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1. Théodore de Bèze (1519-1605): Vom Recht der Obrigkeit über ihre Untertanen, 1575 (Auszug)
Französischer Adliger, trat 1548 zum reformierten Glauben über und ging nach Genf, wo er Mitstreiter Calvins und nach dessen Tod 1564 sein Nachfolger wurde.
[…] Man darf nicht denken, dass diejenigen, die lehren, wie mit gutem Gewissen einer offensichtlichen Tyrannei widerstehen darf, den guten und rechtmäßigen Obrigkeiten ihre Autorität rauben, die ihnen Gott gegeben hat, oder dass sie den Weg zum Aufruhr bahnen. Denn im Gegenteil kann die Autorität der Obrigkeit nur hergestellt werden und die öffentliche Ruhe nur erhalten werden, die das Ziel aller wirklichen Politik ist, indem man verhindert, dass die Tyrannei entsteht, oder indem man sie abschafft, wenn sie entstanden ist. Die Frage ist also, ob die Untertanen ein gerechtes Mittel haben nach Gottes Willen und, wenn notwendig, sogar mit Waffengewalt die allgemein bekannte Tyrannei eines souveränen Herrschers zu unterdrücken. Zur Entscheidung über diese Frage möchte ich zunächst folgendes vorbringen:
Ich sage also, dass die Völker sich keineswegs von der Obrigkeit herleiten, und dass die Völker, denen es recht war, sich von einem Fürsten oder einigen auserwählten Herren regieren zu lassen, vor ihrer Obrigkeit da waren, und dass die Völker folglich nicht für ihre Obrigkeit geschaffen wurden, sondern ganz im Gegenteil die Obrigkeit für die Völker, so wie der Lehrer für den Schüler da ist, nicht der Schüler für den Lehrer, und der Schäfer für seine Herde, nicht die Herde für den Schäfer.
Dies versteht sich von selbst, kann sich aber auch durch die Geschichte der Völker unter Beweis stellen, sogar bis dahin, dass Gott, auch wenn er selbst auf Bitten des Volkes Saul erwählt hatte, an den Platz Samuels zu treten, gleichwohl wollte, dass das Volk darüber hinaus an ihn glaubte und ihn als König annahm; auch David, so sehr ihn Gott selbst erwählt hatte, übte sein Königtum nichtsdestoweniger erst nach der Wahl und der freien Zustimmung der Stämme Israels aus. [...]
Wenn man in den alten Geschichten, die von den Laien selbst aufgeschrieben wurden, nachforscht, so wird man als Wahrheit finden, was die Natur selbst uns mit lauter Stimme zu sagen scheint, nämlich dass die Ämter, durch deren Autorität die Untergebenen regiert wurden, angeordnet wurden, soweit es notwendig war: Entweder die Menschheit ging unter oder eine untergeordnete Ordnung wurde errichtet, durch die nämlich einer oder mehrere den anderen befahlen und dabei die Guten unterstützten und die Bösen unterdrückten. Das ist, was nicht nur Platon, Aristoteles und andere vernünftige Philosophen gelehrt und bewiesen haben, ohne dass sie durch mehr als ihre natürliche Klarheit geleitet wurden, sondern auch Gott selbst es hat ausdrücklich durch die Stimme des Heiligen Paulus in seinem Brief an die Römer bestätigt, die damals den größten Teil der Welt beherrschten. Dies ist also der mit gutem Grund Gott, dem Urheber von allem Guten, zugeschriebene Ursprung der Staaten [Républiques] und Herrscher. [...]
Was ich über den Ursprung der Könige und anderen Ämter gesagt habe, war vorausgesetzt, es folgt aber, dass diejenigen keine legitimen Könige sind, die mit Gewalt oder durch Betrug eine Macht an sich reißen, die ihnen rechtmäßig nicht zusteht. Es gibt nun zweierlei solche Tyrannen, denn die einen reißen die Macht an sich über ihre Mitbürger, gegen die geltenden Gesetze, wie Cäsar die Römische Republik unterdrückte unter dem erfundenen Titel des Diktators auf Lebenszeit, wie auch hauptsächlich in Griechenland mehrere Tyrannen die Freiheit ihres Heimatlandes unterdrückt haben. Es gibt andere, die, nicht zufrieden mit ihrem Gebiet, über das sie rechtens Herr sind, ihre Grenzen auf Kosten der Freiheit ihrer Nachbarn ausdehnen ; was ein Mittel ist, durch das die Monarchien zu einer solchen Größe gelangt sind seit dem Anbeginn der Welt. [...]
Théodore de Bèze: Du droit des magistrats sur leurs sujets, Genf, 1575, S.12-15, 17-18. (Vom Recht der Obrigkeit über ihre Untertanen; lat. De iure magistratum) © Übersetzung : W. Geiger
François Hotoman (od. Hotman) (1524-1590): Das fränkische Gallien, 1574 (Auszug)
Französischer Jurist, Sohn eines nach Paris ausgewanderten Deutschen, trat 1547 zum Protestantismus über und ging nach Genf, wo er zeitweilig Sekretär Calvins wurde. Bekam 1556 eine Professur für römisches Recht in Straßburg und wechselte später an andere Universitäten in Frankreich. Unterstützte die Hugenotten in ihrem Kampf und wurde deren wichtigster juristischer Berater, überlebte die Bartholomäusnacht in Paris..
[...] Wir haben schon gezeigt, dass das Volk sich die volle Autorität vorbehalten hatte, nicht nur die Könige zu wählen, sondern sie auch abzusetzen. Und es ist gewiss, dass die Gallier dieselbe Regierungsform hatten, auch wenn sie von den Römern unterworfen wurden, so dass das Volk (sagt Cäsar) ebenso viel Macht und Autorität über den König hatte wie der König über das Volk. Wie sehr dies auch so gewesen sein mag, es ist trotzdem zu vermuten, dass die Franzosen diese Art und Weise, ihren Staat [République] zu errichten, eher von den Deutschen [Alemans, gemeint sind die Germanen] haben, also von ihrem eigenen Geschlecht, als von den Galliern, angesichts dessen, wie stark dies Tacitus im Buch über die Sitten der Deutschen beschreibt. Die Könige, schreibt er, hatten weder endlose noch absolute Macht. So fällt das Urteil leicht, dass es keine Regierungsform gibt, die weniger einer tyrannischen Herrschaft gleicht, als es diese war. Denn von allen drei Kennzeichen, die zur Tyrannei gehören, die die alten Philosophen spezifiziert haben, könnte man nicht eine in der Form unserer Regierung erkennen.
Erstens, wenn es um eine gewaltsame und erzwungene Herrschaft geht, das heißt, wenn die Untertanen gezwungen sind, gegen ihren Willen einem Tyrannen zu gehorchen: Diesen Punkt haben wir schon geklärt, als wir gezeigt haben, dass das Volk die ganze Macht hatte, sowohl bei der Wahl, als auch bei der Absetzung. […]
Hinsichtlich der fremden Soldaten, die die Tyrannen unterhalten und zum Schutze ihrer Person um sich haben, was man als zweites Zeichen der Tyrannei zählt: Weit gefehlt, dass die Könige Frankogalliens Söldner und Fremde nähmen und zu ihren Gefolgsleuten und Leibwächtern machten, dass sie nicht einmal mehr ihre Untertanen zur gewöhnlichen Bewachung ihrer Person einstellten, dies lehnten sie also ab: Denn sie machten sich so beliebtt, dass sie der Wohlgesonnenheit, der Zuneigung, des Dankes und der Liebe ihrer Untertanen sicherer waren, als wenn sie alle Wächter der Welt hätten. […]
Was das dritte Kennzeichen der Tyrannei betrifft, das ist, wenn alles auf die Annehmlichkeit und das Gefallen des Herrschenden ausgerichtet wird und nicht auf die Erhaltung der Untertanen, so zeigen wir anschließend, dass die souveräne und grundlegende Verwaltung des Reiches der Frankogallier der allgemeinen und regelmäßigen Versammlung des ganzen Volkes [nation] gehörte, die man seither Versammlung der drei Stände nannte. Denn der Stand der Regierung dieses Königreichs entsprach ganz und gar dem, der nach dem Urteil der alten Philosophen, namentlich Platon und Aristoteles, gefolgt von Polybius, der beste und der vollkommenste von allen ist, nämlich derjenige, der aus den drei Arten der Regierung zusammengesetzt und gemäßigt ist: aus der Monarchie, wo es nur einen König gibt, der souverän befiehlt; aus der Aristokratie, dem Stand des Adels, wo eine kleine Zahl von besten Leuten die Autorität in Händen hat; und aus dem Stand, wo das Volk souverän ist. Dies ist auch die Form politischer Regierung, der Cicero in seinen Büchern über die Republik am meisten zugestimmt hat. Denn da der Stand des Königtums einer Volksregierung entgegengesetzt ist, ist es nötig, einen Dritten zwischen die beiden zu setzen, der als Gegengewicht dient und, da er an beide Extreme heranreicht, sie beide im Gleichgewicht hält, nämlich der Stand, wo eine Zahl guter und ehrenhafter Leute die Regierung innehat, der Stand, der aufgrund des Adels der Herkunft in Verbindung mit der Eignung und der Erfahrung in den Geschäften der königlichen Würde nahe kommt, aber gleichwohl, da er eine Stufe niedriger steht aufgrund der Untertänigkeit, die er mit dem Volk gemein hat, nicht weit entfernt vom Stand des Volkes ist.
François Hotoman (Hotman): La Gaule française, Köln 1574, S. 94-98. (Das fränkische Gallien, lat. Francogallia) © Übersetzung: W. Geiger.
Etienne de la Boétie (1530-1563): Von der freiwilligen Knechtschaft, 1576/77 (verfasst um 1550; Auszug)
Richter in Bordeaux; unter dem Eindruck des frühabsolutistischen Machtanspruchs und des beginnenden Konflikts mit den Hugenotten während seiner Studienzeit schrieb er seine Abhandlung Von der freiwilligen Knechtschaft, die jedoch nach seinem frühen Tod erst später von dem calvinistischen Theologen und Monarchomachen Simon Goulart (1543-1628) in seinem Werk über die Epoche Karls IX.* anonym veröffentlicht wurde. La Boétie selbst blieb Katholik, setzte sich aber für die Hugenotten ein. Seine Schrift ist Zeugnis einer außergewöhnlich radikalen und “modern” erscheinenden Kritik und um so erstaunlicher, da sie im historischen Kontext sogar ziemlich früh verfasst wurde, noch vor dem esten Hugenottenkrieg (1562-63).
Ich werde hier nicht die schon so oft bewegte Frage angehen, „ob die Republik der Monarchie vorzuziehen ist“. Wenn ich sie erörtern wollte, noch bevor ich nachforschte, welchen Rang die Monarchie unter verschiedenen Formen, die öffentliche Sache [la chose publique] zu regieren, hätte, dann wüsste ich gerne, ob man ihr überhaupt einen Rang zuerkennen soll, angesichts dessen, dass es recht schwer zu glauben ist, es solle in dieser Art der Regierung, wo alles einem einzelnen gehört, nichts Öffentliches geben. […]
Im Augenblick wünschte ich nur, man machte mir verständlich, wie es möglich ist, dass so viele Menschen, so viele Städte, so viele Völker [nations] manchmal alles von einem einzigen Tyrannen erdulden, der keine andere Stärke hat als die, die man ihm gibt, dessen Macht ihnen zu schaden nur so weit geht, wie sie sie wohl aushalten wollen, und der ihnen keinerlei Übel zufügen könnte, wenn sie nicht lieber unter ihm leiden würden als ihm zu widersprechen. Eine überraschende Sache (und dennoch so üblich, dass man eher seufzen als darüber erstaunen muss!), Millionen und Millionen von Menschen zu sehen, elendig geknechtet und mit gesenktem Kopf einem bedauernswerten Joch unterworfen, nicht, dass sie von einer höheren Macht dazu gezwungen würden, sondern weil sie von dem Namen des Einen alleine fasziniert und sozusagen verhext sind, den sie weder zu fürchten bräuchten, da er alleine ist, noch zu lieben, da er gegen sie alle unmenschlich und grausam ist. So ist jedoch die Schwäche der Menschen! […] (S.49f.)
Und man braucht den Tyrannen, alleine, doch gar nicht bekämpfen, nicht einmal sich gegen ihn zu verteidigen; er wird von sich selbst geschlagen, wenn denn das Land nicht seiner Knechtschaft zustimmte. Es geht nicht darum ihm etwas zu entreißen, sondern ihm nichts zu geben. Eine Nation unternehme keine Anstrengung für ihr Glück, wenn sie will, aber dann arbeite sie nicht selbst für ihren Untergang. Es sind also die Völker, die sich erwürgen lassen oder sich vielmehr selbst erwürgen, denn schon mit der Weigerung zu dienen würden sie ihre Fesseln brechen. (S.56) […]
Zunächst steht es, glaube ich, außer Zweifel, dass, wenn wir mit den Rechten leben würden, die wir von der Natur haben, und nach den Richtlinien, die sie lehrt, wir natürlich unseren Eltern unterworfen wären, der Vernunft untertan, aber niemandes Sklaven. […]. Was klar ist und offensichtlich für jeden und von niemandem geleugnet werden kann, ist, dass die Natur, die erste Wirkungsmacht Gottes, Wohltäterin der Menschen, uns alle geschaffen, gleichsam aus derselben Form gegossen hat, um uns zu zeigen, dass wir alle gleich sind oder vielmehr alle Brüder. […]
Aber lohnt es sich wirklich darüber zu diskutieren, ob die Freiheit natürlich ist, da kein Lebewesen in Knechtschaft gehalten werden kann, ohne dass es ein schweres Unrecht verspürt, und nichts in der Welt konträrer zur Natur (von Vernunft erfüllt) ist als die Ungerechtigkeit. Was gibt es noch zu sagen? Dass die Freiheit natürlich ist und wir, wie ich meine, nicht nur mit unserer Freiheit geboren werden, sondern auch mit dem Willen sie zu verteidigen. […] Da jedes Lebewesen, das seine Existenz empfindet, das Unglück der Unterwerfung verspürt und die Freiheit sucht; da die Tiere, selbst diejenigen, die dafür geschaffen sind, dem Menschen zu Diensten zu sein, sich erst dann unterwerfen können, nachdem sie aus entgegengesetztem Willen heraus protestiert haben; welch unglückseliger Fehler hat also den Menschen, als einziger wirklich geboren um frei zu leben, so sehr denaturieren können, dass er die Erinnerung an seinen Urzustand und den Wunsch, ihn wiederzuerlangen, verloren hat?
Es gibt drei Arten von Tyrannen. Ich meine schlechte Fürsten. Die einen besitzen das Königreich durch die Wahl des Volkes, die anderen durch die Macht der Waffen, und die anderen durch die Nachfolge ihres Geschlechts. Diejenigen, die es durch das Kriegsrecht erworben haben, verhalten sich, wie man weiß, allzu sehr, und man sagt es zu Recht, wie im eroberten Land. Diejenigen, die als Könige geboren werden, sind gewöhnlich nicht besser; inmitten der Tyrannei geboren und aufgezogen, saugen sie die Natur des Tyrannen mit der Milch ein, sie betrachten die Völker, die ihnen unterworfen sind, als ihre erblichen Knechte; und, je nach ihrer Neigung, geizig oder großzügig, behandeln sie das Königreich wie ihr eigenes Erbe. Was denjenigen betrifft, der seine Macht vom Volke hat, so müsste er erträglicher sein, scheint es, und er wäre es auch, meine ich, wenn er nicht, sobald er sich über allen anderen zu solchen Höhen erhoben sieht, geschmeichelt von ich weiß nicht was, das man Größe nennt, den festen Entschluss fassen würde, davon nie mehr herabzusteigen. (S. 64-66, 68-69)
Etienne de la Boétie: De la Servitude Volontaire ou Le Contr`Un, Bruxelles / Paris 1836. © Übersetzung: W. Geiger
* Memoires de l’estat de France sous Charles neufièsme, Troisièsme volume, 1577, S. 160-190. (Erinnerungen an den Zustand Frankreichs unter Karl IX.)
Stephan Junius Brutus [i.e. Hubert Languet / Philippe de Mornay]: Einspruch gegen die Tyrannen, 1579/81 (Auszug)
Der Autorenname ist fiktiv. Es handelte sich um das bedeutendste politische Manifest gegen den Frühabsolutismus aus calvinistischer Feder. Als Autoren vermutet werden Hubert Languet und Philippe de Mornay. Languet (1518-1581) war französischer Jurist und Theologe, lernte Melanchthon 1549 in Wittenberg kennen, floh dorthin vor den Hugenottenverfolgungen in Frankreich und war 1559-71 im Dienst des Kurfürsten von Sachsen, wo er Reisen in diplomatischem Auftrag durch ganz Europa unternahm. In Deutschland setzte er sich bei den Lutheranern allerdings vergeblich für die Aussöhnung mit den Calvinisten ein. De Mornay (eigtl. Duplessis-Mornay)(1549-1623) war Theologe, trat früh den Hugenotten bei, für die er Geheimmissionen übernahm. 1572 überlebte er nur knapp die Bartholomäusnacht. Engagierte sich später mit Heinrich von Navarra für die Aussöhnung mit den Katholiken und wurde nach dessen Thronbesteigung 1589 Staatsrat.
Das Buch ist entlang von Leitfragen aufgebaut:
1. Ob die Untertanten gehalten sind ihren Fürsten zu gehorchen und dies müssen, wenn sie etwas gegen das Gesetz Gottes befehlen.
2. Ob es rechtens ist, dem Fürsten Widerstand zu leisten, der das Gesetz Gottes zerreißen will oder der die Kirche ruiniert. Item wem, wie und bis wohin das rechtens ist.
3. Ob es rechtens ist einem Fürsten zu widerstehen, der einen Staat [état public] unterdrückt oder ruiniert und bis wohin dieser Widerstand erstreckt. Item wem, wie, und mit welchem Recht das erlaubt ist.
4. Ob die benachbarten Fürsten den aufgrund der wahren Religion bedrückten oder durch eine offensichtliche Tyrannei unterdrückten Untertanen des anderen Fürsten Hilfe leisten können oder gesetzlich dazu angehalten sind.
Aus dem Vorwort von C. Superantius (Pseudonym):
An die christlichen Fürsten
Ich wusste wohl, meine Herren, dass, wenn ich diese Fragen von Estienne Iunius Brutus, die das wahre Recht und die Macht des Fürsten über das Volk und des Volkes über den Fürsten betreffen, veröffentliche, es Leute geben wird, die es mir übel nehmen. Denn sie [die Fragen] sind eindeutig konträr zu den schlechten Praktiken, gefährlichen Ratschlägen, falschen und verpesteten des Florentiners Nicolas Machiavel [= Macchiavelli], nach dem sie sich in der Leitung der Staatsgeschäfte richten. [...]
Da der Herr Brutus, ein gelehrter und weiser Edelmann, mit mir ungefähr vor zwei Jahren das Elend Frankreichs aufgezeigt hatte, nach umfangreicher Suche hier und da nach deren Ursprüngen, Ursachen und Anfängen und Fortschreiten, kamen wir zu dem Schluss, dass neben anderen Ursachen die Bücher von Machiavelli sehr die Geister bestimmter Personen schärften, Mittel zur Störung des Staates zu finden, indem sie sich der Autorität jener behalfen, die ihn regieren. Dass Macchiavelli die Grundlagen der Tyrannei in seinen Büchern gelegt hatte, wie es uns ausreichend in seinen verachtenswürdigen, hier und da verbreiteten Grundsätzen und Lehren erschien. Dass es kein rascheres und sichereres Heilmittel gab, die Herrschaft der Fürsten und das Recht der Völker auf ihre legitimem und gesicherten Urprinzipien zurückzuführen: dass die Macht der einen und der anderen auf diese Weise in bestimmten Grenzen gehalten werde, ohne das die Regierung des Staates nicht bestehen kann, und folglich die Grundsätze von Macchiavelli verworfen werden müssen, da sie von diesen Grundsätzen gänzlich zunichte werden. (S. 5, 8) [...]
Aus dem 1. Kapitel
[...] Woraus sind so viele Bedrückungen entstanden, wird man fragen, die die Christen erlitten haben, wenn nicht daraus, dass sie immer der Meinung waren, dass man nur Gott und ihm absolut gehorchen muss, und den Königen mit Ausnahmen, das heißt, solange sie nichts gegen das Gesetz Gottes befehlen. Warum hätten sonst die Apostel geantwortet, dass man eher Gott als den Menschen gehorchen solle? Mehr noch, da nur der Wille Gottes immer gerecht ist und der der Menschen ziemlich oft ungerecht sein kann: Wer zweifelt daran, dass man ausnahmslos immer Gott gehorchen soll und den Menschen mit einigen Ausnahmen? Aber da es heute mehrere Fürsten gibt, die sich Christen nennen, aber sich kühn eine unmäßige Macht zusprechen, über die Gott selbst nur schauen kann, so dass es nicht an Speichelleckern mangelt, die sie wie Götter auf Erden verehren; scheinen mehrere auch aus Furcht oder einem anderen Zwang heraus der Meinung zu sein oder es wertzuschätzen, dass man den Fürsten rundum gehorchen müsse. (S. 15-16). [...]
[Im 2. Kapitel legt der Autor anhand historischer Beispiele v.a. aus dem Alten Testament dar, dass die Könige und Herrscher ihren Auftrag von Gott erhalten und sie dadurch legitimiert.]
Aus dem 3. Kapitel
Da wir hier für und wider die legitime Autorität des Fürsten sprechen müssen, bin ich mir sicher, dass die Frage den Tyrannen und schlechten Fürsten im Herzen nicht weh tun wird. Denn es ist kein Wunder, wenn diejenigen, die denken, dass alles, was sie wollen, ihnen erlaubt sei, in keiner Weise der Vernunft oder welchem Gesetz auch immer ihr Gehör schenken. Aber ich hoffe, dass die guten Fürsten diese Rede für zustimmungswürdig halten, angesichts dessen, dass sie wissen, dass jeder Beamte [magistrat], so hoch et auch gestellt sein möge, nichts anderes als ein belebtes und sprechendes Gesetz ist. (S. 93). [...]
Wir haben vorher gezeigt, dass Gott die Könige einsetzt, sie erwählt, ihren Königreiche übergibt. Jetzt sagen wir, dass das Volk die Könige einsetzt, ihnen ihr Szepter in die Hände legt und durch seine Abstimmung ihre Wahl gutheißt. Gott hat gewollt, dass es so geschah, so dass die Könige anerkennen, dass sie ihre ganze Souveränität und Macht nach Gott vom Volke erhalten [...]. [So dass] sie sich daran erinnerten und wussten, dass sie aus demselben Stoffe und vom selben Stand [condition] sind wie die anderen, durch die Stimmen des Volkes und gleichsam auf die Schultern des Volkes erhoben und zum Thron geführt, um anschließend die meisten Lasten des Staates [République] zu tragen. (S. 96). [...]
Schließlich, da es nie einen Menschen gab, der mit der Krone auf dem Kopf und dem Zepter in der Hand geboren wurde, und niemand von Königs wegen König werden noch ohne Volk herrschen kann, und umgekehrt das Volk Volk ohne König sein kann und es ebenso lange war, wie es Könige hatte, ist es überaus gewiss, dass alle Könige zuerst durch das Volk eingesetzt wurden. Und wie sehr auch die Söhne und Nachkommen der Söhne, den Tugenden ihrer Väter folgend, die Königreiche ihrem Geschlecht erblich gemacht zu haben scheinen und in einigen Königreichen und Ländern das freie Recht der Wahl keinesfalls geschwächt erscheint: So ist es, dass in allen wohl errichteten Königreichen diese Sitte stets geblieben ist, dass die Söhne weder ihren Vätern nachgefolgt sind, wenn das Volk sie nicht erst von Neuem eingesetzt hat, noch in ihrer Eigenschaft als Erben der Verstorbenen als Könige anerkannt wurden, sondern erst dann als Könige bestätigt und ernannt, wenn sie mit dem Königtum ausgestattet wurden und Zepter und Diadem aus den Händen jener erhalten haben, die die Souveränität des Volkes repräsentierten. (S. 102f.) [...]
Die Kaiser und Könige haben nur eines zu tun, nämlich für das Wohl des Volkes zu sorgen. Die königliche Würde ist eigentlich kein Ehrentitel, sondern eine schwere Last: Es ist keine Entlastung, Befreiung, noch Erlaubnis, sondern eine Last, Berufung und öffentliche Dienstbarkeit, die man ehrt, weil in jenen Urzeiten [...] niemand Geschmack an solchen Unannehmlichkeiten gefunden hätte, wenn sie nicht mit einer Ehre gewürzt gewesen wären. (S. 130). [...]
Wir müssen noch ein bisschen weiter gehen: Es ist die Frage, ob der König, der der Gerichtsbarkeit vorsteht, die Macht hat, die Fälle nach seinem Willen zu entscheiden? Muss der König dem Gesetz untertan sein oder hängt das Gesetz vom König ab? [...] (S. 135) [...]
Wenn die Königreiche von der Befolgung der Gesetze abhängen und die Gesetze vom Willen eines einzigen Menschen, ist es dann nicht sicher, dass der Zustand eines Kaiser- oder Königreichs nie wirklich sicher sein wird? Wird denn nicht, wenn der König ab und zu oder ganz und gar von Sinnen ist, wie schon geschehen, zwangsläufig das ganze Königreich erschüttert und schließlich zerfallen? Aber wenn die Gesetze über den Königen stehen [...] und wenn die Könige ebenso den Gesetzen gehorchen müssen wie die Diener ihren Herren, findet sich da ein Mensch, der sich nicht allzu bereitwillig dem Gesetz statt dem König unterwirft, der dem König gehorchen wollte, der das Gesetz verletzt, und der sich weigerte, dem Gesetz gegen eine solche Gewalt zu Hilfe zu kommen? (S. 147f.). [...]
[Bezug auf das Alte Testament: Saul wird König durch “ein Bündnis mit den Ältesten Israels, welche das gesamte Volk repräsentieren”. Er musste dem Volk geloben, gerecht zu regieren, wofür ihm das Volk gehorchte. “Das Volk machte den König, nciht der König das Volk.” Bei Verletzung des mit dem Volk geschlossenen “Vertrages” war das Volk nicht mehr zum Gehorsam verpflichtet. S. 185]
Mit kurzen Worten also, niemand wird leugnen, daß zwischen König und Untertanen ein beiderseitiger verpflichtender Vertrag stattfinde, nämlich, dass das Volk dem Herrscher, wenn er gut regiert, treu gehorche; der befehle, wie es nötig ist, und wird der Gewohnheit nach zuerst von jenem, dann von diesen durch Eid bekräftigt. (S. 192) [...]
Zuerst lehrt uns das Naturrecht, unser Leben und unsere Freiheit, ohne die das Leben kein Leben ist, gegen jede Verletzung und Gewalt zu erhalten und zu schützen. Die Natur hat dies den Hunden gegen die Wölfe eingepflanzt, den Stiere gegen die Löwen, den Tauben gegen die Habichte und Falken, dem Geflügel gegen den Milan; und um so mehr dem Menschen gegen den Menschen selbst, wenn er zum Wolfe wird. Wer darüber streitet, ob man sich verteidigen muss oder nicht, hebt die Natur auf, die in ihm selbst liegt. Hinzu kommt das Völkerrecht, das zwischen Besitztümern und Grundherrschaften unterscheidet, Grenzsteine setzt, den Umkreis absteckt, die jeder gegen jeden zu verteidigen hat, der dort eindringen will. (S. 208) [...]
Da die Rechte der Natur und der Völker und die bürgerlichen Gesetze uns auftragen, gegen solche Tyrannen zu den Waffen zu greifen, kann man auch sagen, dass keine Vernunft uns vom Gegenteil zu überzeugen vermag. (S. 209f.) [...]
Wenn also diejenigen, die das Volk vertreten, sehen, dass man etwas insgeheim gegen den Staat ausheckt oder schon offene Gewalt anwendet, ist ihre Aufgabe, zuerst den Fürsten zu warnen, bevor das Übel sich verbreitet und unheilbar wird. Die Tyrannei gleicht einem hektischen Fieber, das am Anfang leicht zu kurieren, aber weniger leicht zu erkennen ist; später erkennt man es leichter, aber dann ist es unheilbar. Doch die Stände [États] werden darauf achten, frühzeitig Abhilfe zu schaffen und dabei nichts übersehen, was wirksam ist. Wenn der Fürst fortfährt und sich nicht im Geringsten um die verschiedenen Einwände kümmert, die ihm gemacht wurden, und so nur das Ziel verfolgt, alles Übel, das ihm gefällt, ungestraft verüben zu können,, dann ist er der Tyrannei schuldig und man kann gegen ihn alles unternehmen, was das Recht und eine gerechte Gewalt gegen einen Tyrannen erlauben. Die Tyrannei ist nicht nur Verbrechen, sondern das größte und steht über allen anderen Verbrechen. Der Tyrann stürzt den Staat um, er plündert die Untertanen aus, macht ihnen das Leben schwer, bricht das Wort gegenüber allen, schändet die Heiligkeit des Eides. Und an Bösartigkeit übertrifft er noch die schrecklichsten Diebe, Räuber, Mörder und Gotteslästerer, die man sich vorstellen kann, weil es ein schwerwiegenderes Verbrechen ist, einem ganzes Volk zu schaden als nur einigen Einzelnen daraus. Wenn die Räuber und Gotteslästerer als niederträchtig gelten, wenn man sie für ihre Übeltaten mit dem Tod bestraft, welche Strafe könnte man sich dann als groß genug für das große Verbrechen der Tyrannei ausdenken? (S. 218f.) [...]
Die Seite [in einem Konflikt], die das allgemeine Wohl berücksichtigt, ist gesetzlich, die andere aber, die auf nur auf Wohl eines Einzelnen abzielt, ungesetzlich. Deswegen sagt Thomas von Aquin: „Weil die tyrannische Herrschaft nie bestrebt ist, sich um das allgemeine Wohl zu bemühen, sondern nur das Wohl des Herrschers, ist sie nicht gerecht, und gegen sie aufzubegehren bedeutet nicht, ein Abfall von ihr herbeizuführen. So sind die hohen Beamten [officiers] des Königreiches nicht des Hochverrats schuldig. Dieses Verbrechen wird nur begangen, wenn es einen legitimen Fürsten betrifft, der nichts anderes ist als das sprechende Gesetz. [...] Es besteht überall zwischen Fürst und Volk eine wechselseitige Pflicht. Ersterer verspricht, ein guter Fürst zu sein, das andere, zu gehorchen unter der Bedingung, das man es mit Vernunft regiere. Somit ist das Volk dem Fürsten bedingt verpflichtet, der Fürst dem Volke aber unbedingt. Wenn aber der Fürst sein Versprechen nicht hält, ist das Volk frei, der Vertrag aufgelöst und die Verpflichtung null und nichtig. (S. 220f.) [...]
Kaiser Trajan sah sich nicht als von den Gesetzen befreit und wollte auch nicht, dass man ihm davon entband, wenn er Tyrann würde, indem er dem Obersten des Reiches [Prätorianerpräfekten] das Schwert entgegenstreckte und sprach: “Wenn ich befehle, wie es sich gehört, hilf mir mit diesem Scwert; wenn nicht, ziehe es gegen mich.” Entsprechend stützten die Franken auf Anordnung der Stände und Wunsch der hohen Beamten [officiers] die Könige Childerich I., Sigebert und Childerich III. wegen Tyrannei und wählten dafür welche von anderer Herkunft um das Königreich zu regieren. […] Vor nicht allzu langer Zeit zwangen die Stände Ludwig XI., einen nach außen starken Fürsten, 36 Kuratoren zu akzeptieren, mit deren Zustimmung er die Staatsgeschäfte führen sollte. Die Nachkommen Karls d. Gr. [...] oder von Hugues Capet , die den Karolingern auf Anordnung der Stände vorgezogen wurden, regieren auch heute noch und haben kein anderes Recht als das hier oben beschriebene und rechtens dem ganzen Volk, das durch den Rat des Königreichs, Ständeversammlung genannt, vertretenen ist, zugestandenen Recht, sie ab- oder einzusetzen. (S. 227f.)
Estienne Iunius Brutus [= Hubert Languet, Philippe de Mornay]: De la puissance légitime du prince sur le peuple et du peuple sur le prince, 1581, Reprint Paris (EDHIS) 1977. (Stephanus Iunius Bruto Celta: Vindiciae contra tyrannos sive De Principis in Populum, Populique in Principus, legitima potestate, 1579 / Verteidigung gegen die Tyrannen)
© Übersetzung W. Geiger
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