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Thema: Kolonialismus, Imperialismus               

Hintergrund: Imperialismus, Kolonialideologie und pseudo-wissenschaftlicher Rassismus

>Startseite des Themas

Hier:
Ernest Renan und die Rassentheorie
Quellen und Darstellung

 

Siehe auch: Wolfgang Geiger:
Abolition de l’esclavage et naissance du darwinisme -
Notes sur l’orgine du racisme “moderne”

Abschaffung der Sklaverei und Entstehung des Darwinismus - Notizen zum Ursprung des modernen Rassismus
>www.academia.edu

Ernest Renan und die Rassentheorie
Quellen und Darstellung

Der französische Philosoph, Hebraist und eben Rassentheoretiker Ernest Renan (1823-1892) ist in seiner letzten Eigenschaft hierzulande kaum bekannt. Er wurde und wird immer wieder als Theoretiker des französischen Verständnisses der Staatsbürgernation gepriesen und als eine Art früher Europäer. Sein Vortrag Qu’est-ce qu’une nation? von 1882 wurde dabei aus dem Kontext gerissen weitgehend missverstanden. In der Zwischenzeit wird diese Gegenüberstellung zwischen dem französischen und dem deutschen Nationenbegriff damals jedoch auch in europäischen Kreisen kritischer betrachtet [cf. Lentz]. Der in den letzten Jahren äußest erfolgreiche israelische Publizist und emeritierte Soziologe Shlomo Sand hat dagegen in der Kritik am Zionismus Ernest Renans supra-ethnisches Nationsverständnis wieder hochgehalten und dabei auch dessen andere, rassentheoretische, Schriften im Hinblick auf seine, Sands, Intention der Kritik an der Konstruktion eines jüdischen Volkes gründlich missverstanden [cf. Geiger].

Renan wurde einerseits durch seine Forschung zur Geschichte der christlichen Religion in Gegenüberstellung, dann Abgrenzung, zu deren hebräischen Ursprüngen, sowie im weiteren Sinne durh seine orientalistischen Forschungen geprägt, andererseits durch die politischen Ereignisse seiner Zeit: die Revolution 1848, die Sklavenbefreiung in den USA 1865, den preußisch-deutschen Sieg über Frankreich 1870/71, sowie die Entstehung und Entwicklung des Imperialismus, bei dem Frankreich nach dem Verlust der meisten seiner alten Kolonien (Kanada, Niederlassungen in Indien) an England im Siebenjährigen Krieg 1756-63 und in der Revolutionszeit (Unabhängigkeit Haitis, Mauritius an England), zu einer neuen und nach Großbritannien zweitstärksten Kolonialmacht aufsteigen konnte.

Unter dem Eindruck der Revolution von 1848 begann Renan ein umfangreiches Werk über “die Zukunft der Wissenschaft”, das jedoch erst 1890 veröffentlicht wurde. Es handelt sich um eine weltgeschichtliche bzw. geschichtsphilosophische Abhandlung, in der Renan den Gang der Geschichte und den Fortschritt im Hinblick auf die Zukunft analysiert. Sein Essay über die “intellektuelle und moralische Reform” von 1871 stand ganz im Zeichen des deutschen Sieges über Frankreich, in dem Renan eine geschichtliche Wende zur Vorherrschaft der Deutschen erkannte, von denen deswegen zu lernen war. Die nachfolgenden Auszüge sind Kernthesen zu seinem rassentheoretischen Geschichtsverständnis und Legitimation des Imperialismus, die gut im schulischen Unterricht behandelt werden können.

Nota bene:

An dieser Stelle sei stellvertretend für alle in Frage kommenden Seiten gesagt, dass die Analyse von antisemitischen und rassistischen Texten der Vergangenheit nicht darum herum kommt, diese auch im Original zu zitieren, zumindest auszugsweise. Selbstverständlich ist bei dem ganzen Thema keine affirmative Rezeption dieser Texte intendiert, sondern das Gegenteill, eine wissenschaftlich kritische und in politisch ablehnende. Wer sich aber mit der Entstehung von Antisemitismus und Rassismus und deren damaligen Begründungen nicht anhand der Originale befassen will, wird nie verstehen, warum damals so viele Menschen diesen Ideen gefolgt sind.

 

Cf. Valéry-Xavier Lentz: Ernest Renans Vorstellung einer Nation, >Treffpunkt Europa, 19.9.2013

Cf. Wolfgang Geiger: Nation, Volk und Judentum bei Ernest Renan und in der Analyse von Shlomo Sand, in: Francia  - Forschungen zur westeuropischen Geschichte, Bd. 39, herausgeg. vom Deutschen Historischen Institut Paris, 2012, S. 535-541.

Übersetzung:
© Wolfgang Geiger, 30.12.2017

 

Ernest Renan über über die Ungleichheit unter den Menschen

[1. Sklaverei und Zivilisierung]

»Wenn jemals die Sklaverei notwendig für die Existenz der Gesellschaft gewesen ist, so war die Sklaverei legitim. [...] Die Unterordnung der Tiere unter den Menschen, der Geschlechter untereinander, schockiert niemanden, weil sie das Werk der Natur und der schicksalshaften Organisation der Dinge ist. Im Grunde ist die Hierarchie der Menschen nach ihrem Grad an Vollkommenheit auch nicht schockierender. Schrecklich ist nur, daß der Einzelne nach seinem Recht und zu seinem persönlichen Vergnügen seinesgleichen ankettet, um von seiner Arbeit zu profitieren. Die Ungleichheit ist empörend, wenn man nur den persönlichen und egoistischen Vorteil betrachtet, die der Höherwertige aus dem Minderwertigen zieht; sie ist natürlich und gerecht, wenn man sie als ein Schicksalsgesetz der Gesellschaft betrachtet, als ihre zumindest vorübergehende Bedingung zur Vervollkommnung. [...] Die Freilassung der Schwarzen haben die Schwarzen weder erkämpft noch verdient, sondern es ist die Folge des zivilisatorischen Fortschritts ihrer Herren. [...] Gewiß, wenn es eine dringliche und überfällige Reform gibt, dann ist es diese. Aber wir folgern daraus, daß man auf die Schwarzen übergangslos das Regime der individuellen Freiheit anwenden müsse, das auch uns Zivilisierten zusteht, ohne daran zu denken, daß man zuallererst die Erziehung dieser Unglücklichen gewährleisten muß und daß dieses Regime dafür nicht geeignet ist. [...] Es ist gewiß, daß sich die Zivilisation nicht improvisieren läßt, daß sie eine lange Disziplin erfordert und daß es den ungebildeten Rassen einen schlechten Dienst erweisen heißt, sie auf einen Schlag zu emanzipieren. [...] Die Sklaverei erzieht den Schwarzen nicht, die Freiheit tut es genauso wenig. Als freier Mensch wird er den ganzen Tag schlafen oder wie ein Kind durch die Wälder streifen. Im radikalen Abolitionismus liegt eine profunde Unkenntnis der Psychologie der Menschheit. So kann ich mir gut vorstellen, daß das wissenschaftliche und experimentelle Studium der Erziehung des wilden Rassen [Hervorheb. im Text] eines der schönsten Probleme wird, die sich dem europäischen Geist stellen, wenn sich denn die Aufmerksamkeit Europas einen Augenblick lang von sich selbst abwenden kann.«

L’Avenir de la Science, Paris 1890 [verfasst 1848/49], zit. nach: Ernest Renan: Histoire et parole. Oeuvres diverses, choix de textes et commentaires de Laudyce Rétat, Paris: R. Laffont (coll. « Bouquins »), 1984, 293f. (Übers. W. Geiger)

 

[2. Die Konsequenzen der Ungleichheit]

»Die Eroberung des Landes einer niederen Rasse durch eine höhere Rasse, die sich dort etabliert, um es zu regieren, hat nichts Schockierendes an sich. [...] So sehr Eroberungen zwischen gleichwertigen Rassen zu tadeln sind, so sehr ist die Regenerierung der niederen oder bastardisierten Rassen durch die höheren Rassen in der Vorsehung der Menschheit begründet. [...] Die Natur hat Arbeiterrassen geschaffen: das ist die chinesische Rasse, mit einer wunderbaren Geschicklichkeit der Hand, fast ohne jegliches Ehrgefühl; regiert sie gerecht, indem ihr von ihr zum Wohle einer solchen Regierung einen breiten Zins zugunsten der erobernden Rasse nehmt, und sie wird es zufrieden sein; – eine Rasse von Landarbeitern, das ist der Neger; seid gut und menschlich zu ihm, und alles wird in bester Ordnung sein; – eine Rasse von Herren und Soldaten, das ist die europäische Rasse. Erniedrigt diese edle Rasse zum Frondienst wie die Neger und die Chinesen, dann revoltiert sie. [...] Das Leben, das unsere Arbeiter aber zur Revolte bringt, würde einen Chinesen, einen Fellachen glücklich machen. [...] Die Kolonisation im Großen ist eine politische Notwendigkeit von höchstem Rang. Eine Nation, die nicht kolonisiert, ist unwiderruflich dem Sozialismus, dem Krieg zwischen Arm und Reich ausgeliefert.«

Ernest Renan, La réforme intellectuelle et morale, Bruxelles: Eds. Complexe, 1990 [verfasst 1871], 92-94. (Übers. W. Geiger)

 

Wird fortgesetzt...

 

Übersetzung:
© Wolfgang Geiger, 30.12.2017