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Geschichtslehrer/innen Forum
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Thema: Das Geld. Zur Geschichte des Finanzwesens
4. Zum Finanzwesen im Mittelalter: Geldverleih und Zinsproblematik (“Wucher”) a) Darstellung
Wolfgang Geiger
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Auf der >vorherigen Seite: Geld, Kirche, “Wucher”
Übersicht:
Einleitung Finanzplätze im Mittelalter: 1. Frankfurt am Main (>hier) 2. Troyes (>hier) 3. Chartres (>hier)
Quellen auf der >nächsten Seite: Finanzpraktiken auf der Champagne-Messe Geldanleihe gegen Zinsen. Aus einem italienischen Vertrag von 1161
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Einleitung
Ein historischer Mythos erzählt davon, dass Christen der Geldverleih gegen Zins verboten war und deswegen die Juden, die wiederum aus den Berufen der christlichen Zünfte ausgeschlossen waren, den Geldverleih quasi exklusiv betrieben. Tatsächlich waren weder alle Juden Geldverleiher noch alle Geldverleiher Juden, es gab unzählige Christen, die dieses Gewerbe auch betrieben. Es waren europaweit agierende Kaufleute aus Norditalien, deswegen Lombarden genannt, oder zeitweise Franzosen aus der Stadt Cahnors in Südfrakreich, lat. cauvercini oder deutsch Gawerschen oder Kawertschen genannt (frz. Cahorsins) , sowie jeweils auch lokale Geldverleiher. Siehe hierzu Quellen auf www.juedischegeschichte.de, eine Kritik an den klischeehaften Darstellungen sowie eine Literaturliste dort auf eine anderen Seite (hier).
Wolfgang Geiger: Christen, Juden und das Geld. Über die Permanenz eines Vorurteils und seine Wurzeln, in: Einsicht 04. Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Herbst 2010, S.30-37. - Das ganze Heft ist online als pdf-Datei verfügbar: hier.
Neuerscheinung Herbst 2014: Martin Liepach / Wolfgang Geiger: Fragen an die jüdische Geschichte. Darstellungen und didaktische Herausforderungen, Schwalbach/Ts. (Wochenschau), 2014, 189 S.. (> Wochenschau-Verlag)
Zunächst sollen hier einige Beispiele für die Realität des Geldwechsel- und verleihgeschäfts im städtegeschichtlichen Horizont gegeben werden.
Die Geldwechsler hatten ihre Stände (später Bank genannt vom italienischen banco, Tisch) in der Innenstadt, oft in direkter Nähe zur Kirche oder Kathedrale in Bischofsstädten, und als sich dies insitutionalisierte, wurde oft die entsprechende Gasse nach ihnen benannt: in Frankreich, wie in Troyes oder Chartres, Rue des Changes. Wo das Königsrecht des Münzprägens auf die Landesherren und sogar auf die Städte übertragen wurde, residierten die Geldwechsler oft in der Münzgasse oder in nächster Nähe der Münze, häufig auch zusammen mit den Goldschmieden. Nicht immer ging damit eine entsprechende Umbenennung der Straße einher, z.B. in Basel:
“Die frühsten bekannten Prägestätten von Basel befanden sich am Fischmarkt wo man auch die Geldwechsler fand. In der Mitte des 13.Jh teilte sich die Bürgerschaft Basels, dank vergebener Darlehen der Stadt an den Klerus, die Aufsicht mit dem Bischof über die bischöfliche Münzstätte.” (Basel und seine Münzgeschichte).
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1. Frankfurt am Main
In der Messestadt Frankfurt am Main waren die Geldwechsler im Zentrum der Stadt ansässig: “Auf dem Römer selbst hatten die Goldschmiede und Geldwechsler ihr Quartier. Hier wurden bereits seit dem Mittelalter Kredit- und Geldgeschäfte betrieben, bevor seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die regelmäßige, börsenähnliche Abwicklung des Messezahlungsverkehrs hier ihren Ort hatte.” (Brübach, S. 169).
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Nils Brübach: “Die Entstehung und die Frühzeit der Frankfurter Messe”, in: Peter Johanek / Herinz Stoob (Hg.): Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit, Köln (Böhlau), 1996,
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Frankfurter Innenstadt um 1350, rekonstruiert aus dem damaligen Straßenverzeichnis von Baldemar von Petterweil (Original in Latein) und dem Plan von Christian Friedrich Ulrich von 1810. Bearbeitet von Werner Nosbisch, Hochbauamt und Wirtschaftsam der Stadt Frankfurt am Main, 1930, Wikimedia Commons. Die beiden Einträge zur Münze sind von uns (W.G.).
Die Lokalisierung der Frankfurter Münze ist nicht einfach nachzuvollziehen und hat im Laufe der Jahrhunderte wohl auch gewechselt. Die heutige Münzgasse verdankt ihren Namen der späteren Zeit, aus dem 16. Jh. ist eine Lokalisierung in der Saalgasse 13 (damals Heilig-Geist- oder Spitalgasse) identifizierbar, so jedenfalls bei Paul Joseph / Eduard Fellner: Die Münzen von Frankfurt am Main nebst einer münzgeschichtlichen Einleitung und mehreren Anhängen, Frankfurt a.M. 1896, S. 618. Die originale Quelle lautet: “behausung zu Frankfurt zum Dreischenken genannt, gelegen vf dem weckmarkt, stoss hinden vf dem Spitall.” (ebd.). Bei dem Spital handelt es sich um das Heilig-Geist-Spital bei der gleichnamigen Kirche, der Weckmarkt entstand in der alten Judengasse nach der erzwungenen Einquartierung der Juden in der neuen Judengasse am Stadtrand 1462. Das Haus “zum Trinkschenk” führt zur Lokalisierung in der der Saalgasse 13. Für die Prägung des Hellers gibt es einen Hinweis von 1333 auf ein Haus “da etwa die haller muntze inne was”, leider nicht näher lolkalisiert bei Michael Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart (Steiner), 1998, S. 205. Die Existenz einer eigenen Münzprägung geht wohl auf die Mitte des 12. Jh.s zurück.
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2. Troyes
Troyes war eine der Städte in der Champagne, in der und vor deren Toren die Champagne-Messe entstand, der größte periodische Handelsplatz des Mittelalters. Da die Messen an verschiedenen Orten der Champagne zirkulierten, wurde daraus so etwas wie eine Dauermesse, die fast das ganze Jahr über stattfand.
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Plan historique de la ville de Troyes..., 1824. Bibliothèque Nationale de France, www.gallica.bnf.fr
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“In der Rue des Changes haben die Geldwechsler ihre Stände. Auf ihren Tischen ‘prüfen’ die Waagen das Münzgeld. Hier zahlt man in klingender Münze, also bar, oder in Messe-Tratten [frz. traites], einer Art Wechsel.” (Troyes: la pétillante comtesse de Champagne / historia.fr - Übers. W.G.). Die Champagne-Messe trug maßgebich zur Entstehung und Entwicklung des bargeldlosen Verkehrs bei. In einer Abhandlung aus dem 14. Jh., die die Geschichte der Champagne-Messe zu Zeiten ihres Niedergangs rückblickend erzählt, gibt es auch eine ausführliche Beschreibung der Zinspraktiken beim Geldverleih, die zu immer drastischeren Zinsen führten, und wie die Versuche, diesen Missstand zu beschränken, unterlaufen wurden - siehe unten: Finanzpraktiken auf der Champagne-Messe.
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“Auf dem Wechslerplatz [Place des Changes] standen die Tische der Lombarden und Gawertschen [Cahorsins], mit einem Teppich darüber und mit Waagen ausgestattet. Piastres, pistoles, livres tournois, livres parisis, Florentiner Gulden, die unterschiedlichsten Münzen gingen durch die Hände der Wechsler, die sie wogen und tauschten. Diese Tische konnten verpachtet, verliehen und verkauft werden und brachten mehr oder weniger beträchtliche Gebühren ein. Das Amt des Wechslers wurde nur ehrbaren Männern zugeteilt, wie jenem Girard de Nivelle, der Kammerherr des Königs von Navarra wurde, und Guillaume de Lart, der de Grundherren, Grafen und sogar den Prälaten Geld lieh.” Alexandre Assier: Ce qu’on apprenait aux Foires de Troyes et de la Champagne au XIIIe siècle suivi d’une Notice historique sur les Foires de la Champagne et de la Brie, Paris (Champion), Seconde éd., 1875, S. 41. Übers. W.G.
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3. Chartres
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Fenster Nr. 22. (MItte 13. Jh.)
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Oben und unten, Fenster Nr. 22, Ausschnitte. -
Auf dem Ausschnitt erkennt man links unten einen Geldwechsler mit einem Kunden, in der Waage liegen Münzen so, ebenso auf dem Tisch; rechts unten zwei Geldwechsler, der eine gebeugt, der andere mit dem erhobenen Finger oder der prüfenden Hand (?), auf dem Tisch Münzen.
Die Abbildung der Kaufleute und Wechsler - die Stifter des Fensters - wurde in das Thema des Bildes integriert “um das Andenken an Josef, Sohn Jakobs, zu ehren, der von seinen Brüdern für zwanzig Silberlinge an die Ismaeliten verkauft wurde, ein Verweis auf die Parallele bei Christus, der von Judas verkauft wurde.” (Sauvagnon, S. 59. Ein älterer Judas war es auch, der den Verkauf von Josef vorschlug, allerdings rettete er ihm damit das Leben, da ihn die anderen Brüder in einen Brunnen werfen wollten. Der jüngere Judas, der Jesus verriet, lieferte ihn umgekehrt damit dem Todesurteil aus.
Dieser indirekte, aber deutliche Hinweis auf das Judas-Motiv erstaunt, da es die Kaufleute und Geldwechsler selbst waren, die dies hier thematisierten. Ganz offensichtlich wollten sie ihr Gewerbe in ein gutes Licht stellen und sich von unmoralischen Handlungen, wie sie die Bibel erzählt, distanzieren. Der Geldwechsler/-verleiherberuf war also keineswegs als solcher verfemt, sondern erscheint hier in die Gesellschaft integriert. Vermutlich aber erhielten die Spender für den Kathdralenbau auch Absolution für ihre Wuchersünden.
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Jeanine Sauvanon: Les métiers au Moyen Age. Leurs ‘signatures’ dans les vitraux - Cathédrale de Chartres, Eds. Houvet, 1993 (22000)
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Der erhobene Zeigefinger könnte einer Mahnung des Kunden gelten; eine andere und vielleicht wahrscheinlichere Entzifferung der Geste deutet diese als Prüfung einer Münze auf Echtheit. Cf. Sauvanon, op. cit., S. 59. Die technischen Möglichkeiten der Vergrößerung des Details erlaubt bei der vorliegenden Qualität des Fotos leider keine eindeutige Aussage, ob in der and einMünze gehalten wird. Der Blick des Geldwechslers scheint jedoch eher zu seinem Kunden als auf seine Hand zu gehen.
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Textquellen zum Thema - Fortsetzung auf der >nächsten Seite: Finanzpraktiken auf der Champagne-Messe Geldanleihe gegen Zinsen. Aus einem italienischen Vertrag von 1161
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