Der Sechstagekrieg und die Folgen
Präventivkrieg oder bewusster Expansionskrieg?
Dokumente, die eine Rolle spielen
Im Folgenden handelt es sich nicht um Quellen im eigentlichen Sinne, sondern es geht um Darstellungen, die in der Medienlandschaft verbreitet sind und sich auf verfälschte Quellen berufen bzw. diese falsch wiedergeben. Deren wirklicher Inhalt wird hier zusammengefasst und die Differenz zwischen beidem analysiert. Es sind exemplarische Fälle, die die Komplexität der Spannbreite zwischen Wahrheit, Interpretation und Manipulation zeigen.
Die Befürworter der These vom Expansionskrieg 1967 zitieren einige israelische Politiker als „Kronzeugen“ gegen die offizielle Rechtfertigung des Krieges durch die Präventionskriegsthese. Im Nachhinein hätten diese Politiker zugestanden, dass es kein Präventivkrieg gewesen sei, weil die arabische Seite, d.h. v.a. Ägypten, nicht kriegsbereit gewesen sei oder von sich aus den Krieg nie ausgelöst hätte.
Die damalige Debatte in Israel und innerhalb der israelischen Regierung vor Kriegsbeginn ist von dem kritischen israelischen Journalisten und Historiker Tom Segev sehr detailreich recherchiert und dargestellt worden.
Das Argument mit den „Kronzeugen“ hat sich dagegen im Internet auf zahlreichen Seiten bereits komplett verselbstständigt. Unabhängig, wie man unter Berücksichtigung aller Faktoren den Krieg bewerten will, sollten die Grundlagen für eine solche Beurteilung klar sein. Wir fassen deswegen zwei „Kronzeugen“-Quellen mit wichtigen Zitaten zusammen und zeigen den Unterschied zwischen Original und verfälschter Wiedergabe bzw. Interpretation auf.
Zu berücksichtigten ist bei dieser Auseinandersetzung auch generell, dass die Folgen aus dem Sechstagekrieg nicht primär eine Erklärung für die Ursache des Krieges geben können, auch oder gerade wenn beides im Rückblick ineinander zu greifen scheint.
1. Itzhak Rabin 1968
Le général Rabin ne pense pas que Nasser voulait la guerre / General Rabin denkt nicht, dass Nasser den Krieg wollte
Unter diesem angesichts des nachfolgend dokumentierten Inhalts irreführenden Titel publizierte die französische Zeitung Le Monde ein Interview mit Itzhak Rabin, der im Sechstagekrieg 1967 Generalstabschef der israelischen Streitkräfte gewesen war, also ihr oberster Kommandeur, und zum Zeitpunkt des Interviews gerade seinen neuen Posten als israelischer Botschafter in Washington angetreten hatte. Als Generalstabschef hatte Rabin nicht nur den Krieg vorbereitet und geleitet, sondern im Vorfeld auch weit über seine eigentlichen militärischen Kompetenzen hinaus Politik betrieben. Der eigentlichen Eskalation mit Ägypten unter Staatspräsident Nasser ging eine monatelange Konfrontation an der syrisch-israelischen Grenze voraus, von der aus terroristische Gruppen der Fatah von Arafat Anschläge in Israel verübten.
Die Angriffe der Fedayin, wie man die Kämpfer der Fatah oder anderer Organisationen nannte, die fast täglich über die syrische Grenze hinweg in Israel erfolgten, hatten Rabin am 12.5.1967, drei Wochen vor Ausbruch des Sechstagekrieges, dazu gebracht, öffentlich zu erklären, dass am Ende das syrische Regime gestürzt werden müsse. Alle Augen richteten sich daher auf den syrisch-israelischen Konfliktherd und die Erwartung eines Krieges, der von Syrien ausgehen werde, verstärkte sich, zumal der ägyptische Präsident Nasser zwei Tage nach der Äußerung Rabins Truppen auf die seit 1956 entmilitarisierte Zone auf der Sinai-Halbinsel schickte. Von Le Monde wurde Rabin befragt, ob er denn zur Auslösung des Krieges beigetragen habe.
Rabin lehnte dies ab und verwies darauf, dass er diese Meinung schon 1966 publik gemacht habe und dass Nasser gewiss jetzt nicht alleine deswegen diesen Schritt vollzogen habe. Von ihm wurde erwartet, jetzt Syrien beizustehen, zumal ihm andere arabische Staaten Untätigkeit und die seit 1956 auf dem Sinai stationierte UN-Friedenstruppe als Deckmantel dafür vorwarfen.
Nasser erreichte dann durch Druck auf UN-Generalsekretär U-Thant den Abzug der UN-Bauhelme.
“Ich glaube nicht“, erklärte Rabin hierzu, ”dass Nasser den Krieg wollte. Die beiden Divisionen, die er am 14. Mai auf den Sinai schickte, hätten nicht ausgereicht um eine Offensive gegen Israel auszulösen. Er wusste es und wir wussten es. [...] Er bluffte; er wollte sich, ohne dass es viel kostete, als der Retter Syriens präsentieren und so große Sympathien in der arabischen Welt gewinnen.“
Nasser glaubte laut Rabin nicht, dass Israel einen Krieg gegen Syrien führen würde, weil er die militärische Macht Israels bei weitem unterschätzte.
Dabei blieb es jedoch nicht. Nun sperrte Nasser auch die Straße von Tiran, die Meerenge im Golf von Akaba, den Zugang vom israelischen Hafen Eilat zum Roten Meer. Nachdem dies schon einmal 1956 für Israel der Auslöser für den Sinaikrieg ( -oder Suezkrieg wegen der Verstaatlichung des Suezkanals) gewesen war und danach zum casus belli (Kriegsgrund) im Wiederholungsfall erklärt wurde, verschärfte sich die Lage und Nasser stockte die ägyptischen Truppen auf dem Sinai auf 7 Divisionen auf. Nun ”wurde Nasser von der Welle an populärer Begeisterung in der arabischen Welt vergiftet, so wie von seiner eigenen Propaganda“, sagte Rabin, eine Welle, von der er sich tragen ließ und davon auch nicht mehr zurück konnte. Aus dem Bluff wurde Ernst. Der internationale Kontext des Kalten Krieges, die Unterstützung durch die Sowjetunion, all dies trug dazu bei.
Aus dem Interview ist also keineswegs herauszulesen, dass Rabin im Nachhinein von der Präventivkriegsthese abgerückt wäre, wie man auf zahlreichen Print- und Internetseiten lesen kann. Vielmehr beschreibt er aus seiner Sicht, wie Nasser Gefangener seiner eigenen Eskalation des Konflikts wurde. Die Überschrift des Artikels von Le Monde ist insofern irreführend, als die Aussage „Nasser wollte keinen Krieg“ sich nur auf die erste Phase bezieht, noch vor der Sperrung des Golfs von Akaba. Mit dieser Äußerung antwortet Rabin vielmehr auf den von Le Monde angedeuteten Vorwurf, mit seiner Äußerung zu Syrien habe er die Eskalation losgetreten (12.-14. Mai). Die Antwort Rabins in Bezug auf Nasser ist also eine Zurückweisung dieses an ihn, Rabin, gerichteten Vorwurfs, keine nachträgliche Entlastung Nassers für die weitere Entwicklung. Die beiden Divisionen auf dem Sinai am 14. Mai waren noch symbolisch, Nasser erwartete zu diesem Zeitpunkt noch keinen Krieg. Ganz im Gegensatz zum Titel des Interviews rechtfertigt Rabin darin aber die anschließende Reaktion Israels auf die weitere Eskalation und v.a. auf das, was Israel nach seinen Worten als casus belli betrachten musste und was nach der Vorgeschichte von 1956 auch überhaupt kein Geheimnis war.
Le Monde, 29.2.1968, S.1, S. 4 Archiv (Volltext nur für Online-Abonnenten)
2. Menachem Begin, 1982
Alternatives of War - Kriegsalternativen
In dieser publizierten Version einer Rede nahm Ministerpräsident Menachem Begin Stellung zur Frage nach der Wahl der Mittel und namentlich der Kriegsfrage in Bezug auf die damals laufende „Operation Frieden für Galiläa“, den Einmarsch im Libanon zur Bekämpfung der PLO. Dabei unterzog er historische Kriege in Europa sowie die bis dahin geführten israelischen Kriege einem strukturellen Vergleich. Der Unabhängigkeitskrieg, den Begin von November 1947 bis Januar 1949 datiert, sowie der Yom-Kippur-Krieg 1973 und der darauf folgende Stellungskrieg auf dem Sinai seien alternativlos, weil Israel von außen aufgezwungen, gewesen. Diese drei Kriege hatten hohe Verluste an Soldaten gebracht. Der Suez-Krieg 1956 sowie der Sechstagekrieg 1967 dagegen seien Entscheidungen im Rahmen von Alternativen gewesen, der zweite im Übrigen eine Wiederholung des ersteren unter Vermeidung des damals gemachten Fehlers, nämlich sich nach einer militärisch siegreichen Operation auf politischen Druck von außen (USA) wieder zurückzuziehen. Begin, damals in der rechten Opposition gegen die Regierung der Arbeitspartei, wurde in der Krise 1967 als Minister in die „Regierung der nationalen Einheit berufen“ und war an den Entscheidungen beteiligt.
“Im Juni 1967 hatten wir wieder eine Wahl. Die Konzentration der ägyptischen Streitkräfte im benachbarten Sinai beweist nicht, dass Nasser wirklich dabei war uns anzugreifen. Wir müssen ehrlich gegenüber uns selbst sein, wir entschieden anzugreifen. Dies war eine Tat der Notwehr im edelsten Sinne des Wortes. [...]
Wir taten dies nicht aus Mangel an einer Alternative. Wir hätten auch weiter warten können. Wir hätten die Armee nach Hause schicken können. Wer weiß, ob es einen Angriff auf uns gegeben hätte? [...]
[…] Wenn wir in den beiden Kriegen, für die wir uns willentlich entschieden haben – der Sinaifeldzug und der Sechstagekrieg –, Verluste gehabt hätten wie in den alternativlosen Kriegen, wären heute nur noch wenige unserer besten Jugend übrig, ohne die Stärke, der arabischen Welt zu widerstehen.“
Auch Begin liefert hier also keineswegs einen Beleg für einen gewollten Eroberungskrieg Israels, wie diejenigen, die nur den Anfang dieses Textes zitieren, behaupten. Unabhängig davon, was man von Begins Argumentation hält, so war für ihn die gewählte Option für den Angriff 1967 auch ein Akt der Selbstverteidigung, erstens angesichts des von Ägypten provozierten casus belli, zweitens wegen der Ungewissheit der weiteren Absichten Ägyptens und drittens wegen der Chance bei einem Präventivschlag den Krieg mit weitaus weniger Verlusten gewinnen zu können.
Der Jom-Kippur-Krieg 1973 war eine Revanche Ägyptens mit umgekehrten Vorzeichen: Diesmal wurde Israel überrascht, konkrete Anzeichen auf einen neuen Krieg wurden ignoriert. Eine gute zusammenfassende Darstellung gibt es von Judith Berthold anlässlich des 40. Jahrestages (6.10.1973/2013) auf Zeitgeschichte Online.
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