürzt, macht sich selbst zur Regierung. Was über die Vorstellungen der israelischen Regierung dazu bekannt ist – siehe oben – ist kein Frieden, nicht einmal ein begrenzter.

 

 

 

 

 

 

 

 

22.7.2025, leicht überarbeitet 24.7.2025

Journalismus und Wahrheit

      “Kriegsberichterstattung ist der härteste Journalismus. Man berichtet vom Tod und hat ihn dabei ständig an der Seite. Das nächste Geschoss kann einen selbst treffen  oder die Menschen, von denen man Zeugnis ablegt. Missfällt die  Berichterstattung einer Kriegspartei, kann das zum Verhängnis werden.  Wird die eigene Heimat Kriegsschauplatz, ist das Berichtsthema zugleich persönliches Trauma.”
                  Dominic Johnson: Gemeinsam eintreten für Pressefreiheit in Gaza,
                  taz vom 1.9.2025, S. 1.

Die israelische Regierung bzw. ausführend das israelische Militär haben im aktuellen Gaza-Krieg von Anfang an ausländischen Journalisten den Zugang in den Gaza-Streifen verweigert, ganz offensichtlich, weil dabei “Feindberichterstattung” befürchtet wurde. Trotzdem gibt es Reportagen aus dem Kampfgebiet, weil ausländische Medien mit Menschen vor Ort zusammenarbeiten. teils professionellen, teils neu angeworbenen Reportern und diese für ihre Auftraggeber in Bild und Ton berichten und dafür ihr technisches Equipment bekommen haben (wie?) oder schon hatten und offenbar auch immer wieder an Strom kommen um die Geräte aufzuladen. Reporter vor Ort können folglich aber nur Einheimische sein. Diese Reporter aus Gaza berichten also genau das und genau so, wie Israel es verhindern wollte. Hätte es Journalisten von außen zugelassen, wären die Reportagen sicherlich inhaltlich breiter gefächert geworden. Israel hat sich damit also massiv selbst geschadet. Hinzu kommt der “Weltrekord” von ca. 200 getöteten Journalisten innerhalb dieses ganzen Dramas. [29]

Einseitige Berichterstattung bedeutet noch nicht verfälschende Berichte, sondern aus einer bestimmten Perspektive heraus. Dass das Kriegsgeschehen zwangsläufig nicht aus israelfreundlicher Perspektive erfolgt, ist logisch, das bedeutet aber noch nicht, dass propagandistisch manipuliert wird. Und das ist auch gar nicht notwendig: Die Bilder, die wir täglich sehen, sprechen für sich und brauchen gar keine journalistische Bewertung. Dass es keine anderen gibt und auch keine anderen Berichte - außer anonymisierten Interviews unter der Hand von Soldaten, wie es der israelischen Zeitung Haaretz ab und zu gelingt - liegt am Verbot durch Israel selbst.
 

Ergänzung 2.9.2025

 

 

 

online >taz

 

 

 

 

 

 

 

[29] Cf. Daniel Bax / Felix Wellisch: Friedhof der Pressefreiheit. Journalismus im Gazastreifen, >taz, 1.9.2025. - Zum Aktionstag von Reporter ohne Grenzen, vgl. (frz.) >Reporters sans fronti│res

 

 

 

 

“Es gibt keinen Journalismus in Gaza. Es gibt nur die Hamas und ihre Propaganda [...], nur Akteure der Hamas, die sich als Reporter ausgeben. [...] Hamas toleriert keine unabhängige Berichterstattung. Jeder weiß es. Die einzige Frage ist, warum westliche Medien etwas anderes propagieren.” [30]

Wer sich so wie hier der Kolumnist der Jerusalem Post in einen mentalen Safe Room begibt (- Die ganze Welt lügt und ist gegen mich... -) wird freilich nicht mehr erkennen können, weil gar nicht wollen, dass dies so ist, weil eben diese westlichen Medien - die anderen sind eh schon Feindpropaganda - von Israel ausgeschlossen wurden. Stellt er sich ernsthaft vor, dass die westlichen Medien die israelische Regierungspropaganda als die Wahrheit annehmen sollen? Sicher glaubt er das nicht, vielmehr ist diese (Selbst-)Isolation die ideologische Bestätigung, dass diese und nicht nur seine Ansicht die Wahrheit selbst ist. Der Autor ist Rabbiner und Executive Director von Israel365action. Diese Organisation steht für “ein kompromissloses Bekenntnis zur Wahrheit”, für ein “voll souveränes Israel” gegen “die Einschüchterung durch internationalen Druck” und “kompromisslos für das von Gott dem Jüdischen Volk gegebene Recht auf das ganze Land Israel. Wir werden niemals Judäa und Samaria - das biblische Herzland des Jüdischen Volkes - aufgeben.” [31]

Der Text des Artikels ist aber auch ein ungewolltes Bekenntnis des Versagens. Er zeigt, ebenfalls erschreckend, dass die IDF trotz einer Strategie des levelling (dem Erdboden gleich machen) in Khan Yunis, das zusammen mit Rafah als letzter Rückzugsort der verbliebenen Hamas-Führung galt, die Lage nicht unter Kontrolle hat, sondern die Hamas immer noch aktiv ist und das, was es noch übrig geblieben ist, beherrscht. Unabhängig davon zeigt sich die Absurdität der ganzen Lage ja auch darin, dass das “Gesundheitsministerium” der Hamas von Gaza City aus immer noch tägliche Opferzahlen meldet, die durch die Weltmedien gehen.

Der Artikel in der Jerusalem Post wurde aus Anlass des Angriffs auf das Hospital von Khan Yunis am 25.8.2025 geschrieben und zeigt das Foto eines solchen vielleicht zur Recht verdächtigten Hamas-Journalisten unter jenen, die dabei getötet wurden. Kommen wir darauf zu sprechen.
 

[30] Pesach Wolicki: Gaza’s ‘journalists’ are Hamas operatives, not press heroes - opinion, >The Jerusalem Post, 30.8.2025. - Zum Autor siehe >Wikipedia

 

 

 


 

[31] Fight for Israel without compromise,>Israel365action

 

 

 

 

 

Der Vorgang und der ganze Kontext des Angriffs auf das Nasser-Krankenhaus in Khan Yunis am 25.8.2025 mit 22 Toten, darunter 5 Journalisten und nach israelischen Angaben 6 Terroristen, zeigt wie ein Mikrokosmos die Problematik und Tragik des Ganzen.  Angesichts der internationalen Empörung bedauerte Netanayahu den Angriff überraschend als ein “tragisches Missgeschick” (“tragic mishap”) und beteuerte seine “Wertschätzung von Journalisten, Ärzten und Zivilisten”, während die IDF die Identität mit Namen, Pseudonymen und Fotos von sechs Getöteten veröffentlichte, die als Terroristen bekannt und gesucht waren, darunter einer, die am Massaker vom 7.10.2023 teilgenommen haben soll. Die anderen fünf seien “nur” Hamas-Mitglieder gewesen [32]. Hinzu kommt aber noch, dass einer der Journalisten, Mohammed Salama, der für Al-Jazeera berichtete, ein engerer Freund von Yahya Sinwar gewesen sei, wie ein Foto nahelegt, das auch im deutschen Fernsehen kam. Sie waren das Ziel des Angriffs.  Der Militärsprecher erklärte, die Hamas nutze das Krankenhaus als Basis und habe von dort aus auch schon Aktionen unternommen [33].

Dass sich Journalisten und Hamas-Leute im Krankenhaus aufhielten, ist nicht verwunderlich, weil es eines der wenigen Gebäude ist, die im Zentrum von Khan Yunis noch einigermaßen unbeschädigt sind, wie Satellitenfotos von der Stadt auf Haaretz eindrücklich zeigen [34]. Dass der Angriff prioritär den Journalisten oder dem einen, Salama, galt, zeigt der rekonstruierte und weitgehend offiziell bestätigte, nur anders interpretierte, Ablauf des Angriffs. Oben vom Balkon im 4. Stock des Freiluft-Treppenhauses [cf. 32] an der Außenfassade des Krankenhauses aus machten die Journalisten Fotos und auch Filmaufnahmen. Eine Kamera war wohl vielleicht installiert oder jedenfalls dauerhaft aufgestellt. “Die Nachrichtenagentur Reuters hatte seit Wochen Live-Bilder von dem entsprechenden Standort aus übertragen.” [35]. Die IDF sah darin eine Ausspionierung ihrer Operationen für die Hamas. - Welche Operationen, welche Hamas, wenn alles schon im wahrsten Sinne des Wortes platt gemacht (“levelled”) war?
 

 

 

[32] AP journalist’s final pics show spot where she was killed by IDF at Nasser Hospital, >The Times of Israel, 28.8.2025.

[32] William Christon / Malak A. Tantesh (in Gaza): Israel bombed Gaza hospital a second time, killing rescuers, say health officials, >The Guardian
, 25.8.2025
. - Mit Video von unmittelbar nach dem 2. Einschlag.

[33] Vgl. die zum ganzen Vorfall sehr ausführliche Darstellung auf >Wikipedia.
 

[34] Israel’s Destruction of Gaza: Almost Nothing Is Left of Khan Yunis, Satellite Photo Show, >Haaretz, 23.7.2025

[35] Linda Dayan: ‘Mishap’ or Policy: Inside the IDF’s ‘Double Tap’ Strike on Gaza’s Nasser Hospital in Khan Yunis, >Haaretz,
31.8.2025. - Nach einer Analyse des Vorgangs durch die BBC

Tatsächlich war (und ist?) Khan Yunis nur an der Oberfläche “gesäubert” und vielleicht ist die radikale Tabula rasa nur die ultimative Methode, an die unterirdischen Tunnel heranzukommen, so wie die US-Army im Vietnamkrieg den Urwald entlaubte um darunter die Nachschubwege und die Truppenbewegungen des Vietcong freizulegen. Trotz Tunneldetektoren gab es dennoch unentdeckte Tunnel, aus denen Hamas-Leute an die Oberfläche kamen, und zwar noch wenige Tage vor dem Angriff auf das Hospital, der somit in einer entsprechend gereizten Atmosphäre stattfand.

Die fixierte Kamera am Balkon des Krankenhauses sollte zunächst mit einer kleinen Drohne zertört werden, was aber schiefging. Tage später wurde ein Panzer dorthin beordert, hieß es. Es fanden aber offenbar zwei parallele Schüsse auf den Balkon statt, folglich koordiniert von zwei Panzern aus. Als Rettungskräfte den Opfern zu Hilfe kamen, gab es 15 Min. später zwei weitere parallele Schüsse auf dasselbe Ziel und töteten Ärzte und andere Helfer sowie weitere Personen im Inneren.

Darunter auch die Journalistin Maryam Dagga (Daqqa, 33 Jahre), die für den Independent Arabia (en Ableger des britischen Idependent) schrieb und vor allem für Associated Press berichtete. Sie war in unmittelbarer Nähe des Hospitals einquartiert, machte ein Foto vom ersten Einschuss und ging sofort hinüber und hoch zum Ort des Einschlags und wurde dann durch den zweiten Beschuss getötet. Zuvor hatte sie über die Behandlung unterernährter Kinder im Hospital von Khan Yunis berichtet. {36]
 

 

 

 

[36] Klinik: Fünf Journalisten unter 19 Toten bei Angriff Israels, >DPA/SZ, 25.8.2025, /
Maham Javaid: See photos by Palestinian photojournalist Marian Dagga, killed on the job, >Washington Post,  /
Israelische Armee tötet sechs weitere Journalisten, >Reporter ohne Grenzen, 26.8.2025. /
 Maryam Abu Daqqa, >Wikipedia

Die Bilder der verhungernden Kinder, die seit vielen Wochen durch die Medien gehen, wurden von israelischer Seite als “konstruiert” abgetan, weil es sich “einfach nur” um kranke Kinder handele, nicht um Opfer einer Aushungerungsstrategie. - Natürlich waren dies schon vermutlich durch Krankheit geschwächte Kinder, wenn man daneben Erwachsene sieht, die noch “normal” aussehen, obwohl es inzwischen auch Bilder von unterernährten Erwachsenen gibt (nicht nur die gefangenen israelischen Geiseln). Doch auch die Zerstörung der medizinischen Versorgung, zuletzt durch den Beschuss auf das Hospital von Khan Yunis - von dem seltsamerweise niemand die Opfer unter dem Krankenhauspersonal benennt [37] -, gehört zur israelischen Verantwortung, und zwar unabhängig von Schuld und Rechtfertigung:
You break it, you own it.

 

 

 

[37] Es gibt einen Augenzeugenbericht eines französischen Arztes von Ärzte ohne Grenzen (frz.): Gaza : MSF dénonce l'attaque israélienne à  Nasser, ciblant une nouvelle fois les journalistes et les soignants, >M←decins sans fronti│res, 25.8.2025

Natürlich war Maryam Dagga keine “neutrale” Reporterin (wie auch?), aber stand sie automatisch im Dienst der Hamas, wenn sie für AP berichtete (nur als Photoreporterin)? Gewiss, keiner der Journalisten vor Ort konnte über die Hamas berichten, sofern das überhaupt möglich gewesen wäre - es gilt, was hier oben eingangs aus der taz über Kriegsberichterstatter zitiert wurde -, und so ist es eine unvollständige, aber deswegen keine falsche Berichterstattung.

Einer der Journalisten (nicht namentlich benannt) soll für ein Hamas-nahes Medium gearbeitet haben [38], vermutlich war es einer auf der israelischen Liste der Terroristen. Auch der Fall des oben schon erwähntvon Mohammed Salama (siehe oben) ist sicher diskutabel. Er arbeitete für den katarischen Sender Al-Jazeera, der nicht nur als “parteiisch” gelten kann, und hatte enge Verbindungen zur Hamas. Doch schreibt die taz unter Berufung auf die Palästinensischer Journalistenunion, dass er auch von der Hamas für seine Arbeit in der Kritik war und sie ihm mit Gewalt drohte. Es kann gut sein, dass er sich von seiner früheren Nähe zur Hamas gelöst hatte, was schon ausreichte, ihn zwischen die Fronten geraten zu lassen. Immerhin wurde hier auch mal über die Hamas berichtet: Zerstörung der Pressefreiheit als Ziel von beiden Seiten.
 

[38] Johannes Dosdrowski: Zerstörung als Ziel, >taz, 25.8.2025

 

Al-Jazeera ist nicht einfach nur “parteiisch”, denn sie hat eine politische Position zur Hamas und zum 7. Oktober, die darüber hinaus geht. Sie preist den heroischen “Angriff” der Hamas vom 7.10.2023 als Rückkehr auf die politische Bühne, verurteilt unmittelbar am selben Tag die gezielten Angriffe Israels auf Zivilisten in Gaza, bestreitet aber umgekehrt den Pogromcharakter des 7. Oktober, spricht von Opfern des “Angriffs” in einem quasi militärischen Geschehen. Eine Auswertung des Videomaterials durch Al-Jazeera im März 2024 ergab immerhin “widespread human rights abuses by Hamas fighters and others, including the killing of 782 Israelis and foreign nationals”, aber auch angeblich  massive Übertreibungen der israelischen Berichte, so z. B. erfundene Vergewaltigungen und andere “atrocity stories”. Im Übrigen habe die israelische Armee selbst viele Israelis getötet, damit sie nicht in die Hände der Hamas fielen, nach dem dafür vorgesehenen “Plan Hannibal” [39}.  Die Hamas selbst griff dies im April auf, als die Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof auf dem Weg war (erst nur Haftbefehle gegen Haniyeh, Sinwar und Deif, die dann später israelischen Angriffen zum Opfer fielen), und sich dafür scheinbar einer Recherche von Haaretz bediente, die aber von der Hamas sprachlich manipuliert wiedergegeben wurde. [40].)

Das (nicht so benannte) Massaker an israelischen Zivilisten konnte hier, sechs Monate später, zugestanden werden, als die Zahl der Opfer in Gaza dies schon x-fach überstiegen und damit belanglos gemacht hatte. Bereits am 7.10. selbst wurde eine Auflistung des “human cost from 2008 to 2023” (noch ohne die Opfer vom 7.10) gebracht, wonach 6407 tote Palästiinenser 308 toten Israelis gegenüberstanden [41]. Die nicht ausgesprochene Botschaft dabei war wohl: Da gab es noch einen Nachholbedarf auf palästinensischer Seite, der den 7.10. rechtfertigte. In derselben Logik geht es dann zum Jahrestag am 7.10.2024 weiter damit, dass der “tödliche Angriff” der Hamas ein “Massaker” gewesen sei, worauf Israel aber einen “laufenden Genozid an den Palästinensern in Gaza” verübe. Geiseln werden hier nur als “Gefangene” (“captives”) bezeichnet, als ob sie am Kampf teilgenommen hätten.
 

 

Wer sich als Journalist mit einer der beiden Kriegsparteien identifiziert, riskiert natürlich, durch seine Dokumentation des Geschehens dieser Seite auch helfen zu wollen - ein Risiko für ihn selbst, zumal heute durch die technischen Möglichkeiten der Datenübertagung eine solche Hilfe viel einfacher und schneller möglich ist, als es die Verfasser der Kriegsrechtsregularien damals sehen konnten. Eine wie auch immer geartete Mitwirkung am Kriegsgeschehen hebt jedoch seine Neutralität und damit auch seinen Schutz auf. Für die israelische Seite ist das aber bei vielen dieser Reporter quasi per se gegeben und entsprechend werden diese als Hamas-Helfer oder -Agenten und damit als Terroristen eingestuft.

Wenn es nur darum gegangen wäre, das Filmen vom Nasser-Krankenhaus aus zu unterbinden, hätten die Militärs ganz einfach im Hospital eine Warnung diesbezüglich mit einer entsprechenden Drohung abzugeben brauchen. Die Reporter hätten sich dann über die Einschränkung ihrer Pressefreiheit beschweren können, wären aber noch am Leben, wenn sie die Drohung ernst genommen hätten, und viele andere Tote auch.
 

 

Dass das aber gar nicht mehr das Ziel war, wie offenbar anfangs mit dem missglückten Drohnenangriff (Genaueres ist nicht bekannt), zeigt die Vorgehensweise des “double tab”, wonach man nach dem ersten Einschlag 15 Min. wartete, bis Helfer und andere Reporter kamen (letztere, weil sie das fotografieren wollten), um diese dann gezielt auch noch im zweiten Beschuss zu treffen. Das ist die Vorgehensweise von Terroristen bei Bombenanschlägen mit Zeitverzögerung und hierin beweist sich wieder die tragische Regel, die Karl Hein Metz aufgestellt hat, dass im asymmetrischen Krieg eine Angleichung nach unten auf die Symmetrie erfolgt, weil man dann den Terroristen bekämpft nach dessen terroristischen Methoden. [42]

 

 

 

[42] Siehe in der einleitenden Analyse seit dem 7.10.23, Anm. 1 und 2, und in Recht, Unrecht... Völkerrecht, Einleitung, >hier

 

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Gaza: Genozid?

 

  • Definition und Fallbeispiele
  • Gaza-Krieg: Zwischen Kollateralschaden und Genozid?
    Ausgangslage - Grundprobleme
    Die Fabrikation eines kapitalen Beweises genozidaler Absicht
  • Recht und Politik, Fakten und alternative Fakten
  • Worte und Taten

 

Die wichtigste Frage nach derjenigen zur Zukunft des Gaza-Streifens wird auch nach dem jetzt hoffentlich definitiven Kriegsende die nach der Bewertung des Kriegsgeschehens sein und das heißt, ob es ein Genozid war oder ob ein solcher  im Begriff war begangen zu werden.

Dazu bedarf es einleitend erst einiger grundsätzlicher Überlegungen über Kriterien und Vergleichsmaßstäbe für den Tatbestand Genozid.

Propagandistisch ist der Genozid-Vorwurf zur emblematischen Formel für die antiisraelische Positionierung in der weltweiten Öffentlichkeit geworden, im engeren Sinne für eine auf die Politik der israelischen Regierung fokussierte Anklage, im weiteren Sinne aber auch für eine “Israelkritik”, die zwischen Regierung und Volk nicht mehr unterscheidet und damit auch einen Kollektivschuldvorwurf verbindet, ob explizit ausgesprochen oder nicht.

Unabhängig davon, wieviel Untersützung die fragliche Militärstrategie der Regierung im Volk hatte, mit welchen Relativierungen auch immer (Schuld der Hamas etc.), so können für die geplante und durchgeführte Militärstrategie nur die Regierung und das Militär verantwortlich gemacht werden. Im völkerrechtlichen Vorfeld des Tatbestandes Völkermord steht daher zunächst die Frage nach Kriegsverbrechen, wie sie der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gegenüber Ministerpräsident Netanyahu und dem ehem. Verteidigungsminister Gallant untersucht, während sich der davon unterschiedene Internationale Gerichtshof (IGH) [1] gegenüber dem Staat Israel mit dem Genozidvorwurf befassst aufgrund einer Klage, die der Mitgliedsstaat Südafrika eingereicht hat. - Anderer Schauplatz: Als selbst betroffener Staat hat die Ukraine eine Klage auf Genozid gegen Russland eingereicht
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] Internationaler Strafgerichtshof:
Wikipedia
 Internationaler Gerichtshof: Wikipedia 

Letzteres macht aber auch schon deutlich, wie der Genozidvorwurf über die tatsächlichen massiven Kriegsverbrechen der russischen Kriegsführung hinaus pauschalisiert wird, so sehr man in der diesem Krieg auch auf Seiten der Ukraine stehen mag.  Nicht jedes Kriegsverbrechen und nicht viele zusammen und noch nicht einmal ein Massenmord sind gleich ein Genozid. Der inflationäre propagandistische Gebrauch des Begriffs - Donald Trump übrigens gegenüber Südafrika, dort gebe es einen Genozid an den Weißen [2] - verharmlost im Umkehrschluss die Völkermorde, die in der Vergangenheit real stattgefunden haben. Im Falle der Ukraine, und der Vergleich ist hier durchaus relevant, geht es darum, aus den systematischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung und die Massenmorde vor Ort in den (zeitweise) besetzten Gebieten (Butscha: ca. 500 Tote) in Verbindung mit den ideologischen Aussagen von Putin zur Nichtexistenz eines ukrainischen Volkes usw. auf eine Absicht zur zumindest teilweisen Vernichtung des ukrainischen Volkes im Falle eines russischen Sieges zu schlussfolgern.

Völkerrechtliche Grundlage für die Bewertung ist die Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide der Vereinten Nationen vom 9.12.1948, die 1954 von der Bundesrepublik gesetzlich übernommen und deswegen auch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde [3].

Die Definition des Genozids nach der UN-Konvention ist weiter gefast als die physische Vernichtung von Menschen. Nach Art. II der Konvention ist dies

    “eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale,  ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder  teilweise zu zerstören:
    a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
    b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
    c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die  geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise  herbeizuführen;
    d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
    e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.” (Bundesgesetzblatt)

     

[2] Vielleicht eine Retourkutsche auf Südafrikas Klage gegen Israel, cf. Trump konfrontiert Ramaphosa  mit “Genozid”-Vorwürfen, >Tagesschau, 21.5.2025.

 

 

 

[3] Convention in the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, >United Nations, 75th Anniversary, Dec. 2023. / Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom 0. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, >Bundesgestzblatt 12.8.1954

 

 

 

Als hier nicht erfassten Tatbestand hat man später in der politisch-juristischen Diskussion auch den Begriff des “kulturellen Genozids” oder, weniger sinnvoll, “Ethnozids” eingeführt, der die sprachlich-kulturelle Auslöschung einer Gruppenidentität zum Ziel hat. [4]

Diese Kriterien offenbaren zugleich ihre eigene Problematik, nämlich die ihrer Anwendung in einer politisch-rechtlichen Beurteilung, und dies in zweierlei Hinsicht: 1. Für die Beurteilung eines Sachverhalts in Bezug auf diese Kriterien; 2. Für die Gleichbehandlung gleichartiger Verbrechen nach diesen Kriterien, auch rückwirkend, und sei es nur erinnerungskulturell, historisch-politisch ohne (straf-)rechtliche Dimension.

Zu 2: Es springt ins Auge, dass hierzu viele in eine oder mehrere dieser Kategorien fallende Kolonialverbrechen noch nicht einmal als solche in dieser Hinsicht thematisiert werden, und dies noch aus einer nicht so lange zurückliegenden Zeit. Es liegt auf der Hand für die gezielte Dezimierung der nordamerikanischen Indigenen (Indian ist immer auch noch ein selbst verwendeter Begriff) mit verschiedenen Methoden, in Kanada noch bis in die 1960er Jahre durch die vor einigen Jahren bekannt gewordenen Fälle von Zwangs-Internatsschulen (Kategorie e und c)[5]; in Australien ähnlich wie bei den nordamerikanischen First Nations nach der physischen Dezimierung auch noch durch die systematische Entführung von Aborigine-Kindern zu ihrer Entwurzelung und Dekulturalisierung bis in die 1970er Jahre (Kategorie e)[6]; und wie erst jüngst bekannt wurde im Falle Grönlands durch die Zwangsverhütungsmaßnahmen von jungen Innuit-Frauen Kat. d)[7] durch die dänische Autorität. Dies betrifft alles damals und heute demokratische Staaten und Gesellschaften - von den anderen, z.B. Russland bzw. Sowjetunion und China, ganz zu schweigen.
 

[4] Kultureller Genozid oder Ethnozid: Wikipedia
Laura Balke: “Kultureller Genozid” als potenzieller Straftatbestand. Beiträge ds UNESCO-Lehrstuhls für Internationale Beziehungen 13/2018, >TU Dresden

[5] kultureller Genozid in Verbindung mit Punkt e sowie gezielte Verweigerung medizinischer Hilfe bei epidemischen Krankheiten , Kat. c., vgl. Friedrike Drews/Sabine Mannitz: Probleme der Aufarbeitung kulturellen Genozids. Rechtliche Regelungslücken und politische Defizite am Beispiel Kanadas. Leibniz-Institu für Friedens- und Konfliktforschung, >PRIF Report7/2021.

[6] Gestohlene Generationen: Wikipedia
Stolen Generations - in ganz Australien wurden Aborigines-Familien über mehrere Generationen hinweg systemaisch ihrer Kinder beraubt, in: Pogrom - Zeitschroft der Gesellschaft für bedrohte Völker 201/1998, >gfbvᅠ29.4.2005

[7] Zwangsverhütung in Grönland: Wikipedia

 

Zu 1: Das Massaker von Srebrenica im jugoslawischen Bürgerkrieg 1995 an bosniakisch-muslimischen entwaffneten Männern sowie Flüchtlingen durch die bosnisch-serbische Armee gilt als Völkermord, weil dort ca. 8000 männliche Bosniaken gezielt selektiert und an verschiedenen Stellen in der Umgebung erschossen wurden. Der Internationale Gerichtshof klassifizierte das Verbrechen als Völkermord [8]. Er folgte damit der Beurteilung durch den Sonder-Strafgerichtshof für das ehem. Jugoslawien in seinen Urteilen gegen mehrere Täter. Diese Einstufung beruht auf der gezielten Planung und Umsetzung der Tötung von Mitgliedern einer ethnischen Gruppe (Kat. a). Trotz dieser höchstrichterlichen Urteilsprechung ist es erlaubt zu fragen - weil es immer erlaubt ist, über Gerichtsurteile nachzudenken -, ob die Klassifizierung Genozid trotz der Monstrosität des Verbrechens angemessen ist, ohne deswegen die Autorität der Gerichte in Frage zu stellen. Die Frage dabei ist aber, in welcher Absicht man fragt, denn die Leugner des Völkermordes leugnen meistens dieses Kriegsverbrechen überhaupt.

In der fachlichen Debatte über die Kategorisierung des Massakers gab es durchaus auch kritische Kommentare, so zum Beispiel, weil der IStGH eine Verantwortlichkeit des Staates Serbien hinter dem Agieren der serbischen Milizen nicht erkannte, obwohl der Prozess gegen den damaligen serbischen Präsidenten Milosevic seine Verantwortung zweifelsfrei offenlegte [9]. Damit verbunden war auch die Frage, warum Srebrenica nicht mit anderen Massentötungen, wenn auch kleinerer Dimension, verbunden wurde, womit die genozidale Absicht vielleicht hätte erhärtet werden können. Umgekehrt konnte man zum singulären Tatbestand Srebrenica auch fragen, ob denn die Selektion auf die Männer nicht nur ein besonders gravierendes Kriegsverbrechen war, aber noch keine weitergehende genozidale Absicht erkennen ließ. Auch letzteres, das einem in der öffentlichen Debatte sofort den Vorwurf der Genozidleugnung aus politischen Gründen einbringt, wurde in dem erwähnten Buch von Isabelle Delpla u.a. zur Sprache gebracht [9a]. An anderer Stelle wurde diskutiert, ob der enge Konnex zwischen Krieg(sverbrechen) und Genozid letzteren nicht ausschließe, wenn das Geschehen militärischen Ursprungs ist, weil Massentötungen strukturell immer aus einem eskalierenden Kriegsgeschehen entstehen [10]. Und die “politische Brisanz der Benennung eines Ereignisses als Genozid” entwickelt sich eben daraus, dass dies “vor allem in Kriegs- und Interventionsdebatten aufgrund der moralischen Aufladung des Genozidbegriffs nur mehr verstärkt zutage tritt..” [11]
 

 

 

[8] Massaker von Srebrenica: Wikipedia
Das Massaker von Srebrenica: >Bundeszentrale für politische Bildung, 2025

 

 

 

 

[9] Isabelle Delpla/Xavier Bougarel/Jean-Louis Fournel: The Judge, the Historian, and the Legislator, in: Delpla/Bougarel/Fournel (Hrsg.): Investigating Srebrenica. Institutions, Facts, Responsibilities. New York/Oxford (Berghahn) 2013, S. 13f. - Cf. auch ICTY: Milosevic Trial Exposd Belgrade’s Role in Wars. Case Shows Lessons for War Crimes Trials, >Human Rights Watch, 13.12.2006.
{9a] cf. Delpla et al., op. cit. S. 14. - 

[10]Zusammengefasst in: Jeffrey S. Bachman: Four Schools of Thought on the Relationship Between War and Genocide, in: Journal of Genocide Research, Vol. 22, No. 4,, 2020, S. 479-501, hier v.a. S. 479-484.

[11] Yvonne Robel: Verhandlungssache Genozid. Zur Dynamik geschichtspolitischer Deutungskämpfe. München (Fink) 2011, S. 40.

 

Das Kriegs- und Völkerrecht (auch als Internationales Humanitäres Recht bezeichnet) und vor allem die Frage nach dem Tatbestand Genozid sind alles andere als eine “exakte Wissenschaft”, sondern eher eine “Verhandlungssache”, wie der provokativer Titel der Analyse von Yvonne Robel hierzu sagt [cf. 11], weil sich hier Recht und Politik und rückblickend Recht und Geschichte untrennbar miteinander verbinden. Deswegen gibt es innerhalb des Völkerrechts als wissenschaftlicher Disziplin keinen Bereich, in dem die Meinungen und Urteile soweit auseinander gehen wie zum Thema Genozid, aber auch zu kriegsrechtlichen Fragen im weiteren Horizont, so dass sie sich sogar diametral gegenüberstehen können.

Auch die UN-Völkermordkonvention, die heute so als erratischer Anker und Wegweiser im politisch-rechtlichen Raum steht, war und ist umstritten. Von Anfang an gab es politische Vorbehalte und Einflussnahme und dies wiederholt bei jedem neuen Fall und der Völkermordbegriff und seine Defintion(en) sind nicht unbedingt die Lösung des Dilemmas, sondern Teil davon, weil er als “crime of the crimes” Massengewalt und -mord unterhalb dieser Messlatte in der Relation dazu, wenn nicht überhaupt, verharmlost [12]. Hinzu kommt, dass das Modell des Holocaust, aus dem heraus die Genozidkonzeption entstanden ist, weder für frühere und auch nicht für nachfolgende Genozide ein echter Maßstab sein kann. Hier steht natürlich die “Unvergleichbarkeit des Holocaust” im Raum, worauf wir hier aber nicht detaillierter eingehen, auch nicht auf Moses’ Stellung dazu. Aber es stellt sich dabei die Frage, ob denn dadurch nicht der Genozid, wenn er den Holocaust zum Maßstab hat, gar kein Sammelbegriff für andere Genozide sein kann.

Politische Interessen stehen im weltpolitischen Geschehen viel grundsätzlicher über dem Rechtsverständnis und dies gilt auch für die UNO selbst: Von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats erkennen drei - Russland, China und die USA - den Internationalen Strafgerichtshof de iure nicht an, weil man sich einem entsprechenden Abkommen freiwillig anschließen muss; den Internationalen Gerichtshof erkennen sie aber de facto auch nicht an, obwohl er für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist. Dasselbe gilt für die Grundsätze der UN-Charta (Menschenrechte) für viele, wahrscheinlich die meisten Mitgliedstaaten, darunter auch wieder die beiden Sicherheitsratsmitglieder Russland und China, während die USA zur Zeit dabei ist, sich ihnen hierbei hinzuzugesellen. Bedenken gegen das von ihnen selbst geschaffene Völkerrecht gab es aber bei den UN-Gründerstaaten von Anfang an [13].
 

 

 

 

 

 

 

 

[12] Dies ist Thema des Buches von A. Dirk Moses: The Problems of Genocide. Permanent Security and the Language of Transgression. Cambridge Univ. Press 2021. - Vgl. dazu auch einen frühen Ausagngstext  für diese Überlegungen: A. Dirk Moses: Toward a theory of critical Genocide Studies, in: >SciencesPo / Mass Violence and Resistance - research Network, 18.4.2008.

 

 

 

[13] Cf. Heinz Guradze: Die Vereinten Nationen und das Völkerrecht,  in: >Vereinte Nationen - Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, 1/1963, S. 14-17.

Gaza-Krieg: Zwischen Kollateralschaden und Genozid?

Ausgangslage - Grundprobleme

Die UNO selbst respektiert oft ihre eigenen Regeln nicht. Jüngstes Beispiel: Auf der UN-Vollversammlung zur Feier des 80jährigen Bestehens der UNO vom 22.-29.9.2025 durfte Benyamin Netanyahu vor der Vollversammlung sprechen, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Da die USA diesen ohnehin nicht anerkennen, konnten sie Netanyahu einreisen lassen, während Palästinenserpräsident Abbas von Trump ein Einreiseverbot bekommen hat. Doch wenn die UN-Vollversammlung Netanyahu sprechen lässt, selbst wenn die meisten Anwesenden bei der Rede den Saal verlasen haben, so hat die UNO dennoch ihren eigenen Strafgerichtshof missachtet.

Der Strafgerichtshof selbst missachtet auch das Recht, die Genfer Konvention, durch die Ungleichbehandliung Israels und der Hamas unter Berufung auf Art. 51 und 52:

    “Art. 51.
    2. Weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen dürfen das Ziel von Angriffen sein. Die Anwendung oder Androhung von Gewalt mit dem hauptsächlichen Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, ist verboten. [...]
    4. Unterschiedslose Angriffe sind verboten. […]
    7. Die Anwesenheit oder Bewegungen der Zivilbevölkerung oder einzelner Zivilpersonen dürfen nicht dazu benutzt werden, Kriegshandlungen von bestimmten Punkten oder Gebieten fernzuhalten, insbesondere durch Versuche, militärische Ziele vor Angriffen abzuschirmen oder Kriegshandlungen zu decken, zu begünstigen oder zu behindern. 

    Art 52:
    1. zivile Objekte dürfen weder angegriffen noch zum Gegenstand von Repressalien gemacht werden. Zivile Objekte sind alle Objekte, die nicht militärische Ziele im Sinne des Absatzes 2 sind.
    2. Angriffe sind streng auf militärische Ziele zu beschränken. Soweit es sich um Objekte handelt, gelten als militärische Ziele nur solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.
    3. Im Zweifelsfall wird vermutet, dass ein in der Regel für zivile Zwecke bestimmtes Objekt, wie beispielsweise eine Kultstätte, ein Haus, eine sonstige Wohnstätte oder eine Schule, nicht dazu verwendet wird, wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen.”[14]

Die Anklage wirft dem israelischen Ministerpräsidenten und seinem damaligen Verteidigungsminister Gallant durch das Ausstellen von Haftbefehlen Kriegsverbrechen vor (Genf 51,2 und 4 bzw. IStGH Art. 7), aber die parallelen Haftbefehle im April 2024 für drei inzwischen getöteten Hamas-Führer erfolgten wegen des 7. Oktober (dies gewiss zu Recht), nicht aber nach demselben Artikel der Genfer Konvention wegen der Kriegführung der Hamas unter dem Schutz (der keiner war) von zivilen Einrichtungen und Zivilisten (“menschliche Schutzschilde” (51,7)[15]. Wir haben diese Problematik des Terrorismus und des asymmetrischen Krieges oben schon angesprochen.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[14] Genfer Konvention vom 12.8.1949, Zusatzprotokoll zu den Genfer abkommen vom 12. august 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, Protokoll I vom 8. Juni 1977, Art. 51, >Fedlex;; vgl. Römisches Statut des Internationalken Strafgerichtshofes, Art. 7, >Auswärtiges Amt

  [15] Statement of ICC Prosecutor Karim A.A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine, 20.5.2025, International Criminal Court, >ICC, zur Rechtsgrundlage cf. Anm. 14.

Die konträren Positionen zum Gaza-Krieg lauten:

  • Israel verübt einen beabsichtigten Genozid.
  • Israel führt einen Verteidigungskrieg; die Schuld für die zivilen Opfer liegt bei der Hamas.

Die Argumentation erfolgte bei beiden argumentieren zunächst aus dem militärischen Geschehen heraus:

1. Die hohe Zahl der zivilen Opfer sind kein Zufall, sondern Absicht / Die zivilen Opfer sind Resultat der Kriegsführung der Hamas (“menschliche Schutzschilde”).

Hinzu kommt auf einer weiteren Ebene im Hinblick auf eine faktische Besatzungspolitik innerhalb des noch nicht beendeten Kriegsgeschehens (siehe oben: You break it, you own it)

2. der Vorwurf der Aushungerung (starvation) und im weiteren Horizont der Verweigerung notwendiger humanitärer Hilfe (auch medizinisch usw.).

Umgekehrt ist zu sagen, dass die Verletzung von Art. 51, 7 und Art. 52 durch die Hamas allgemein unumstritten ist, wenn auch nicht für jeden Einzelfall des Kriegsverlaufes, wo von der IDF ein Krankenhaus etc. beschossen wurde.

Die Strategie, die Israelis durch die “menschlichen Schutzschilde” an ihrem militärischen Vorgehen zu hindern oder mindestens dabei zu behindern, hätte im Sinne dieses Begriffes impliziert, dass die Hamas das Völkerrecht gebrochen hätte im Kalkül, dass Israel es weitgehend respektiert. Aufgrund der Erfahrungen der vorherigen “Gaza-Kriege” 2009 und 2024 war jedoch allen Beteiligten klar, dass Israel sich davon gerade nicht von seiner Strategie abhalten lassen würde, und schon gar nicht nach dem terroristischen Pogrom an der israelischen Zivilbevölkerung am 7. Oktober, als nicht nur ein Moment der Rache vorherrschte, sondern zwangsläufig das Ziel der “Zerstörung” der Hamas daraus hervorgehen musste.

Die “menschlichen Schutzschilde” hatten also ganz offensichtlich eine andere Absicht, nämlich Israel zu Kriegsverbrechen zu provozieren um es international zu isolieren bis hin zum Genozid-Vorwurf, der auch schon kurz nach Beginn der israelischen Luftangriffe lanciert und im übrigen auch schon 2014 erhoben wurde. Das bedeutet, dass die Hamas die Opfer in der eigenen Zivilbevölkerung mit verursacht hat und ihr diese Opfer nicht nur egal waren, sondern für diese Strategie sogar erwünscht.

Im Gegenzug ermöglichte genau dies der politischen und militärischen Strategie Israels, auf humanitäre Rücksichtnahme weitgehend zu verzichten und dabei auf die Schuld der Hamas zu verweisen. Tatsächlich gab Israel in der ersten Phase auf verschiedenen Wegen Warnungen und Aufrufe an die Zivilbevölkerung heraus, bestimmte Wohngebiete zu verlassen, sowie auch in der letzten Phase für Gaza-Stadt.  In der mittleren Phase ging das unter, ob nur in der Berichterstattung oder auch tatsächlich, vor allem bei der Eroberung des Südens des Gaza-Streifens. In dem herrschenden Chaos waren die Möglichkeiten rechtzeitig vor den nur kurz zuvor gesendeten Meldungen (Ausnahme: Gaza-Stadt am Ende) begrenzt und die durch die Angriffe Getöteten, zumal viele Kiinder unter ihnen, können nicht als Unterstützer der Hamas oder so gewertet werden. Allerding ist eine klare Idenfizierung von Hamas-Kämpfern oder an ihrem Kampf Beteiligten von der nicht ins Kampfgeschehen involvierten, sondern nur davon betroffenen Zivilbevölkerung auch nicht möglich.
 

 

IDF = Israeli Defence Force

    “Immer wieder brechen Zweifel und Streitigkeiten darüber aus, ob die Zahl ziviler Opfer außer Verhältnis zur militärischen Zielsetzung steht. Dabei besteht oft die menschliche naheliegende Neigung, einen zahlenmäßigen Bezug zwischen den angegriffenen militärischen Kräften (oder den zu schützenden eigenen Soldaten) einerseits und den in Mitleidenschaft gezogenen Angehörigen der Zivilbevölkerung andererseits herzustellen. Ähnlich ist der Vergleich zwischen den Opfern eines den Konflikt überhaupt auslösenden Angriffs und den Kollateralschäden im Rahmen der Selbstverteidigung. Diese Betrachtung ist zwar verständlich, aber unterkomplex.”[16]

Die ominöse, nie exakt festzustellende “Verhältnismäßigkeit der Mittel” in Bezug auf das militärische Ziel einerseits und die Schonung der Nicht-Kombattanten andererseits, berechnet sich auch, aber nicht nur zahlenmäßig. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen beidem in dem Sinne, ob zur Erreichung des legitimen Zieles eine größere Schonung der Zivilbevölkerung möglich gewesen wäre, als dies geschehen ist.

Doch selbst scheinbar aussagekräftige Zahlen können ganz unterschiedlich bewertet werden. Die Opferzahlen werden in ihrer Gesamtheit ausschließlich von der hamas-kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza ermittelt, zu deren Glaubwürdigkeit es umfangreiche Analysen gibt, die sie aber grosso modo bestätigen (ausgehend von überprüfbaren Teilmengen der Opferzahlen)[17]. Im Mai 2024 listeten israelische Geheimdienstler die Zahl von 8900 getöteten Kombattanten auf, was 17% der damals von der Gesundheitsbehörde festgestellten Toten insgesamt ausmachte, somit waren 83% Zivilisten [18]. Der Tenor beider Pressemeldungen war: so viele Zivilopfer.
 

 

 

 

[16] Matthias Herdegen: Völkerrecht. München (Beck) 23. Aufl, 2024, S. 509.

 

[17] >Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Statistische Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza über Todesopfer im Gaza-Konflikt: Fragen der Erhebung, der Verifikation und rechtliche Einordnung, 4.6.2025.

[18] “Guardian”-Bericht: Sind 83% der Getöteten im Gazastreifen Zivilisten? >SRF, 27.8.2025; zugrunde liegt ein Berich im britischen Guardian: Emma Graham-Harrison/Yuval Abraham: Revealed: Israeli military’s own data indivates civilian death rate of 83% in Gaza war, >The Guardian, 21.8.2025.
 

Dies ist aber wohlgemerkt nicht meine Meinung (eine reine Frage der Zahl) im Hinblick auf die kriegsrechtliche Bewertung. Die Zahl der zivilen Opfer ist ein Faktor in dieser Debatte, auch wenn es nicht nur auf das Zahlenverhältnis ankommt, wie Matthias Herdegen dargelegt hat (siehe oben). Bei der Abwägung in der Wertung des Sachverhalts “sind gewisse Korridore der eben noch plausiblen Abwägung hinzunehmen.” [19]. Und ein wesentlicher Parameter für diesen Korridor ist eben das Militärische. Die “Kollateralschäden” - kein offizieller Begriff und sogar “Unwort des Jahres 1999” - in der beschriebenen Situation eines asymmetrischen Krieges lässt mehr Ziviltote hinnehmbar erscheinen als im normalen Kriegsfall und dennoch ist das auch hier keine Frage einer schematisch numerischen Ausdehnung, denn die Verhältnismäßigkeit steht auch hier immer in Relation zur militärischen Zielsetzung: Könnten bzw. konnten zivile Opfer vermieden werden, ohne dass das militärische Ziel nicht mehr erreicht oder nur mit überproportional vielen eigenen Opfern (d.h. Soldaten) erreicht werden könnte? Hinzu kommt hier auch noch erschwerend das Problem der “Anwendung militärischer Gewalt in dicht besiedelten Gebieten.”[20[

Wir sehen, dass sich dies immer am Rande der Maxime “Der Zweck heiligt die Mittel” bewegt, die sich in allen Kriegen schnell anbietet und vor allem in einem solchen wie hier, wo der Gegner das Kriegsrecht gar nicht kennt und auch meint, es nicht kennen zu müssen, und, wie erwähnt, gar nicht dafür belangt wird. Dass solch eine Ungleichbehandlung unzulässig ist, mach im Grundsatz auch das Internationale Rote Kreuz explizit deutlich [21].

Die Übertretung der Genfer Konvention ist ein Kriegsverbrechen, der Vorwurf des Genozids gegenüber Israel speist sich von diesem Aspekt der Kriegsführung her aus der Zahl der zivilen Opfer und der Zerstörungen  und der daraus abgeleiteten Strategie der pauschalen, d.h. unterschiedslosen Angriffe der IDF. Damit verbunden sind eine Reihe von Angriffen auf Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen, die Vertreibungen innerhalb des Gaza-Streifens und die katastrophalen humanitären Bedingungen, die aufgrund einer massive Behinderung von Hilfe als von Israel intendiert verstanden werden (hierzu weiter unten). Dies ist verbunden mit Aussagen führender israelischer Politiker unmittelbar nach dem 7. Oktober und zum Teil auch noch später über die zu ergreifende oder dann ausgeführte radikale Reaktion auf den 7. Oktober.
 

[19] Herdegen, ebd.

 

 

 

 

[20] Cf. Stefanie Haumer/Katja Schubert: Anwendung militärischer Gewalt in dich besiedelten Gebieten,  in:  >Humanitäres Völkerrecht. Informationsschriften - Journal of International Law of Peace and Armed Conflict, Vol. 28, 3/2015,  S. 100-104.

[21] cf. Stefanie Haumer: Non-state Armed Actors and International Humanitarian Law - A Demanding Relationship? in: op. cit. (Anm. 20), S. 120-125. Die Autorin war bzw. ist  Beraterin für Völkerrecht beim Internationalen Roten Kreuz.

 

 

 

Die Fabrikation eines kapitalen Beweises genozidaler Absicht

Amnesty International spielte in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in der weltöffentlichen Kritik an Israels Politik (Apartheid-Vorwurf [22]) und hat auch hier einen Bericht mit Belegen und Analysen des Geschehens veröffentlicht, die nach Meinung der Organisation den Tatbestand des Genozids ausreichend beweisen: zahlreiche Handlungen, die kriegsrechtlich relevant sind, pauschale Zerstörungen von Wohngebieten, Infrastruktur u.a. (deren Resultat jeder auch anhand der Film-und Fotoaufnahmen sehen kann), hinzu kommen die Be- und Verhinderungen humanitärer Hilfe.

Zum Genozid gehört aber eine genozidale Absicht, die über Kriegsverbrechen hinaus geht und in eine systematische Verwirklichung dieser Intention mündet. Hierzu wird auf eine Pressekonferenz von Staatspräsident Isaak [Jitzhak] Herzog verwiesen, wo dieser am 12.10.2023, also fünf Tage nach dem 7. Oktober, sagte (nach dem Wortlaut bei Amnesty, hier vollständig zitiert*):

    (A) “Es ist eine ganze Nation da draußen, die verantwortlich ist. Dieses Gerede, dass die Zivilbevölkerung nichts weiß und nicht beteiligt ist, das ist absolut nicht wahr.”[23]

Leider gibt es dazu keine Quellenangabe, so wie bei anderen gravierenden Anschuldigungen in dem Text auch nicht, jedenfalls keine nachverfolgbaren (pauschaler Verweis auf Soziale Medien u.ä.), und bezüglich des Herzog-Zitats schreibt Amnesty selbst, dass er dies später als falsch zitiert oder missverstanden abgestritten hat. Und zwar berief sich Herzog bei diesem Vorwurf auf die Öffentliche Erklärung und Anordnung (”order”) des IStGH am 26.1.2024. Der IStGH nahm die Klage Südafrikas auf im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung von individuellen Verantwortlichen, woraus dann später der Haftbefehl für Netanyahu und Gallant folgten. Die Anklage eines Staates als solchem obliegt dem IGH. Der IStGH entschied hier aber vorläufig mit einer Mahnung und Anordnung an Israel, alles zur Prävention dessen zu unternehmen, wessen es zu diesem Zeitpunkt schon beschuldigt wurde [24].
 

 

 

[22]  >Amnesty-Bericht über das System der Apartheid gegen die palästinensische Bevölkerung in Israel, 1.2.2022,

 

 

 

*Den verschiedenen Textpassagen werden im Folgenden Identifikatioskürzel zugewiesen.

 

[23] >Amnesty International: “Man hat das Gefühl, kein Mensch zu sein” - Israels Völkermord an den Palästinenser*innen in Gaza, Dez. 2024 (deutsche Übersetzung), S. 5 .

 

 

 

 

[24]  Cf. Order of   26 January 2024, Doc. Nr.192-20240126-ORD-01-00-EN , >International Court of Justice

Das Zitat aus dem Presse-Briefing von Herzog am 12.10.2023 in der Erklärung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) vom 26.1.2025 lautet so*:

    (ICC) “On 12 October 2023, Mr Isaac Herzog, President of Israel, stated, referring to Gaza:
    ‘We are working, operating militarily according to rules of international law. Unequivocally. It is an entire nation out there that is responsible. It is not true this rhetoric about civilians not aware, not involved. It is absolutely not true. They could have risen up. They could have fought against that evil regime which took over Gaza in a coup d’état. But we are at war. We are at war. We are at war. We are defending our homes. We are protecting our homes. That’s the truth. And when a nation protects its home, it fights. And we will fight until we’ll break their backbone.’”

Dieser Text stimmt abgesehen von der Interpunktion mit dem von itvNEWS überein und stammt wohl von ihm. Als eines der wenigen Medien - warum, dazu gleich weiter unten - brachte der britische Sender itvNEWS diese Zusammenfassung der Aussagen Herzogs in Text und Video (Ausschnitt integriert in eine kurze historische Herleitung  des Israel-Gaza-Konflikts)

    (itv-1) “We are working, operating militarily in terms according to rules of international law, period*. Unequivocally. It is an entire nation out there that is responsible. It's not true this rhetoric about civilians not aware, not involved. It's absolutely not  true. They could have risen up, they could have fought against that evil regime which took over Gaza in a coup d’état. But we are at war, we are defending our homes, we are protecting our homes, that's the truth and when a nation protects it's home it fights and we will fight until we break their back bone."

ITV zitiert dann auch noch folgenden Satz danach:

    (itv-2) "I agree there are many innocent Palestinians who don't agree with this, but if you have a missile in your goddamn kitchen and you want to shoot it at me, am I allowed to defend myself. We have to defend ourselves,  we have the full right to do so." [25]

Hierin wird, wenn auch nur extrem kurz, darauf hingewiesen, dass die Hamas Zivilisten für ihre militärische Strategie missbrauchte. In der Huffington Post km das deutlicher zum Ausdruck (siehe nachfolgend Huff-2).
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

* “Punkt”, Sprechweise beim Diktat, das dem Original entspricht.

 

 

 

 

[25] Rageh Omaar: Israeli president Isaac Herzog says Gazans could have risen up to fight ‘evil’ Hamas, >itvNEWS, 13.10.2023, 8:14am

Nicht nur bei Amnesty, auch in zahlreichen Medien, in den allermeisten erst zu einem späteren Zeitpunkt, wurde aber nur die inkrimnierende Passage ab dem zweiten Satz zitiert, so wie hier noch unmittelbar danach in der Huffington Post:

    (Huff-1) “’It’s an entire nation out there that is responsible,’€ Herzog said at a press conference on Friday. ‘It is not true this rhetoric about civilians not being aware, not involved. It’s absolutely not true. They could have risen up. They could have fought against that evil regime which took over Gaza in a coup d’etat.’”€ [26]

Haaretz zitierte das später so:

    (Haa) “The president responded: ‘The entire nation is responsible. This rhetoric of 'unaware, uninvolved civilians,' is not true. They could've resisted, they could've fought this evil regime that took over Gaza.’” [27]

Haaretz macht deutlich, dass auch dies nicht Teil seiner Rede war, sondern in seiner Antwort auf eine Journalistenfrage geäußert wurde. Es wird aber nicht deutlich, ob Haaretz die gesamte Pressekonferenz überhaupt kannte, worauf sie normalerweise an dieser Stelle verlinkt hätte, wenn es vorher einen Artikel dazu in der Zeitung gegeben hätte. Es ist auch im Online-Archiv nichts vom 12.10.2024 oder den Tagen danach zu finden. Dies ist ein Teil der mysteriösen Umstände diesbezüglich (siehe gleich weiter unten).

Nach der zitierten Passage Huff-1 kommt die Huffpost auf eine andere Aussage Herzogs zurück, Antwort auf die Frage eines britischen Reporters (auch die vorherigen Aussagen fanden in der Fragerunde statt):

    (Huff-2) “When a reporter asked Herzog to clarify whether he meant to say that since Gazans did not remove Hamas from power ’that makes them, by implication, legitimate targets’,€ the Israeli president claimed, ’No, I didn’t say that.’€
    But he then stated: ’When you have a missile in your goddamn kitchen and you want to shoot it at me, am I allowed to defend myself?’€
    At another point in the press conference, Herzog presented a different perspective, saying, ‘Of course there are many, many innocent Palestinians who don’t agree to this - but unfortunately in their homes, there are missiles shooting at us, at my children.’€”

Die Zeitung sah darin ausreichenden Beleg dafür, dass Herzog doch meinte, was er abstritt, und titelte daher:  “Israeli President Suggests That Civlians In Gaza Are Legitimate Targets.” Tatsächlich hat Herzog nur auf die Situation hingewiesen, dass die Hamas die Zivilisten und ihre Häuser für ihre Kriegsführung missbrauchte. Dorthin zurückzuschießen wirft das oben angesprochene kriegsrechtliche Dilemma auf.

Dies spitzt der Middle East Monitor noch zu, ein von Qatar finanziertes, dezidiert propalästinensisches und nach Meinung einiger Beobachter auch proislamistisches [28] Medium. Auf die Frage nach der Schonung der Zivilisten gibt MEMO Herzogs Antwort in einer Mischung aus Paraphrase und Zitat wieder:

    (MEMO) “Herzog, however, argued that the rhetoric that civilians in Gaza were unaware of Hamas’ attacks or were not involved in them is untrue, and explained the deaths of civilians as ’they could have rebelled against the malicious regime that took over Gaza in a coup attempt, they could have fought against it.€’” [29]

Ich bringe das hier nur, weil diese Interpretation, zusammen mit einem in der Paraphrase verfälschten Bezug auf ein direktes involvement der Zivilisten in den “Angriff der Hamas” am 7. Oktober, nicht nur in diesen Kreisen, sondern breiter in den Medien zirkuliert und sogar in der UNO aufgegriffen wird, wie wir gleich sehen.. Auf den exakten Wortlaut der gesamten relevanten Passagen kommen wir etwas weiter unten genauer zu sprechen.
 

[26] Paul Blumenthal: Israeli President Suggests That Civlians In Gaza Are Legitimate Targets. Huffington Post, 13.10.2023, >HuffPost

 

[27] Jonathan Lis/AP: Israeli President Blasts ICJ’s Portrayal of Hist Remarks, Says There Are Innocent Palestininas in Gaza, >Haaretz, 28.1.2024 IVJ

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[28] Cf. >Wikipedia: Middle East Monitor

 

 

[29] Israeli President enraged by questions on civilian deaths in Gaza at prss confernce, >MEMO, 12.10.2023 at 4’01 pm. 

 

Leider - und bezeichnenderweise?! - gibt es keinen vollständigen Wortlaut der gesamten Pressekonferenz im Video oder als Text und überhaupt nur extrem wenige damals direkt dazu erschienene Nachrichten - keine in Haaretz, New York Times, The Guardian, London Times, Le Monde oder in der FAZ oder SZ... - , selbst nach einer intensiven Suche im Internet, die die Möglichkeiten der Google Search liefert, nicht zu finden. Auf der Website des israelischen Außenministeriums dazu ist die vom Büro des Präsidenten autorisierte Rede - vielleicht vier Tage danach korrigiert, wie die Angaben vermuten lassen - [30], während die politisch entgegengesetzt Orientierten oder auch nur diejenigen, die das vermeintlich Wichtigste, weil Skandalöse, daraus zitieren, logischerweise nur die inkriminierende Passage bringen, meistens beendet mit “...involved” oder “...not true.” So auch z.B. im Guardian, der ein Jahr nach der IStGH-Sitzung anlässlich des bevorstehenden Besuches von Herzog in Großbritannien über Herzogs Protest gegen die Verzerrung seiner Rede schreibt - ganz offensichtlich ohne das Original zu kennen, weil noch nicht einmal präzisiert wird, wann Herzog das gesagt hat - und aus der IStGH-Erklärung wiederum verkürzend und verfälschend zitiert:

    (G) “[...] in that list of statements was a comment made by Israel’s president, Isaac Herzog, in which he asserted that all Palestinians in Gaza were ’unequivocally‘ responsible for the Hamas attack on southern Israel on 7 October.
    ‘The entire [Palestinian] nation out there that is responsible,€ said Herzog. It is not true this rhetoric about civilians not aware, not involved.’”[31]

Die Einleitung zum Zitat offenbart, wie das dann Zitierte zu verstehen ist, wenn der erste Satz aus dem Text vom IStGH (ICC) (das Bekenntnis zum Völkerrecht) absichtlich weggelassen wird, wie auch bei Amnesty und vielen anderen Fundstellen im WWW, und bezeichenderweise hier aber noch manipulativ das “unequivocally” aus dem weggelassenen Teil, das sich auf den Respekt des Völkerrechts bezieht, jetzt an die kollektive Verantwortung aller Gazaouis für das Hamas-Pogrom angehängt wird.

Die Sonderberichterstatterin des UN-Menschenrechtsrats (Human Rights Council), Francesca Albanese, hat in ihrem Bericht vom 1.7.2024 zu Recht darauf hingewiesen, dass die Intentionalität zwingend nachgewiesen werden muss für den Tatbestand Genozid:

    “The words of State authorities, including dehumanizing language, combined with acts, are considered to comprise a circumstantial basis from which intent can be inferred.”

Deswegen wird auch Präsident Herzog an erster Stelle zitiert:

    (HRC) “President Isaac Herzog stated that ’an entire nation out there … is responsible’ for the 7 October attack and that Israel would ‘break their backbone’.”[32]

Hier ergänzt die Autorin in der Paraphrase, wie die zuvor zitierte Passage zu verstehen sei, indem sie außerhalb der Anführungszeichen den Bezug “for the 7 October attack...” einfügt, obwohl das im Text überhaupt nicht gesagt wird (genauer Wortlaut siehe unten) und auch in dem Zitat des IStGH (ICC) nicht steht.. Dies entspricht dem Vorgehen des Guardian des Middle East Monitor (MEMO).
 

 

 

[30] President Herzog holds briefing for international media, (Communication by the President’s Spokesperson), 12-10.2023, updated  16.10.2023, >Ministry of Foreign Affairs

 

 

 

 

 

[31] Peter Beaumont: Isaac Herzog: Israeli president namend in ICJ order who is due to visit UK, >The Guardian, 4.2.2025.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[32}  UN General assembly, >Human Rights Council, Fifty-fith session, 26 February-5 April 2024, Agenda item 7, Human rights situation in Palestine and other occupied Arab territories: Anatomy of a genocide. Report of the Special Rapporteur on the sosituation of human rights in the Palestinian territories occupied since 1967, francesca Albanese, S. 12f..

Auflösung des Textproblems:

Die einzige Stelle, die ich gefunden habe, die das Problem, was wie gesagt wurde, thematisiert und aufzuklären hilft, und zwar am 17.10.2023 bereits, ist auf der Website der französischen Zeitung Libération:

    “Faktencheck: Hat der israelische Präsident Isaak Herzog wirklich erklärt, ‘niemand ist unschuldig in Gaza, inklusive der Zivilisten’?”[33]

Die Zeitung geht dabei auf Posts ein, die sie bekommen hat mit dem Herzog-Zitat von itvNews (itv-1) bis “...coup détat.” Libération hat dazu den Video-Auszug von der Webseite von itv integriert (nur den Konferenzausschnitt), der exakt dem Text entspricht, der später von IStGH (ICC) zitiert wurde (wie oben schon dargestellt). Libération gibt allerdings The Spot bei X als Quelle an [33a]. Sie merkt dazu an; “Es handelt sich um eine Montage von Aussagen, die wirklich gesagt wurden, aber nicht genau in dieser Reihenfolge.” Es ist nämlich ein Zusammenschnitt zweier verschiedener Passagen aus dem Original, aber nicht nur im Text, sondern auch im Video. Der Schnitt ist in diesem Video unkenntlich gemacht dadurch, dass das Bild an der Schnittstelle wechselt mit einem Kameraschwenk auf die Reihen der Journalisten, während der Ton mit Herzogs Rede im Hintergrund weiterläuft, aber ohne dass man den Schnitt akustisch bemerkt, und dann erst geht das Bild wieder zurück zu Herzog. Im Video wäre der Schnitt klar zu erkennen gewesen.

Libération gibt zur Aufklärung den Link zum vollständigen und authentischen Video beim israelischen Sender i24NEWS [34] - nicht verwechseln mi itvNEWS! -und präsentiert auch den Text mit allen Teilen, um die es hier geht; diesen ganzen Text bringen wir hier unten im englischen Original vom Video. Dieses umfasst auch nicht die gesamte Pressekonferenz, sondern nur die Fragerunde mit den Journalisten nach der gehaltenen Rede von Herzog. Die Aussagen, um die es aber geht, stammen alle aus der Diskussion mit den Journalisten, die dem Präsidenten sehr kritische Fragen gestellt haben, nicht aus der Rede selbst. Herzogs Antworten waren also alle spontan und keine vorbereitete Rede.

Auch die vom IStGH übernommene Textvariante (ICC) wurde also nicht zusammenhängend von Herzog gesagt. Die betreffende Passage kommt in der Antwort auf die Frage eines Journalisten von itvNEWS, wie Israel den impact des Krieges auf die Zivilisten in Gaza mildern könne [34]. Im Bericht auf seiner Website hat i24NEWS aber von den Textpassagen, um die es hier geht, nichts gebracht [35], und verlinkt auch nicht auf das Video auf seinem YouTube-Kanal [34]. Man kann das Video nur durch eine Suche direkt auf YouTube finden [34a].

 

[33] Cédcric Mathiot: CheckNews - Le président isrélien Issac Herzog a-t-il vraiment déclare “personne n’est innocent à Gaza, y compris les civils”?, >Libération, 17.10.2023. (Übers. von mir.)
[33a} Spotline: Israeli President claims, “No one is innocent in the Gaza strip including civilians.”>The Spot, 14.10.2023, 9:30 pm.   

 

 

 

 

 

 

 

[34] Video von i24NEWS: President Herzog holds press conference in day 6 of Israel-Hamas war, >YouTube, 19:26 min.
 {34a] YouTube i24NEWS English, >Suchergebnisse
 

 

 

 

[35] Herzog: We are targeting an enemy, part of an empire of evil, >i24NEWS, 12.10.2024, latest revision , 11:17AM.

Folgendermaßen sind die Redeausschnitte aus der Fragerunde der Pressekonferenz verteilt unter Einschluss fehlender Teile, die nirgendwo zitiert werden. Die Passagen in den oben genannten Veröffentlichungen sind mit Ziffern nummeriert, die fehlenden mit Buchstaben. Es geht hier nur um die Passagen, die für den Anklagepunkt des IStGH (ICC) relevant sind, andere Redeausschnitte in der Huffington Post (HP) bleiben hier zunächst unberücksichtigt.

    (a) 3:29-3:57 [Frage iTV-Reporter]: ...the laws of war and the humanitarian situation within Gaza, so, with that in mind, what can Israel do to alleviate the impact of this conflict on civilians? Many of them have nothing to do with Hamas [vgl. 25].
    First of all we have to understand that there is a State, there is a State, in a way, that has built a machine of evil righ on our doorstep.
    (1) 3:57-4:15: It is an entire nation out there that is responsible. It is not true this rhetoric about civilians not aware, not involved. It is absolutely not true. They could have risen up. They could have fought against that evil regime which took over Gaza in a coup d’état...
    [Im Original geht der Satz weiter:]
    (b) ...murdering their family members who were in Fatah. There’s a short memory in the world. Israel evacuated Gaza, unilaterally, in order to show, to show that it’s willing to make peace. I was a member of that cabinet. We said to our nation: That will be Hongkong oft he Middle East, when reality turned into a tragedy.“ -4:36]
    (2) 4:56-5:05: We are working, operating militarily according to rules of international law. Period. Unequivocally. Direkt anschließend:
    (3) 5:05-5:21: But we are at war. We are at war. We are at war. We are defending our homes. We are protecting our homes. That’s the truth. And when a nation protects its home, it fights. And we will fight until we’ll break their backbone.

Herzog betonte dann noch mehrfach auf ähnliche, sogar schärfer formulierte (rhetorische) Fragen nach Kriegsverbrechen, dass sich Israel an das Internationale Recht halte.
 

 

Was bedeuten die Manipulationen des Originaltextes?

In der Version des IStGH (ICC), identisch mit dem Text auf itvNEWS und dem Videozusammenschnitt, den Libération dokumentiert hat , d.h. in der Reihenfolge 2+1+3, wurde das Bekenntnis zum Völkerrecht (2) der Kollektivanschuldigung (1) vorangestellt, danach folgt der rechtfertigende Hinweis auf den Verteidigungskrieg (3). Die Reihenfolge 2+1 suggeriert durch ihre Widersprüchlichleit einen Gegensatz im Sinne von “ja, aber...”, wobei, wie immer in dieser rhetorischen Wendung, das “aber” das “ja” entkräften soll. Denn der Grund für den IStGH, dies so aufzunehmen, war ja, die Kollektivanschuldigung (1) hervorzuheben, die eine Kollektivstrafe als Konsequenz evoziert, und dies wird bekräftigt durch (3) “But we are at war...”, das als logische Schlussfolgerung aus (1) erscheint, auch wenn das “but” hierfür gar nicht passt. Wäre die Reihenfolge 1+2, würde schon durch eine implizite syntaktische Logik die Kollektivanschuldigung (1) durch das anschließende Bekenntnis zum Völkerrecht (2) abgemildert in Bezug auf die Konsequenzen.

In den anderen Zitaten im Web ist (2) dann meistens auch gleich weggelassen worden und die im Guardian (G) mitgelieferte Interpretationshilfe sagt ganz deutlich: Die Kollektivbeschuldigung der “entire nation” betrifft den Terrorpogrom der Hamas vom 7. Oktober, wie die verfälschenden Paraphrasen beim Middle East Monitor (MEMO) im Paper für den Menschenrechtsrat (HRC), und suggeriert die Konsequenz einer intendierten Kollektivbestrafung, d.h. einen beabsichtigten Genozid. Dies stellt die Argumentation von Amnesty (A) auch entsprechend nach oben als wichtigste Täter-Aussage. Auf (1) beruft sich auch der IStGH (ICC) als Indiz für eine mögliche genozidale Intention der Kriegsführung, für Amnesty ist es ein Beleg in der Begründung, dass es so ist.

Doch entscheidend hierfür ist auch die Weglassung der Erläuterung (a, b) zum Kollektivvorwurf (1). Der Originalverlauf des Textes einschließlich dieser in allen hier erwähnten Veröffentlichungen ausgelassenen Passagen (a, b) setzt (1) nämlich in einen ganz anderen Kontext. Es ist gewiss eine Kollektivanklage, aber nicht in Bezug auf das Verbrechen vom 7.10.2023, sondern auf die Machtergreifung der Hamas im Gaza-Streifen 2006/2007. Herzog betont hierbei zu Recht das “kurze Gedächtnis” der Weltöffentlichkeit, die ganz vergessen hat, dass und warum sich Israel 2005 unter Ministerpräsident Sharon aus Gaza unilateral zurückgezogen hat, d.h. ohne Gegenbedingung, und dass diese Chance zum Frieden von der Hamas in ihr Gegenteil verkehrt wurde. [36]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[36] Vgl. dazu ausführlich in meinem Buch, S. 265-269 und weiter.

Diese Kollektivschuldthese ähnelt sehr der gegenüber den Deutschen nach 1945, und zwar mit einer Schuldzuweisung dafür, wie Hitler an die Macht kam, als Voraussetzung für die späteren Verbrechen, nicht für die Verbrechen selbst. Herzog wendet sich gegen eine schematische Trennung zwischen Hamas und Bevölkerung, ganz, wie es nach 1945 im Sinne der Entnazifizierung war, er erhebt nur eine politische Schuldzuweisung, keine bezüglich des Verbrechens.

Man darf auch diese Ansichten von Herzog sehr wohl kritisieren, man darf auch behaupten, dass die Bekenntnisse zum Völkerrecht nur Lippenbekentnisse seien und nicht der Realität entsprächen, man darf aber den Wortlaut nicht zurecht manipulieren, damit eine andere Aussage evoziert wird als diejenige, die gemacht wurde und gemeint war, um hier den Staatspräsidenten als vermeintlichen Kronzeugen für den Genozid vorzuführen: “Kollektivschuld für den 7. Oktober - Zivilisten legitime Ziele.” Es ist schon äußerst bedenklich, dass so etwas in den Medien passiert, skandalös aber, dass ein solches Dokument - weniger verfälscht beim IStGH (ICC), drastisch aber beim Menschenrechtsrat (HRC) - ein wichtiger Gegenstand der Beweisführung im Hinblick auf eine ebenso höchstpolitische wie höchstrichterliche Entscheidung der Vereinten Nationen ist.
 

 

Recht und Politik, Fakten und alternative Fakten

Wir sind mitten in der Problematik, dass diese in letzter Instanz juristische Entscheidung mitten im politischen Kampf um das Thema stattfindet und von ihm beeinflusst wird. Die zahlreichen Quellen, meistens aufrufbare Internetberichte. die in der “Anatomie eines Genozids” für den UN-Menschenrechtsrat angegeben werden, beziehen sich mehrheitlich - soweit ich dies an einer Auswahl überprüfen konnte - auf Webseiten, die nicht als unabhängig gelten können, selbst wenn sie der UNO nahestehen oder ihr sogar unterstehen, etliche sind erklärt propalästinensisch. Und mit dem verfälschten Zitat von Präsident Herzog zum kollektiven involvement der Zivilisten beim 7. Oktober wurde sogar die schlimmste Variante der Verfälschung der Aussagen Herzogs (HRC) in das Gutachten von Francesca Albanese übernommen.

Ihr Job als UN-Sonderbeauftragte für die Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten bringt sie gewiss nicht dazu, dies aus einer anderen als nur einer einseitigen Perspektive zu betrachten. Um die Sachlage und ihre historische Entstehung zu beurteilen, muss man allerdings auch darüber stehen können, vor allem, wenn man eine höchstverantwortliche Position in der UNO dazu hat. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um eine “Einseitigkeit” in der Bilanzierung der schleichenden und zuletzt auch offen geäußerten Annexionspolitik hinsichtlich des Westjordanlandes, sondern um eine viel grundsätzlichere Positionierung. Noch am 15.7.2025 hat sie in einer öffentlichen Fragerunde auf einer Konferenz über Menschenrechte in Bogotà erklärt, wie auch MEMO und alle anderen einschlägigen Medien lobend berichten, dass die Hamas eine legitime politische Kraft und durch die demokratischsten Wahlen in der ganzen Region an die Macht gekommen sei:

    “Francesca Albanese [...] emphasised that Hamas should be recognised as a legitimate political movement rather than a group of murderers. She noted that Hamas plays a significant administrative and service role in the Gaza Strip, asserting that the organisation came to power after winning what she described as the most democratic elections in the region, not only in Palestine.
    [Wörtliches Zitat:] “’Hamas is not a band of murderers or heavily armed fighters, as it is often depicted in various narratives.’”[37]

Dass die Hamas die Wahl 2006 zum Legislativrat in den palästinensischen Autonomiegebieten gewonnen hat, ist richtig. Das ändert aber nichts daran, das sich die Hamas 2006/07 mit Gewalt die Herrschaft in Gaza geholt hat und seither seit fast zwei Jahrzehnten mit Gewalt ausübt. Einer, der später zum Organisator des 7. Oktober wurde, Yahya Sinwar, kam als verurteilter Mörder aus israelischer Haft im Austausch mit über 1000 Häftlingen für die Freilassung der Geisel Gilad Shalit 2011 frei, war aber 1989, zwei Jahre nach der Gründung der Hamas, nicht nur wegen Mordes an zwei Israelis, sondern auch an vier Palästinensern verurteilt, die für die Hamas als Kollaborateure Israels halten. Die Hamas ist als Terrororganisation entstanden, blieb die ganze Zeit eine und wird es auch bleiben, wenn sie die Möglichkeit dazu hat.

Dass die Wahl 2006 die “demokratischste Wahl” in der Region gewesen sei, meint, demokratischer als die israelischen Wahlen. Das bezieht sich implizit auf den Apartheid-Vorwurf gegen Israel, der für die besetzten Gebiete gelten mag, aber bestimmt nicht für Israel als Staat. 20% arabische Israelis haben das Wahlrecht, aber seit Jahrzehnten repräsentierten die beiden arabischen Parteien nur ca. 6% der Mandate in der Knesset. Abgesehen von einigen Wählern, die vielleicht aus taktischen Gründungen linke jüdisch-israelische Parteien gewählt haben, praktizieren die meisten seit Jahrzehnten einen Wahlboykott und haben dadurch die politische Entwicklung gefördert, wie sie geschehen ist, statt Einfluss darauf zu nehmen. Hätten sie ihre Vertreter gewählt, hätten die Mehrheiten in der Knesset anders ausgesehen, und würden diese Vertreter eine kritische aber konstruktive Politik betreiben, wäre dadurch auch eine Friedensregelung seit langem vereinbart und gültig.

Die zweite Aussage von Albanese, das wörtliche Zitat, legitimiert auch noch einmal die Hamas durch die Verharmlosung ihres bewaffneten Arms, die Qassam-Brigaden, und ihrer Terror-Einheiten. Albanese hat den 7. Oktober als solchen verurteilt (siehe nachfolgend), minimiert ihn aber zu einer Art Entgleisung in einer als Verteidigung zu wertenden Aktion, nämlich gegen die Grenzsperranlagen und die Blockade des Gaza-Streifens durch Israel.

Diese oben erwähnte jüngste Erklärung von Albanese ist nicht die erste dieser Art, das Internet ist voll von lobenden, aber auch verurteilenden Stimmen zu ihrer Person, wegen etlicher Äußerungen, auf die wir hier außerhalb unseres engen Bezugsrahmens nicht weiter eingehen (z.B. Vergleich zwischen Israel und den Nazis etc.). Anfang Juli 2025 wurde sie von der Trump-Regierung mit Sanktionen belegt (Einreiseverbot u.a.).
 

 

 

[37] UN rapporteur: Hamas is an elected political force, not band of murderers, >MEMO, 18.8.2025.  - Vgl. auch Albanese claims Hams should be understoodas a ‘political force’,  nite ‘fighters’, >Jerusalem Post

 

 

 

 

 

 

Wie verhielt sich Francesca Albanese zum Pogrom der Hamas unmittelbar danach? Drei Wochen nach dem 7. Oktober erklärte sie auf UN-News, dass beide Seiten, Israel und Palästina, das Recht zur militärischen Verteidigung hätten. Diese Gleichberechtigung legitimiert den Teil der Hamas, der eben den 7. Oktober durchgeführt hat, gefolgt von einer Horde von nicht militärisch Organisierten. Albanese verurteilte den 7. Oktober, aber nur als Folge einer gleichsam entgleisten militärischen Aktion, die durch deren Zurückschlagung beendet war, von dem Raketenbeschuss ist keine Rede. aber alles Weitere seitens Israels sei bereits eine Verletzung des Völkerrechts:

    ”’There was an incursion in Israeli territory that resulted in the killing and brutalization of Israeli civilians so that incursions had to be repelled’,€ said Ms. Albanese.
    She argued that, once the attack was successfully repelled, however, the subsequent bombings of targets in Gaza represent violations of international law.”[38}

Dies zeigt das Verständnis von Kriegs- und Völkerrecht, auf dessen Grundlage sie ihr Gutachten für den israelischen Genozid verfasst hat. Selbstverständlich hat ein Angegriffener das Recht, den Angreifer über dessen Zurückdrängung über die Grenze hinaus zu bekämpfen mit dem Ziel eines militärischen Sieges. Die Grenzfrage spielt hier ohnehin keine Rolle, da zeitgleich auch der Raketenbeschuss auf Israel begonnen hat. Aber für die Hamas selbst gelten die völkerrechtlichen Restriktionen nicht, nur für Israel. Selbst wenn die Hamas die Befreiungsorganisation wäre, für die sie Albanese offensichtlich hält - sowie eine Mehrheit der UN-Vollversammlung, die die explizite Veurteilung des 7. Oktober als Terrorakt ablehnt - gälte für sie analog das Kriegsrecht.

Nach dem Gaza-Krieg 2014 hatte die UNO immerhin noch eine selbstkritische Untersuchung veröffentlicht, die zugab, dass UNRWA-Einrichtungen von der Hamas für militärische Zwecke genutzt worden waren [39]. Eine vergleichbares Selbstkritik oder auch nur Distanz fehlt heute. Das heißt aber nicht, dass propalästinensische Berichte, auf die sich Albanese in der Argumentation ihres Gutachtens beruft, per se falsch wären, was etablierte Fakten angeht, aber sie sind aber insofern einseitig, als sie das Agieren der Hamas vollkommen außer Acht lassen und den Krieg von vornherein als einen einseitigen Krieg Israels gegen Gaza darstellen. Entsprechend sind die Lagebeschreibungen oft auch in pauschalen Formulierungen gehalten oder in ihrem Duktus offen antiisraelisch orientiert, wenn darin schon von Anfang an vom Genozid die Rede ist.. Für eine journalistische Berichterstattung, die in diesem Kontext selten neutral sein kann, mag dies noch verständlich sein, es sind auch in vielen Fällen gravierende Auswirkungen des Kriegsgeschehens, aber deswegen noch nicht juristisch valable Beweise für den Genozid.

In der Geschichtsdidaktik wird als wissenschaftlich-analytische Grundlage der Unterschied zwischen Sachurteil und Werturteil vermittelt. Das erste stellt eine Sachlage fest - vereinfacht: richtig oder falsch -, das zweite eine politisch-moralische Bewertung - vereinfacht: gut oder schlecht. Natürlich überlappt sich beides und dennoch ist die Unterscheidung sehr wichtig und gerade hier: In der politischen Debatte bis hinein in die UNO geht es um eine Bewertung des Geschehens, bei der zudem von vornherein das schlecht feststeht und dessen Dimension nur bewiesen werden muss. Gefordert ist aber für eine politisch-juristische Entscheidung (sie kann nie nicht politisch sein, dazu ist der Ermessensspielraum zu groß) ein Sachurteil ohne persönliche Wertung: Gab es Kriegsverbrechen - welche, wie viele... - und gehen diese auf eine Systematik und Intentionalität zum Genozid zurück?

 

[38] Israel-Palestine crisis hat ‘reached an unprecedented level of dehumanisation’: Independent rights expert, >UN News, 29.10.20 

 

 

 

 

 

[39] Report of the UN Headquarters Board of Inquiry into Incidents Affecting UNRWA Schools during the 2014 Gaza War, New York, 27 April 2015, >Palquest

 

 

 

 

 

 

Worte und Taten

1. Militärisch

Dass Kriegsverbrechen seitens Israels stattgefunden haben, ist unbestreitbar, und dazu gibt es viele nachgeprüfte und nachprüfbare Einzelfälle, es gibt aber auch Falschmeldungen wie ganz zu Beginn des Krieges der angebliche Angriff auf das Al-Ahli-Krankhaus in Gaza Stadt am 17.10.2023 mit einem Explosions-Brand vor dem Eingang und vielen Toten, eine Falschmeldung sogar mit falschen Opferangaben durch das Gesundheitsministerium - ein Ereignis zehn Tage nach dem 7. Oktober, das die Täter-Opfer-Perspektive umkehren sollte und entsprechend propagandistisch bedeutend für die Bestätigung des “Genozid-Diskurses” war [40]. - Aber es gab gegen Ende, um nur diese beiden Eckdaten exemplarisch zu nehmen, den durch Video dokumentiertem gezielten Beschuss des Nasser-Krankenhauses in Khan Yunis, wo in zwei aufeinanderfolgenden Beschießungen Journalisten auf dem Balkon und dann Kollegen und medizinisches Personal beschossen wurden, die ihnen zu Hilfe eilen wollten [41].

Diese beiden Beispiele von der Anfangs- und Endphase mögen die Spannbreite zwischen Fakt und Fiktion oder - wichtiger noch - den “alternativen Fakten” verdeutlichen, die als solche normalerweise nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind, aber sofort eine Medienwirkung und entsprechende offizielle Reaktionen [40b,c] erzeugen, die nach einer Verfizierung kaum wieder einzuholen sind.

Eine Argumentationslinie der Vertreter der Genozid-These ist, dass die Summe der zivilen Toten und der Umfang der Zerstörungen eine Art “kritische Masse” erreicht haben, die die Absicht einer “totalen Vernichtung” belegen. Gewiss kann man das nicht pauschal von der Hand weisen. Nach Ende des Raketenbeschusses aus dem Gaza-Streifen durch die israelischen Gegenangriffe führte die IDF jedoch ihre Strategie fort, unterbrochen von kurzen Pausen und einer längeren Waffenrufe Anfang 2025, die ein Kriegsende nach dem späteren Modell von Trump schon hätte bringen können. An welcher Seite es definitiv lag oder ob an beiden, ist von außen chwer zu beurteilen. Jedenfalls zeigte die Endphase der Zerstörung des südlichen Gaza-Streifens (Khan Younis, Rafah) eine Vorgehensweise, die danach aussah, als wolle man durch die Zersötrung nahezu aller Gebäude sicherstelle, dass sich kein Hamas-Kämpfer, jedenfalls keiner mit erkennbaren Waffen, dort mehr verstecken konnte. Dasselbe gilt für die allerletzte Phase des Einmarsches in Gaza-Stadt bis zum Waffenstillstand.
 

[40a] Al-Ahli Arab Hospital explosion >Wikipedia /
[40b] UN chief ‘horrified’ by strike on Gaza hospital, as warring sides blame each other, >UN News, 17.10.2023/
[40c} Cf. Tanja Tricarico: Folgenreiche Schlacht der Narrative, >taz, 18.10.2023

[41] Siehe oben, “You break it, you own it” >Journalismus und Wahrheit

 

 

 

 

 

 

Das Geschehen exemplarisch im Brennglas eines episodichen Details:

Ein Detail, eine Episode daraus ist in ganz verschiedener Hinsicht aufschlussreich für die Problematik . Am 1.10.2025 berichtete Haaretz von der Verurteilung “von vier Soldaten der Nahal-Brigade”, eine speziellen Anti-Terror-Einheit in der Infanterie, “zu zehn Tagen Haft, nachdem sie sich geweigert hatten, in einem ungepanzerten  Humvee* am hellichten Tag eine Straße im Gaza-Streifen entlang zu fahren.” [42]. Sie sollen den Befehl bekommen haben, auf einer Hoch-Risiko-Straße mit Gebäuden, die die Armee noch nicht demoliert hatte, zu fahren. Noch nie hätten sie solch einen Befehl bekommen und selbst bei Nacht sei dies gefährlich, Tagsüber aber wären sie dort aber auf dem Präsentierteller für Snipers. Dies ist nur eine Episode von vielen, von denen Haaretz berichtet, wo IDF-Soldaten den Dienst verweigern.

Diese Episode zeigt uns aber noch viel mehr:

1. Die Strategie des levelling, wie es offiziös heißt (svw. Plattmachen), zur Sicherheit für die eigenen Soldaten und das weitere militärische Vorankommen. Ein regelrechter Häuserkampf wäre für die israelischen Soldaten katastrophaler als für die Hamas-Milizionäre, die aus der Position des Heckenschützen heraus agieren können. Vielleicht hatte die Hamas gedacht, dass die IDF in dieser Phase gestoppt würde. Es erklärt daher diese Tabula-rasa-Strategie, kann aber damit nicht pauschal all die zivilen Opfer rechtfertigen, ebenso wenig wie es dies zu einem Beweis für den Genozid macht. -
Es kann militärisch auch nicht verhindern, dass Hamas-Kämpfer in einen Tunnel verschwinden und anderswo wieder auftauchen, wie in der Nähe des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis (siehe oben), was in den Kontext für den Angriff auf das Krankenhaus gehört (siehe oben). Was in der internationalen Berichterstattung vollkommen unbeachtet blieb und auch in Israel selbst offiziell der Zensur unterstand, waren die eigenen ums Leben gekommenen Soldaten. Noch nach der “Befriedung” des Südens (Khan Younis, Rafah) liefen Soldaten in Sprengfallen und es wurde auch auf sie nahe der Verteilungszentren für Lebensmittel geschossen. Auch das gehörte zur Berichterstattung in Haaretz.

2. Die Hamas konnte noch bis zum Ende militärischen Widerstand leisten, auch wenn dieser vollkommen sinnlos, selbstmörderisch und katastrophal für die Bevölkerung war. Trotz dieser Sinnlosigkeit spielte weder das eigene Leben noch das der eigenen Bevölkerung eine Rolle. Diese für den “Genozid-Beweis” zu opfern war es allemal wert. Die suizidäre Märtyrer-Mentalität der Terroristen hat auch diejenigen beseelt, die den Terrorangriff vom 7. Oktober unternommen haben, den nicht zu überleben einkalkuliert war. Der Blutrausch einen ganzen Tag lang vor dem Ende entschädigte sie dafür.
 

[42] Report: Four IDF Soldiers Jailed for Refusing to Drive on Gaza Route in Unarmored Vehicle, >Hamas, 1.10.2025.
* High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle, ein leichtes Militärfahrzeug,

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3. In der Anfangsphase des Bodenkrieges gab es auch unter israelischen Soldaten rauschhafte Rachegefühle, oder, moderater, eine enthusiastische Identifizierung mit der ihnen aufgetragenen Mission, wie Haaretz und andere Medien ebenfalls berichtet haben, doch das ließ nach und ihre Zahl wurde dann wohl von denjenigen übertroffen, die frustriert bis traumatisiert innerlich und manchmal auch manifest nicht mehr bereit waren alles hinzunehmen. Große Frustration gegen Netanyahu gab es auch auf Offiziersebene, nach dem, was davon durchsickerte, und die Umbesetzung mehrerer Führungsposten in der IDF bereits in früheren Phasen zeugt auch davon.

4. Trotz der beschriebenen operativen Sicherheitsmaßnahmen, die am Ende zur Zerstörung fast des ganzen Gaza-Streifens führten, kam die israelische Armee also in vielfacher Hinsicht an ihre Grenze, in diesem Fall, weil der örtliche Befehlshaber gar keine Rücksicht mehr auf seine eigenen Leute nahm. Dass er nur nach den militärischen Notwendigkeiten gehandelt habe, war das zwangsläufige offizielle Statement dazu. Befehlsverweigernde Soldaten konnten ja nicht Recht haben.
Und doch hat der neue Generalstabschef Eyal Zamir, den Netanyahu extra gegen den alten ausgetauscht hatte und der als “messianischer” Nationalist gilt, vor der Operation gegen Gaza-Stadt gewarnt. Das Argument der Gefährdung der Geiseln war dabei ernst gemeint, nicht nur vorgeschoben, erlaubte aber, das andere dahinter zu verstecken, nämlich die Gefährdung der eigenen Soldaten und das Risiko von weiterem Unmut [43].

____________________________________

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[43]  Cf. u.a. IDF Chief Takes Rate Stance as Netanyah’s Promised Quick Win in Gaza City Falters, >Haaretz, 19.9.2025.

In die ganze Begutachtung einbezogen werden müssen selbstverständlich die Versuche von israelischer Seite, die Zivilbevölkerung durch Vorwarnungen aus dem militärischen Handeln herauszunehmen. Ich sage hier: Versuche, denn nach einer Systematik dessen am Anfang und ganz am Ende (Gaza Stadt) ist dies im weiteren Verlauf zu einem Stakkato von Evakuierungsaufforderungen geworden, bei dem von außen und vermutlich auch von innen nicht mehr zu erkennen war, warum es ging, aus welchem Sektor, Carré oder Haus man  wohin fliehen sollte und in welcher Zeit, zudem über riesige Distanzen, wenn man nur zu Fuß unterwegs war. Diese Evakuierungen vor der Gefahr wurden zu ständigen Vertreibungen mit weiteren Gefahren, nicht nur einmal wurden Zeltlager in den vorgesehenen Sicherheitszonen beschossen - klar, auch Hamas-Leute sind dorthin gegangen, aber das rechtfertigt den Beschuss eindeutig nicht.

Gleichwohl stehen diese Maßnahmen trotz allem, was man an ihnen kritisieren kann, darf und auch muss, auf der Habenseite der israelischen Kriegführung in der Genozid-Frage. In der Genfer Konvention gibt es den Passus: “Angriffen, durch welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, muss eine wirksame Warnung vorausgehen, es sei denn, die gegebenen Umstände erlaubten dies nicht.” [44]. Die Relativierung im letzten Halbsatz ist typisch und unvermeidbar ist diesem Kontext und macht deutlich, dass es eine formalistische Beurteilung ohne Berücksichtigung der genauen Umstände nicht geben kann.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

[44] Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949, Prorokoll I, 8.6.1977, Art 57, 2c, >fedlex

Die Angemessenheit oder Rücksichtslosigkeit der Kriegführung auf israelischer Seite kann hier nicht abschließend bewertet werden. Es sei daran erinnert, dass die Genfer Konvention “Kollateralschäden” (nicht mit diesem Begriff) in einem rationalen Verhältnis zur Zielsetzung zulässt - immer eine schwierige Ermessensfrage, vorher, während und danach - und dabei auch den Schutz der eigenen Soldaten einbezieht.

Aber die Kriegführung der Hamas ist in der internationalen Debatte und auch auf UN-Ebene gar kein Thema - das kann nicht oft genug betont werden. Das liegt in der Wahrnehmung natürlich auch daran, dass die Hamas ihren Krieg gnadenlos verloren hat, militärisch jedenfalls, nicht unbedingt politisch, und nur der Sieger sich rechtfertigen muss.

2014 wurde eine Karte von Raketenabschusspunkten im Gaza-Streifen aus der Auswertung von Satelitenaufnahmen erstellt, die zeigt, dass von nahezu jedem Punkt in bebauter und bewohnter Fläche aus ein Abschuss erfolgt ist [45}. Die Kritiker würden hierzu sagen, das ist so von der IDF fabriziert, um das flächendeckende Bombardement zu legitimieren. Wegen Parteilichkeit muss man dann aber auch sämtliche Quellen der Gegenseite ausschließen. Dass Raketen aus den Wohngebieten abgeschossen wurden, ist eine international etablierte Erkenntnis, auch wenn sie von manchen verschwiegen wird.

Wegen dieser Einseitigkeit gilt aber nicht der Umkehrschluss: Weil dies so ist, dürfe die israelische Kriegführung gar nicht hinterfragt werden. Ohne eine Einbettung in den ganzen Kontext des Geschehens kann die Frage nach dem Genozid aber gar nicht adäquat, d.h. sachgerecht, auf der Basis etablierter Daten und nicht einseitig, beurteilt werden.

 

 

[45] Map of rockets launches from Gaza from 2014-07-08 to 2014-07-31, IDF Spokesperson’s Unit, >Wikimedia

Wie sieht es aber mit den Äußerungen von israelischen Verantwortlichen zum Ziel und zu den Methoden der Kriegführung? Dsa Problem des “Kronzeugen” Herzog, die Verzerrung seiner Aussage im Wortlaut und Verfälschung von deren Inhalt haben wir ausführlich analysiert. Die Bestandsaufnahme des IStGH vom 26.1.2025 erwähnt außerdem noch eine Aussage von Israel Katz, damals Minister für Energie und Infrastruktur, heute Außenminister, vom 23.10.2023:

    “We will fight the terrorist organization Hamas and destroy it. All the civilian population in [G]aza is ordered to leave immediately. We will win. They will not receive a drop of water or a single battery until they leave the world.” [46]

Francesca Albanese fügt in ihrem Gutachten “Anatomy of a Genocide” weitere Äußerungen hinzu [47]: Netanyahus Vergleich mit den altbiblischen Feinden der Amalekiter, wo Gott König Saul beauftragt, sie vollständig zu vernichten. Der Vergleich assoziierte bewusst auch die geographische Übereinstimmung, da die Amalekiter ungefähr in der Region Gazas lebten. Ist diese Aussage aber wörtlich zu nehmen, soll sie die Soldaten darauf einstimmen, was sie tun sollen, oder ist das Zitat nur nur wörtlich zitiert, aber symbolisch gemeint, und sind ist Amalek hier nur die Hamas, nicht die Bevölkerung Gazas? Letzteres wird Netanyahu mit Sicherheit behaupen, wenn nicht schon geschehen.

Dann der damalige Verteidigungsminister Yoav Gallant:

    “Minister of Defense, Yoav Gallant, referred to Palestinians as ’human animals’ and announced a ’full offense’ on Gaza, having ’released all the restraints’, and that ’Gaza will never return to what it was.’”

Das “referred to Palestinians” ist jedoch wieder eine arglistige Verfälschung der Aussage, denn diese bezog sich eindeutig, auch in den von Albanese zitierten Quellen, auf die Hamas, nicht auf die Palästinenser [48].  Gravierender ist die am 9.10. damit verbundene Ankündigung, hier von Albanese nicht zitiert, aber an anderer Stelle, der Stadt Gaza zu belagern und Strom, Wasser und Lebensmittel bis zur Rückgabe der Geiseln abzustellen. Dazu kam es zwar nicht in dem Ausmaß, aber dieses strukturelle Problem stellte sich weiter. Wir gehen unten näher auf diese Fragen ein.
 

 

 

 

 

[46] Order..., op. cit., S. 13.


[47] Anatomy of a Genocide, op. cit., S. 13.

 

 

 

 

 

 

 

[48] Gallant am 9. 10.2023 >YouTube und am 10.10.2023 >Times of Israael.

 

 

Ferner sprach der Sprecher der Streitkräfte von einer “maximalen Zerstörung”, eine Likud-Abgeordnete präzisierte dies: “Bring down buildings!! Bomb without distinction!!…Flatten Gaza. Without mercy! This time, there is no room for mercy!” und der Landwirtschaftsminister kündigte eine “Gaza Nakba” an, was eine Vertreibung bedeutete. Dies bezeichnet Albanese als “calls for annihilatory violence, directed at Israeli troops on duty” und bezieht sich dabei auf eine umfangreiche Auflistung von Äußerungen des des Hasses, die von dem Projekt Law for Palestine gesammelt und ins Internet gestellt wurde [49]. Darunter ist auch die auf das kürzeste verfälschte Aussage von Herzog: There are no innocent civilians in Gaza". Die von Albanese herausgegriffenen, weil bedeutendsten, sind mit Ausnahme derer des Premierministers und des Verteidigungsministers keine relevanten Instruktionen für die Streitkräfte. Äußerungen des Hasses finden sich dann noch mannigfaltig in der Sammlung von sekundären Personen und bezeichnend ist für die Verantwortungsträger noch folgnedes Zitat von Natanyahu, ergänzend zum Spruch von “den Tieren” von Gallant:

    ““We’re facing monsters, monsters who murdered children in front of their parents . . . This is a battle not only of Israel against these barbarians, it’s a battle of civilization against barbarism” [50]

Dies wird kategorisiert als “genocidal intent / dehumanisation”.

 

 

 

 

[49] >Law for Palestine

 

 

 

 

[50] Christmas message from PM Netanyahu, 24.12.2023, >Ministry of Foreign Affairs

 

2. Humanitär

Anders als mit der schwierigen Beurteilung des Militärischen sieht es mit den humanitären Fragen aus.

Mehr demnächst...!