Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat (Ermächtigungsgesetz), vom 24. März 1933
Beschlossen vom Reichstag am 23.3.1933. Nach: Reichsgesetzblatt, 1933, Teil I, Nr. 25
Artikel 1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichs- regierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85, Absatz 2, und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
Artikel 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.
Artikel 3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichs- gesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung.
Artikel 4. Verträge des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen für die Dauer der Geltung dieser Gesetze nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erläßt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
Artikel 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft), es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.
Vgl. auch online: Verhandlungen des Deutschen Reichstags, Protokoll vom 23.3.1933, Anlage 6: hier Zum Vergleich der Wortlaut der Weimarer Verfassung auf www.verfassungen.de - direkt dazu: hier
Aus der Regierungserklärung Adolf Hitlers vom 23. 3.1933
Nach: Verhandlungen des Reichstags, 8. Wahlperiode 1933
[...] Der innere Zerfall unserer Volksgemeinschaft führte zwangsläufig zu einer immer bedenklicher werdenden Schwächung der Autorität der obersten Staatsführung. Das Sinken des Ansehens der Reichsregierung, das sich aus solchen unsicheren inneren Verhältnissen zwangsläufig ergeben mußte, regte bei verschiedenen Parteien in einzelnen Ländern Vorstellungen an, die mit der Einheit des Reiches unverträglich sind. Alle Rücksichtnahme auf die Traditionswerte der Länder kann die bittere Erkenntnis nicht beseitigen, daß das Übermaß des zersplitterten eigenstaatlichen Lebens in der Vergangenheit der Welt- und Lebensstellung unseres Volkes nicht nur nicht nützlich, sondern oft wahrhaft verderblich war. Es soll damit aber nicht die Aufgabe einer überlegenen Staatsführung sein, nachträglich das organisch gewachsene Gute nur wegen eines theoretischen Prinzips einer zügellosen Unitarisierung zu beseitigen. Es ist aber ihre Pflicht, die geistige und willensmäßige Einheit der Führung der Nation und damit den Reichsgedanken an sich über jeden Zweifel zu erheben. Die Wohlfahrt unserer Kommunen und unserer Länder hängt genau so wie die Existenz der einzelnen deutschen Menschen an der Kraft und Gesundheit des Reichs und bedarf des Schutzes, den dieses gewähren soll.
Die Regierung der nationalen Revolution sieht es hierbei grundsätzlich als ihre Pflicht an, entsprechend dem Sinn des ihr gegebenen Vertrauensvotums des Volkes diejenigen Elemente von der Einflußnahme auf die Gestaltung des Lebens der Nation fernzuhalten, die bewußt und mit Absicht dieses Leben negieren. Die theoretische Gleichheit vor dem Gesetz kann nicht dazu führen, grundsätzliche Verächter der Gesetze und der Gleichheit zu tolerieren, ja ihnen am Ende aus irgendeiner demokratischen Doktrin die Freiheit der Nation auszuliefern. Sie wird die Gleichheit vor dem Gesetz aber allen denjenigen zubilligen, die in der Frage der Rettung unseres Volkes vor dieser Gefahr sich hinter die nationalen Interessen stellen und der Regierung ihre Unterstützung nicht versagen. Überhaupt soll es höchste Aufgabe sein, die geistigen Führer dieser Vernichtungstendenz zur Verantwortung zu ziehen, die verführten Opfer aber zu retten. Sie sieht insbesondere in den Millionen deutscher Arbeiter, die dieser Idee des Wahnsinns und der Selbstvernichtung huldigen, nur die Ergebnisse einer unverzeihlichen Schwäche früherer Regierungen, die die Verkündung und Vertretung von Ideen nicht verhinderten, deren praktische Verwirklichung sie selbst aber unter Strafe stellen mußten. Die Regierung wird sich in dem Entschluß, diese Frage zu lösen, von niemand beirren lassen. Es ist Sache des Reichstags, nunmehr seinerseits eine klare Stellung einzunehmen. Am Schicksal des Kommunismus und der sich mit ihm verbrüdernden anderen Organisationen ändert dies nichts. [...]
[...] Die Reichsregierung beabsichtigt [...] nicht, durch dieses Ermächtigungsgesetz die Länder aufzuheben. Wohl aber wird sie diejenigen Maßnahmen treffen, die von nun ab und für immer eine Gleichmäßigkeit der politischen Intentionen im Reich und in den Ländern gewährleisten. [...]
Um die Regierung in die Lage zu versetzen, die Aufgaben zu erfüllen, [...] hat sie im Reichstag durch die beiden Parteien der Nationalsozialisten und der Deutschnationalen das Ermächtigungsgesetz einbringen lassen. Ein Teil der beabsichtigten Maßnahmen erfordert die verfassungsändernde Mehrheit. Die Durchführung dieser Aufgaben bzw. ihre Lösung ist notwendig. Es würde dem Sinn der nationalen Erhebung widersprechen und dem beabsichtigten Zweck nicht genügen, wollte die Regierung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall die Genehmigung des Reichstags erhandeln und erbitten. Die Regierung wird dabei nicht von der Absicht getrieben, den Reichstag als solchen aufzuheben; im Gegenteil, sie behält sich auch für die Zukunft vor, ihn von Zeit zu Zeit über ihre Maßnahmen zu unterrichten oder aus bestimmten Gründen, wenn zweckmäßig, auch seine Zustimmung einzuholen. [...] Weder die Existenz des Reichstags noch des Reichsrats soll dadurch bedroht sein. [...] Der Bestand der Länder wird nicht beseitigt, die Rechte der Kirchen werden nicht geschmälert, ihre Stellung zum Staate nicht geändert.
Online Reichstagsprotokoll: hier
Ablehnung des Ermächtigungsgesetztes durch die Sozialdemokraten - Rede des SPD-Vorseitzenden Otto Wels
Text bei LeMO
Tonauinahme der Reichstagsreden von Hitler und Otto Wels (SPD) auf nationalsozialismus.de
Stellungnahme des Prälaten Dr. Kaas für das Zentrum
Die gegenwärtige Stunde kann für uns nicht im Zeichen der Worte stehen, ihr einziges, ihr beherrschendes Gesetz ist das der raschen, aufbauenden und rettenden Tat. Und diese Tat kann nur geboren werden in der Sammlung. Die deutsche Zentrums- partei, die den großen Sammlungsgedanken schon seit langem und trotz aller vorübergehenden Enttäuschungen mit Nach- druck und Entschiedenheit vertreten hat, setzt sich zu dieser Stunde, wo alle kleinen und engen Erwägungen schweigen müssen, bewußt und aus nationalem Verantwortungs- gefühl über alle parteipolitischen und sonstigen Gedanken hinweg. Sie läßt selbst solche Gedanken in den Hintergrund treten, die in normalen Zeiten kaum überwindbar wären. Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der Deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegwerkes zu sichern. Die Wiederherstellung eines geordneten Staats- und Rechtslebens zu beschleunigen, chaotischen Entwicklungen einen festen Damm entgegenzusetzen, zusammen mit allen denen, gleich aus welchen Lagern und Gruppen der deutschen Volksgenossen sie kommen mögen, mit allen denen, die ehrlichen, auf Aufbau und Ordnung gerichteten Willens sind. Die Regierungserklärung, die Sie, Herr Reichskanzler, am heutigen Nachmittag gegenüber der deutschen Volksvertretung abgegeben haben, enthielt manches Wort, das wir unterstreichen können, und manches andere — lassen Sie mich das auch in aller Offenheit, aber in loyaler Offenheit sagen — manches andere, auf das einzugehen, wir uns im Interesse der Sammlung, die das Gesetz dieser Stunde sein muß, bewußt versagen. Wir sind gewiß: gegenüber manchem tagesbedingten Urteil der Gegenwart erwarten wir für die Arbeit der von uns unterstützten bisherigen Regierungen mit Zuversicht das ausgeglichenere Urteil der Geschichte. Manche der von Ihnen, Herr Reichskanzler, abgege- benen sachlichen Erklärungen geben, wie ich mit Befriedigung in aller Öffentlichkeit hier feststelle, bezüglich einzelner wesentlicher Punkte des deutschen Staats-, Rechts- und Kulturlebens vor allem auch in Verbindung mit den bei den Regierungsverhandlungen gemachten Feststellungen die Möglichkeit, eine Reihe wesentlicher Bedenken, welche die zeitliche und sachliche Ausdehnung des Ermächtigungsbegehrens bei uns ausgelöst hatten und auslösen mußten, anders zu beurteilen.
In der Voraussetzung, daß diese von Ihnen abgegebenen Erklärungen die grundsätzlichen und die praktischen Richtlinien für die Durchführung der zu erwartenden Gesetzgebungsarbeit sein werden, gibt die Deutsche Zentrumspartei dem Ermächtigungsgesetz ihre Zustimmung.
Online Reichstagsprotokoll: hier
Beratung der Zentrumsfraktion zum Ermächtigungsgesetz
Die Beratung über die Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz ist nur durch einen Protokollentwurf des Abgeordneten Jean-Albert Schwarz dokumentiert.
PROTOKOLLENTWURF DES ABGEORDNETEN JEAN ALBERT SCHWARZ
23. III. 33 vormittags 10 1/4 Uhr
Tagesordnung Politische Lage. Vorsitz : Dr. Perlitius .
Dr. Kaas erstattet Bericht über die Besprechungen, die er unter Anwesenheit Dr. Stegerwalds u. Dr. Hackelsbergers mit Reichskanzler Hitler gehabt hat. Er habe ihm erklärt, das Ermächtigungs-Gesetz sei für die Zentrumspartei nur tragbar, wenn gewisse Zusicherungen gegeben würden. Es müsse für die Gesetzgebung der Reichstag eingeschaltet bleiben. Die Bildung eines Arbeitsausschusses zur Durchberatung der Vorlagen sei notwendig. Auf gewisse Einzelgegenstände könne das Eermächtigungsgesetz keine Anwendung finden. Es sei vom Reichskanzler Hitler zugesagt worden, daß keine Maßnahmen gegen den Willen des Reichspräsidenten durchgeführt würden. Ein Arbeitsausschuß zur Durchberatung der auf Grund des Ermächtigungsgesetzes zu erlassenden Gesetze werde gebildet. Die Gleichheit vor dem Gesetze werde nur den Kommunisten nicht zugestanden werden. Die Zugehörigkeit zur Zentrumspartei solle kein Grund zum Einschreiten gegen Beamte sein. Es sei nicht beabsichtigt, die Unabhängigkeit der Richter zu beseitigen. Das Bestehen der Länder werde nicht angetastet. Auf kulturpolitische Dinge werde das Ermächtigungsgesetz nicht angewendet. Die bestehenden Rechte der christlichen Konfessionen werden gewahrt, die Errungenschaften gesichert bleiben. Kirche, Konkordat u. Schule würden durch Ermächtigungsgesetz nicht berührt.
Im Anschluß weist Dr. Kaas auf die schwierige Stellung der Fraktion im gegenwärtigen Augenblick hin. Es gelte einerseits unsere Seele zu wahren, andererseits ergäben sich aus der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes unangenehme Folgen für die Fraktion und die Partei. Es bliebe nur übrig, uns gegen das Schlimmste zu sichern. Käme die 2/3 Majorität nicht zustande, so werde die Durchsetzung der Pläne der Reichsregierung auf anderem Wege erfolgen. Der Reichspräsident
habe sich mit dem Ermächtigungsgesetz abgefunden. Auch von den Deutsch-Nationalen her sei kein Versuch einer Entlastung der Situation zu erwarten. Dr. Kaas lehnt es ab, von sich aus einen Vorschlag zu machen, wie man sich entscheiden solle. […]
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Im Anschluss äußert Brüning seine Bedenken, die Fraktion stimmt jedoch mehrheitlich für die Annahme des Ermächtigungsgesetztes.
Redaktionell überarbeiteter Text (Ausschreibung der Abkürzungen), das vollständige Original mit Anmerkungen wurde publiziert in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jg. 4, Heft 3, 1956, S.306f.
Onlne verfügbar auf der Website des Instituts für Zeitgeschichte (hier) - direkt dazu: hier
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Links
Vgl. die interessante Zusammenstellung früherer Ermächtigungsgesetze sowie die Ton-Dokumente aus der Debatte und weitere Links auf Wikipedia..
Eine gute Analyse der Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes gibt es auf 1000dokumente.de
Audios: Reden Hitlers und Goebbels’ Februar bis März 1933, darunter die Reden von Wels und Hitler zum Ermächtigungsgesetz auf nationalsozialismus.de, Übersicht hier.
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