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Die Heppenheimer Tagung 1847
im Gasthof zum Halben Mond

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Gasthof Zum halben Monde, Stahlstich von 1840.
Wikipedia

Karl Mathy, Lithographie, ca. 1842. Wikimedia Commons

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Am 9.-10. Oktober 1847 trafen sich im Gasthof zum halben Monde in Heppenheim zahlreiche Abgeordnete aus den damals existierenden deutschen Landtagen. Die Gasthof wurde zu einer Begegnungsstätte des deutschen Liberalismusauch in späterer Zeit, siehe Gasthof zum Halben Mond.
Karl Mathy war Jurist, badischer Beamter seit 1832, und gleichzeitig liberal eingestellter Journalist, half 1832 und 1833 verfolgten Oppositionellen zur Flucht in die Schweiz und musste 1835 selbst dorthin emigrieren. 1840 wurde er rehabilitiert und 1842 Mannheimer Abgeordneter in der 2. Kammer der Badischen Ständeversammlung. 1848 wurde er in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. In Heidelberg gab er seit 1847 zusammen mit Friedrich Daniel Bassermann die Deutsche Zeitung heraus, die schnell zu einer Art “Zentralorgan” der liberalen Opposition wurde. Dort berichtete Mathy auch selbst über die mit von ihm organisierte Heppenheimer Tagung. Zum weiteren Kontext der Versammlung vgl. auch “Orte, Personen und Institutionen der Demokratiegeschichte in Hessen / Die Heppenheimer Tagung 1847” auf der Website des Verbandes Hessischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer.

Der erste Jahrgang der Deutschen Zeitung ist als Scan online erhältlich in der Digitalen Bibliothek in München: hier; Link zur Ausgabe vom 15.10.1847: hier.

[Bericht über die Heppenheimer Tagung am 9.-10. Oktober 1847]
in: Deutsche Zeitung (Heidelberg) N°107, 15.10.1847, S. 852-853.
[Der Autor war Karl Mathy, Mitherausgeber der Zeitung und Mitorganisator der Tagung.]

Heppenheim, 10. Oktober. Heute waren in dem Gasthause zum „Halben Mond“ Kammermitglieder aus verschiedenen deutschen Staaten in freundschaftlichem Kreise versammelt. Es hatten sich eingefunden: aus Preußen Hansemann; aus Württemberg Federer, Fetzer, Goppelt, Murschel und Römer; aus Baden Bassermann, Buhl, Dennig, v. Itzstein, Kapp, Mathy, v. Soiron, Welcker und Weller; aus Hessen v. Gagern und Wernher; aus Nassau Hergenhahn. Noch andere waren erwartet, aber theils durch die Landtage (in Baiern und Kurhessen), theils durch andere Hindernisse abgehalten; Mevissen aus Köln traf durch ein Versehen bei der Einladung erst am folgenden Tage ein. Der Zweck der Zusammenkunft war neben dem Wunsche, persönlich miteinander bekannt zu werden, der Austausch der Gedanken und Ansichten über den zweckmäßigsten Weg, mehr Einheit und Gemeinsamkeit in die Leitung und Vertretung der deutschen Nationalangelegenheiten und Interessen zu bringen; sodann die Anträge zu bestimmen, welche in dieser Hinsicht sowohl, wie in bezug auf die gemeinsamen Rechte und für Abhülfe der in der Gegenwart hervortretenden allgemeinen Übelstände, an den Landtagen, welche teils schon versammelt sind, teils in der nächsten Zeit zusammentreten, zu stellen sein möchten. Endlich sollte auch die Frage erörtert werden, ob es nicht zweckmäßig sei, nach dem Beispiel anderer Versammlungen alljährlich größere Zusammenkünfte von Deputirten aus den verschiedenen Staaten mit landständischer Verfassung zu veranstalten.

Schon am Vorabend waren mehrere der oben Genannten eingetroffen und hatten bis tief in die Nacht die Besprechungen begonnen, welche heute fortgesetzt und erst gegen Abend geschlossen wurden, als die letzten  Züge der Main-Neckarbahn die Freunde nach Süden und Norden auseinander führten.

Was zunächst die Förderung der Nationalanliegen durch gemeinsame Leitung und Vertretung betrifft, so war man darüber einig, daß von der Bundesversammlung, wie sie gegenwärtig besteht, nichts Ersprießliches zu erwarten sei. Dieselbe hat ihre in der Bundesakte vorgezeichnete Aufgabe, soweit sie die Herstellung landständischer Verfassungen, freien Handels und Verkehrs, der Flußschiffahrt, des freien Gebrauchs der Presse u.s.w. betrifft, nicht gelöst; die Bundesmilitärverfassung hat weder eine allgemeine Volks- bewaffnung noch ein gleichmäßig organisirtes Bundesheer geliefert. Dagegen ist die Presse unter Zensurzwang gestellt, sind die Verhandlungen der Bundesversammlung in Dunkel gehüllt, aus welchem von Zeit zu Zeit Beschlüsse zutage kommen, welche jeder freien Entwicklung Hindernisse in den Weg legen. Das einzige Band gemeinsam deutscher Interessen, der Zollverein, wurde nicht vom Bunde, sondern außerhalb desselben durch Verträge zwischen den einzelnen Staaten geschaffen; auch die Verhandlungen über ein deutsches Wechselrecht und einen Postverein werden nicht vom Bunde, sondern von Bevollmächtigten der Einzel- regierungen gepflogen.

An diese und ähnliche Betrachtungen knüpfte sich die Frage, ob eine Vertretung der Nation bei der Bundes- versammlung Besserung bewirken und daher als Strebeziel der Vaterlandsfreunde aufzustellen sei? Für die Bejahung sprach die Empfänglichkeit der Gemüter für den erhebenden Gedanken, die Erwägung, daß nur bei dem gegebenen Organ der Bundesregierungen eine Vertretung aller Bundesstaaten zu begründen möglich sei, und die Erwartung, daß die erstarkende öffentliche Meinung auch die Verwirklichung erzielen und damit die Bahn zu einer deutschen Politik und einer kräftigen Entwicklung aller geistigen und materiellen Hülfsquellen der Nation eröffnet werde.

Dem entgegen wurde ausgeführt, daß bei aller Er- habenheit des Gedankens, doch eine Aussicht mit [=auf] Verwirklichung nicht vorhanden sei. Der Bund enthalte Glieder, die als zugleich auswärtige Mächte wie Dänemark und Niederland sich mit einer deutschen Politik und der Stärkung deutscher Macht niemals befreunden würden; andere, die wenigstens nicht ausschließlich deutsche Mächte sind, und wieder Gebietstheile enthalten, die zwar, wie Ostpreußen, deutsch sind, aber nicht zum Bunde gehören. Ferner bedinge eine Nationalvertretung auch eine National- regierung, ausgerüstet mit den Befugnissen der obersten Staatsgewalt, die bei dem völkerrechtlichen Bunde nicht vorhanden ist. Das Ziel der Einigung Deutschlands zu einer deutschen Politik und geineinsamer Leitung und Pflege nationaler Interessen, werde wohl eher erreicht, wenn man die öffentliche Meinung für die Ausbildung des Zollvereins zu einem deutschen Vereine gewinne. Hier habe man schon eine, wenn auch mangelhafte Verwaltung, welche die Verbes- serung, deren sie dringend bedarf, und eine Vertretung von Notabeln, die von den Kammern oder anderen Körper- schaften der Vereinsstaaten zu wählen seien, zur Seite erhalten könnte. 

Jetzt schon habe der Zollverein die Leitung einer Reihe wichtiger gemein- schaftlicher Interessen in Händen und stehe auch in Vertragsverhältnissen zu auswärtigen Staaten. Hier liege sonach der Keim einer Vereinspolitik, durch keine fremden Glieder gestört, und den Zoll- und Handels verhält- nissen würden sich andere verwandte Interessen anreihen, z. B. das Transportsystem von Land- und Wasserstraßen, gleiche Besteuerung, besonders für Verbrauchssteuern, Gewerbe- verfassung, Marine, Konsulate, Handelsgesetz, u.dgl. Durch solche Ausbildung zur Macht geworden, werde der deutsche Verein eine unwiderstehliche Anziehungskraft für den Beitritt der übrigen deutschen Länder üben, endlich auch den Anschluß der österreichischen Bundesländer herbeiführen und somit eine wahre deutsche Macht begründen.

Dieser Gedankengang, den wir natürlich hier nur andeuten können, der aber bis ins einzelne besprochen und erörtert wurde, vereinigte endlich alle Meinungen, doch mit der Erweiterung, daß zwar vorzugsweise auf die Ausbildung des Zollvereins und eine Vertretung seiner Bevölkerung im Zollkongreß durch Notable hinzuwirken, aber auch keine andere Gelegenheit, welche Zeit und Ereignisse bringen mögen, unbenutzt zu lassen sei, um die Idee der deutschen Einigung zu stärken. Unbestritten blieb, daß die Mitwirkung des Volkes durch gewählte Vertreter hierbei unerläßlich, und unbezweifelt, daß bei dem Entwicklungsgang des Jahr- hunderts und Deutschlands die Einigung durch Gewalt- herrschaft unmöglich, nur durch die Freiheit und mit derselben zu erringen sei.

Sowie nach dieser Verständigung jeder Anwesende in sich die Verpflichtung fühlte, in diesem Sinne sowohl persönlich in seiner öffentlichen Stellung als bei Freunden nach Kräften und bei jedem Anlaß zu wirken, ebenso ergab sich eine erfreuliche Übereinstimmung der Gesinnungen bezüglich auf die Anträge, welche in allen deutschen Kammern möglichst gleichlautend, doch mit Rücksicht auf die eigentümlichen Verhältnisse der einzelnen Staaten, zu stellen seien. Die Entfesselung der Presse, damit die Deutschen der ungehemmten Wirksamkeit dieses mächtigsten Bildungs- mittels teilhaftig und von der Schmach befreit werden, die ihnen das Ausland so häufig ins Gesicht wirft, weil sie eines der höchsten Güter freier Völker, das ihnen längst verheißen ist, noch nicht errungen haben; öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren mit Schwurgerichten, Trennung der Ver- waltung von der Rechtspflege, Übertragung aller Zweige der Rechtspflege, der Administrativjustiz und der Polizei straf- gewalt an die Gerichte und Abfassung zweckmäßiger Polizei- strafgesetze, Befreiung des Bodens und seiner Bearbeiter von mittelalterlichen Lasten, Selbständigkeit der Gemeinden in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten, Minderung des Aufwandes für das stehende Heer und Einführung einer Volkswehr u. A. kamen zu ausführlicher Besprechung; eben so die verfassungsmäßigen Mittel, welche geeignet sind, den gerechten Ansprüchen des Volkes Nachdruck zu geben. Vorzugsweise aber nahmen auch die Mittel gegen Verarmung und Not, sowie das damit in Zusammenhang stehende Steuerwesen Zeit und Aufmerksamkeit der so Versammlung in Anspruch.

Da jedoch so wichtige und umfassende Gegenstände nicht in wenigen Stunden zur Vereinigung über bestimmte Vorschläge, wie sie über Leitung des Armen- und Unter- richtswesens, über Einkommensteuer u.s.w. vielfach gemacht wurden, geführt werden konnten, so wurde aus Abgeordneten verschiedener Länder eine Kommission ernannt, um im nächsten Jahre über das Steuerwesen und die Zustände der ärmeren Klassen im Zusammenhange zu berichten und Anträge zu bringen, wobei besonders die gerechte Verteilung der öffentlichen Lasten zur Erleichterung des kleineren Mittelstandes und der Arbeiter zu berücksichtigen ist. In die Kommission wurden gewählt Bassermann, Federer, v. Gagern, Hansemann, Hergenhahn und Mathy. Die Materialien sollen aus allen einzelnen Ländern geliefert werden, wobei jedoch auf Anträge in den bevorstehenden Ständeversammlungen keineswegs verzichtet werden soll.

Allgemein war man endlich damit einverstanden, daß im nächsten Jahre eine größere Versammlung von Deputirten der einzelnen Länder, wobei Freunde, die nicht in Kammern sitzen, nicht ausgeschlossen sein sollen, an einem passenden Orte veranstaltet werde. Mit der weiteren Einleitung und näheren Bestimmung wurden einige Anwesende beauftragt. Wir glauben, daß dieser Beschluß eine Lücke in den überall auftauchenden Bestrebungen, durch vereinte Kräfte für das Wohl des Vaterlandes zu wirken, ausfüllt.

Schreibweise des Originals; Absätze wurden hinzugefügt.

Nach dem Original in der Digitalen Bibliothek München, Ausgabe der Deutschen Zeitung Nr. 107 vom 15.10.1847, S. 852-853, hier.