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Russland verstehen?!

Von der Annexion der Krim zur Unterwerfung der Ukraine.
Politische Aktualität und historische Hintergründe von Putins Politik

Verstehen von etwas impliziert nicht Verständnis dafür.

Last update: 26.3.2022

Übersicht:

1. Krim-Krise, Ukraine-Konflikt. Einträge von 2014 und 2017

2. Der neue (alte) Imperialismus 2022. Links und Infos zum aktuellen Geschehen und seinen Hintergründen. (>dorthin)
a) Aktuelle Meldungen und Analysen
b) Hintergrund - Analysen der letzten Jahre und aktuell (direkt dorthin)

3. Chronik eines übersehenen Konfliktes (direkt dorthin)

4. Politikwissenschaftliche/-didaktische u.a. Handreichungen für die Bildung (direkt dorthin)

Auf der >zweiten Seite:
Russland und die Ukraine 2022: Korrektur der Geschichte? Welcher Geschichte?
Überblick über die Geschichte der Ukraine und ihres Verhältnisses zu Russland, mit historischen Karten - >hier

Auf der >dritten Seite:
Quellen, Materialien, analytische Infos und didaktische Handreichungen zur Geschichte Russlands und Europas (im Aufbau) >hier

Auf der >vierten Seite
Russland / Ukraine... und die Welt. Analytischer Kommentar

 

1. Krim-Krise, Ukraine-Konflikt (Einträge seit 2014)

Die Krim-Krise lehrt uns, dass wir uns zu wenig mit den Grundlagen der russischen Politik beschäftigt haben, darunter auch den historischen Grundlagen. Einige Bemerkungen aus zeithistorischer Perspektive zum Ukrainekonflikt gibt Jan C. Behrends auf Zeitgeschichte Online.

Geschichte verstehen, wenn sie gemacht wird, das ist auch die aktuelle Aufgabe, wenn man prognostizieren will, wie’s weitergeht. Während die Politik und die Medien die Ukrainekrise als ein Schwarz-Weiß-Gemälde pinselten, als Entweder-oder, sagt der deutsche Außenminister am 3.4., man müsse aus dem Entweder-Oder herauskommen. Ulrike Winkelmann zeichnet in ihrem Kommentar in der taz vom 4.4.2014 nach, wie dieses Entweder-Oder nicht nur die Konfliktlösung behindert hat, sondern wesentlich dazu beigetragen hat, dass es zum Konflikt kam: “Die EU ist nicht schuld, dass Putin das Völkerrecht gebrochen hat. Aber sie hat die Ukraine in ein mieses ökonomisches Dilemma manöviert.” Was der Assoziierungsvertrag mit der EU an wirtschaftlich-sozialen Einschnitten in der Ukraine bedeutet, wie sich danach die Urkaine der EU unterordnen muss statt davon zu profitieren, das konnte und kann keine Regierung der Ukraine unterschreiben und auch die jetzige Übergangsregierung hat nur den politischen Teil unterschreiben.

Ein spannender Kommentar: Nie mehr Entweder-Oder. Von der küchenpsychologischen Behandlung der Krimkrise sollte man abrücken und zur Fehleranalyse übergehen, besonders seitens der EU. (taz-online 6.4.2014)

Ulrike Winkelmann bezieht sich dabei auf eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2011. Diese hat den Vorteil, dass die aktuelle Entwicklung damals noch nicht bekannt war, ein Konflikt der Ukraine mit Russland aber schon vorausgesehen wurde, der Nachteil ist, dass die Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz abgeschlossen waren. An der Substanz des Vertragstextes wurde jedoch bis zur Ablehnung der Unterzeichnung des Abkommens nichts mehr geändert.  

Das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union DCFTA
von Ina Kirsch van de Water, August 2011 >hier

Jörg Baberowski: Zwischen den Imperien. Warum hat der Westenj beim Knflikt mit Russland derartig versagt? Weil er nicht im Ansatz die Geschichte der Ukraine begreift, in: Die Zeit Nr. 12/2014, >Zeit Online

André Härtel: Wo Putins Russland endet. “Novorossija” und die Entwicklung des Nationsverständnisses in der Ukraine, >Konrad Adenauer Stiftung, Auslandsinformationen, 16.7.2016.
Eine sehr gute, informative Analyse mit Statistiken und Karten.

Wie Putin aus einem Irrenhaus ein Reich formte, Christian Neef im >Spiegel, 9.8.2017.

“Der Kreml blockiert jede Alternative zu Putin”, Interview mit Alexej Nawalny am 16.4.2017 im >Spiegel.

“Vor fünf Jahren: Russlands Annexion der Krim. Hintergrund aktuell der >Bundeszentrale für politische Bildung, 18.3.2019, mit weiterführenden Links.

>Portal Politische Bildung der Zentralen für politische Bildung: Topthema Ukraine

>Infoportal Östliches Europa der Landeszentrale für politische Bildung Ba-Wü: Geschichte der Ukraine

 

 

2. Der neue (alte) Imperialismus 2022

a) Aktuelle Meldungen und Analysen

Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G9 zur Invasion der Ukraine durch die Streitkräfte der Russischen Föderation, >Bundesregierung

Die beste Website mit kritischen und kompetenten Analysen (Grimme Online Award 2016 & 2021) v.a. auch von und mit Expert/inn/en aus den betroffenen Ländern : >Russland-Dekoder (siehe auch unten)
Aktuell: Krieg in der Ukraine - Hintergründe. Das gesamte Dossier im Überblick.
Aktuell: Krieg in der Ukraine - Aktuelle Leseempfehlungen. Die andere >Linkliste mit vielen Übersetzungen von Nachrichten und Analysen aus dem Ukrainischen und Russischen.

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Online-Dossiers >Russland und die Ukrainea / >Ukraine-Krieg 2022

Bundeszentrale für politische Bildung: >Krieg in der Ukraine

Russland-Ukraine-Konflikt im Überblick - Gesammelte Nachrichten und Analysen des >MDR

Eve Conant: Krieg zwischen Russland und Ukraine: Die historischen Gründe des Konflikts, 24.2.2022, >National Geographic

Putin - Die Rückkehr des russischen Bären, Doku (54 Min.) vom 24.1.2022 auf >Arte

Die Analysen der Osteuropa-Experten:

>Blog der Zeitschrift Osteuropa zur aktuellen Entwicklung
Der Leiter der Zeitschrift, Manfred Sapper, zu Gast im Deutschlandfunk:
“Am wirkungsvollsten sind Sanktionen, die auch uns wehtun.” Manfred Sapper im Gespräch, Deutschlandfunk Kultur, 22.2022 (sic!), >osteuropa
Wie weit wollen wir gehen für Freiheit und Demokratie? Gisela Steinhauer  im Gespräch mit den Osteuropa-Experten Manfred Sapper und Sabine Adler und Hörer/innen von >Deutschlandfunk Kultur, 26.2.2022
Intellektuelle verlassen Russland. “Die Zukunft des Landes ist verloren”, Manfred Sapper im Gespräch mit Britta Bürger, >Deutschlandfunk Kultur, 18.3.2022

Manfred Sapper im Dialog mit Joseph Joffe Pro und Contra: Ist Putin wahnsinnig? in der >Zeit 1.3.2022.

Die Zeitschrift Osteuropa hat die letzten drei herausragenden Hefte Russland und der Ukraine gewidmet:
Der Geist der Zeit. Kriegsreden aus Russland. Heft 7/2021
Russlands Krieg gegen die Ukraine. Propaganda, Verbrechen, Widerstand. Heft 1-3/2022. - Mit einer Sammlung von 8 Reden von Putin, Selenskij und Medvedjev
Auf ganzer Front. Russlands Krieg. Friktionen und Folgen. Heft 4-5/2022

>F.A.Z. Podcast vom 28.2.22 (37’:01’’): Wenn Putin stürzt, stürzt die Welt mit - Aussichten in einer aussichtslosen Situation - unter diesem ganz und gar irreführenden Titel, der Baberowskis Aussage, dass auch ein möglicher Sturz Putins Konsequenzen habe, interpretieren will, gibt es einen sehr interessanten Podcast der F.A.Z., der aus Telefongesprächen mit Partnern vor Ort in Kiew und St. Petersburg sowie zu mehr als die Hälfte aus einem sehr aufschlussreichen Interview mit Jörg Baberowski (ab 15:39) besteht. Der Osteuropa-Experte erklärt darin auch, dass auch er sich über die Ziele Putins getäuscht hat, er dachte, er hätte nur einen “kleinen Krieg” im Donbas beabsichtigt.
Zum F.A.Z “Podcast für Deutschland” >Übersicht über die Folgen

Dazu auch: Jörg Baberowski: Ein Krieg, erfüllt vom Geist der Rache, in: F.A.Z., 1.3.2022, >faz.net (kostenpflichtig)

Rückkehr zum Imperialismus? Herfried Münkler über Putins Großmacht-Träume, >Deutschlandfunk 27.2.2022 (24*:46’’)

Interview mit Herfried Münkler in HR2 “Der Tag” am 1.3.2022, “Letztlich fällt Putin China in die Hände...”, >podcast (11’:24’’)

Osteuropa-Historiker Karl Schlögel wirft Putin Wirklichkeitsentfremdung vor, >Deutschlandfunk, 27.2.2022

Deutschlands neue Russland-Politik - Karl Schlögel, >WDR Radio 28.2.2022 (21’:21’’)

nterview (Text) mit Karl Schlögel: “Putin ist ein von Obsessionen geplagter Mensch”, >ntv, 1.3.2022.

>ZDF Spezial Krieg in Europa vom 2.3.2022 (41’:29’’) mit Interview mit Karl Schlögel.

 

Historischer Bogen weit zurück:

David Beck / Pascal Siggelkow: Russland und die Ukraine - Geschichte eines Krieges, >SWR2 Wissen, 28.2.2022, mit einem Video (27’:34**). - Historischer Überblick von der Taufe Fürst Wladimirs I. 988 bis heute.

Terra X: Putins Krieg - Geschichte als Waffe >ZDF

Mit offenen Karten/Spezial Ukraine >Arte (25’:01’’). Geschichte der Ukraine von der alten Rus und einem Sprung ins 17. Jh. und dann bis heute mit dem Schwerpunkt auf der aktuellen Situation in der geopolitischen Doku-Reihe von Arte, deren Kennzeichen eine gute Zusammenfassung ist, hier erweitert mit zwei Kommentaren von einer Expertin und einem Experten.

Dokus auf Arte: Inzwischen gibt es ein umfangreiches Angebot über Putin und Russland nach dem Ende der Sowjetionion, so dass hier nicht alles einzeln aufgezählt werden kann. Mit den Stichwörtern “Putin” oder “Russland” oder “Ukraine” findet man das schnell.

Wird ergänzt...

 

b) Hintergrund - Analysen der letzten Jahre und aktuell

Die beste Website mit kritischen und kompetenten Analysen (Grimme Online Award 2016 & 2021) v.a. auch von und mit Expert/inn/en aus den betroffenen Ländern : >Russland-Dekoder
z.B.: “Die zwei slawischen Autokratien leugnen den Lauf der Zeit”. Diskussion am 8.6.2021, >hier.
Diskussion zwischen der belarussischen Literaturnobelpreisträgerin Svetlana Alexijewitsch und der russischen Politologin Ekaterina Schulmann mit Ivan Krastev, bulgarischer Politologe und zusammen mit dem Amerikaner Stephen Holmes Autor des Buches Das Licht, das erlosch (siehe unten). Die Diskussion wurde von dem belarussischen Magazin Kyky verschriftlicht und auf Dekoder in (gekürzter) deutscher Übersetzung herausgebracht (22.7.2021).

Ebenfalls

Dossier Russland >Bundeszentrale für politische Bildung, 5.2.2020, mit analytischen Darstellungen zur Geschichte und Politik

Geschichte der Ukraine im Überblick, >Informationen zur politischen Bildung, BpB. 2015.

>Redaktionsnetzwerk Deutschland: FAQ > Geschichte > Russland: Wie konnte der Russland-Ukraine-Konflikt so eskalieren? Ein Blick in die Vergangenheit

>ApuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 47-48/2014: Ukraine Russland, Europa

Alexander Abatow / Ekaterina Kusnezowa / Vladislav Inozentsev: Das letzte Imperium. Russland ist dazu verdammt, eine reivionistische Macht zu sein, in: >Internationale Politik 1, Jan.-Febr. 2019, S. 115-126, 1.1.2019. -
Im ersten Satz heißt es dann: “Russland ist nicht zum Imperium geworden, es wurde als solches geboren -  im Unterschied zu europäischen Ländern.” Aussagen, die man bestreiten darf, diesen Fatalismus könnte nämlich auch Putin unterschreiben. Die kritische Sicht, die der Artikel einnimmt, hebt sich selbst auf, wenn die Geschichte nicht anders verlaufen konnte und nicht anders verlaufen kann, als sie es tat und tut. Unter diesem Blick ein interessanter Text.

Nina Frieß: Russlands andere Geschichte(n). >ZOiS Spotlight 23/2020, 9.9.2020. - Ein komprimierter Einblick in das offizielle historische Selbstverständnis Russlands heute, wie es Jugendlichen vermittelt wird.

Geschichte als Instrument der Innen- und Außenpolitik am Beispiel Russlands. Wie die Gegenwart die Vergangenheit beeinflusst. Analyse der >Stiftung für Wissenschaft und Politik, 22.22.2020  

Olga Filina: Wird Geshichte an russischen Schulen eigentlich nach einem einheitlichen Geschichtsbuch unterrichtet? >BpB Russland Dekoder:

Uwe Klußmann: Putin macht Geschichte. Der Kreml hat ein einheitliches Geschichtsbuch in audftrag gegeben. [...] Reusslands Schulbuch-Streit, in: >Spiegel Online, 23.11.2013.

Kardiogramm - Anamnese des Putinismus, >osteuropa 6/2020. Das Heft kostet 18.- zwei Beitraäge daraus gibt es aber gratis online:  Andrej Kolesnikow: >Erinnerung als Waffe. Die Geschichtspolitik des Putin-Regimes / Jan Matti Dollbaum: >Aktion und Reaktion. Russland: Protestbewegungen im autoritäreen System

Der Geist der Zeit. Kriegsreden aus Russland, >osteuropa 7/2021, 160 S., 16.- Mit einem Schwerpunkt: Russland und die Ukraine, darin:  Dokumentation: Vladimir Putin: Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer / + Analysen  von Andreas Kappeler und anderen zu Text und Kontext.

Arte TV: Wie Russland die Geschichte sehen will - >Arte Reportage, 9.9.2019 (24:40)
>Good Bye, Sowjetunion! RBB 2021. (1:30’)
>Das Erbe einer Weltmacht. Geopolitik auf den Trümmern der Sowjetunion. WDR 2021. (1:45’)

 

Zur postsowjetischen Geschichte:

Martin Aust: Die Schatten des Imperiums. Russland seit 1991. München (C.H. Beck) 2019, 190 S.

Ivan Krastev / Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung. Berlin (Ullstein) 2019. (Orig. The Light that FaileD. A Reckoning. London (Lane / Penguin) 2019.)
Dazu ein Interview mit Stephen Holmes (englisch) auf der Website der >New York University School of Law
Eine Analyse über die nachlassende Strahlkraft des westlichen oder demokratischen Denkens in den Ländern des eheamligen Ostblocks (- mit Ausnahme der Ukraine).

Zum Einstieg in der Beck Wissen-Reihe:
Andreas Kappeler: Russische Geschichte.
Mümchen (C.H. Beck) 7. Aufl. 2016, 123 S.

Ländergeschichte bei Reclam:
Hans-Heinrich Nolte: Geschichte Russlands. Stuttgart (Reclam) 3. Aufl. 2012, 576 S.
Kerstin S. Jobst: Geschichte der Ukraine. Stuttgart (Reclam) 2. Aufl. 2015, 276 S.

 

Wird ergänzt...

3. Chronik eines übersehenen Konfliktes

Man kann etwas sehen ohne es wirklich wahrzunehmen - im wörtlichen Sinne von wahr-nehmen.  Die Eskalation bis um heutigen Krieg gegen die Ukraine war sichtbar. Das Problem einer vernünftigen postsowjetischen Ordnung in Osteuropa war bekannt, vier Konfliktbereiche zeichneten sich früh a.

1. Das neue Verhältnis zwischen Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken, die nun das in der sowjetischen Verfassung garantierte Recht auf Selbstständigkeit in Anspruch nehmen konnten und dies auch taten. - Zwischen allen, in besonderem Maße aber im europäischen Teil der ehemaligen UdSSR und ganz besonders zwischen Russland und der Ukraine gab es eine Verflechtung von Unternehmen und wirtschaftlichen Strukturen, die durch neue Staatsgrenzen zerschnitten wurden und was nun die Frage nach einer Zusammenarbeit über die neuen Grenzen hinweg aufwarf. Dafür wurde die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten GUS 1991 gegründet, die jedoch von vornherein den Eindruck erweckte, eine gewisse Fortsetzung der alten Sowjetunion zu sein, jetzt zwar lockerer, aber doch unter russischer Dominanz. Dies war für die Staaten zunächst kein Problem, die politisch ohnehin eng verbunden aus dem Zerfall der der UdSSR hervorgingen, allen voran die Gründerstaaten Russland, Weißrussland (Belarus) und Ukraine. Die baltischen Staaten nahmen dagegen nicht daran teil, Georgien trat aufgrund des Konfliktes mit Russland 2008 aus und die Ukraine ging auf Distanz, um dann 2014 ebenfalls auszutreten. Die GUS war aber auch zu diesem Zeitpunkt nur noch eine leere Hülle.

2. Die Erblast der Vergangenheit betraf nicht nur das sowjetische sondern auch das zaristische Erbe. - Nicht umsonst hatten Lenin und Stalin den “Fehler” laut Putin begangen, in der Revolution 1917 und dann in der sowjetischen Verfassung die Selbstständigkeit der Nationalitäten zu proklamieren um damit gerade das imperialistische Erbe des Zarismus aufzulösen und im Interesse der nicht-russischen Minderheiten zu handeln. Statt einer demokratischen Entwicklung trat nun aber nach dem Sieg um Bürgerkrieg eine politische Gleichschaltung durch die Kommunistische Partei ein, dennoch bekamen die Nationalitäten erstmals ihre eigene administrative Selbstverwaltung in diesem Rahmen. Die Russische Föderative Sowjetrepublik und heute das unabhängige Russland wurden nicht umsonst auch selbst intern föderativ organisiert bis in die Namensgebung hinein.

Die Republik Tschetschenien innerhalb der Russischen Föderation strebte nach 1991 ihre Unabhängigkeit an und hätte damit die äußerst gewaltsame russische Eroberung im 19. Jahrhundert rückgängig gemacht. Die Sezession war jedoch kein demokratisch legitimierter Vorgang, sondern wurde wesentlich von dem autoritär regierenden Präsidenten Dudajew vorangetrieben und stand auch durch seinen Eid auf den Koran unter einem starken islamistischen Akzept. Es folgten darauf zwei “Tschetschenien-Kriege” zur Unterwerfung der abtrünnigen Republik, der erste noch unter Präsident Jelzin 1994-96, der zweite unter Putin 1999-2009. Anschläge tschetschenischer Terroristen außerhalb des Gebietes, so z B, in Moskau, halfen der russischen Führung im zweiten Krieg, dies als einen Krieg gegen Terroristen zu deklarieren, da die Tschetschenen Muslime sind, dort im Zuge der Radikalisierung des Krieges 1996 die Scharia zum offiziellen Recht erklärt wurde und es dann auch in der Tat Verbindungen zum islamistischen Djihad gab. Die Kriegführung im zweiten Tschetschenienkrieg wurde aufgrund der Überlegenheit der russischen Streitkräfte von tschetschenischer Seite als Guerillakrieg geführt und, wie in ähnlichen Fällen andernorts auf der Welt, von russischer Seite auch massiv gegen die Zivilbevölkerung unter ständiger Verletzung der Menschenrechte. Schon der erste Krieg endete 1996 mit der nahezu vollständigen Zerstörung der Hauptstadt Grosny. “Die Zahl der getöteten Zivilisten wird auf 30 000 bis 100 000 geschätzt.” (Laqueur, S. 38).

Es wurde unmöglich, frei darüber zu berichten, die Journalistin Anna Politkowskaja fiel aller Wahrscheinlichkeit nach deswegen 2008 einem Mordanschlag zum Opfer.

Während der tschetschenische Separatismus unterdrückt wurde, wurden ähnliche Tendenzen in anderen unabhängigen ehem. Sowjetrepubiken von Russland unterstützt, so in Georgien, wo es 2008 zum Krieg kam, als Russland die Abspaltung der autonomen Gebiete Abchasien und Südossetien gegen den georgischen Versuch einer militärischen Rückeroberung unterstützte und mit seinen Truppen auch ins Kernland Georgiens vorstieß. Die EU konnte damals ein Abkommen vermitteln, wonach sich die Russen auf die besetzten Gebiete Abchasien und Südossentien zurückzogen, einen Krieg gegen Georgien insgesamt wollte Putin damals nicht eingehen.

Hintergrund war aber auch die Annäherung Georgiens an die EU und die NATO, ohne jeweils Mitglied zu werden. Es zeigt sich aber jedoch noch ein anderes Problem: Die beiden abtrünnigen Gebiete hatten sich schon 1991 für unabhängig erklärt und und dafür russischen Schutz erhalten, Georgien hat wie andere ehem. Sowjetrepubliken auf seinen Territorium dasselbe Problem wie es selbst gegenüber Russland: Die ethnischen Minderheiten, die schon in der Sowjetzeit einen Autonomiestatus innerhalb Georgiens hatten, wollten nun dieselbe Souveränität wie Georgien gegenüber Russland. Russland nützt das für seine Zwecke aus.

Dies gilt auch für den Fall Moldawien mit der Abspaltung Transnistriens (d,h, jenseits, östlich, des Flusses Dnjestr) - hier noch in einer anderen Konstellation, da der slawische Bevölkerungsteil aus Russen und Ukrainern dort in Transnistrien die Mehrheit und nahezu das Doppelte der rumänischssprachigen Moldauer stellt. Nach der Unabhängigkeit Moldawiens kam es erst zu einem Konflikt mit der Minderheit der Gagausen, einem christlichen Turkvolk im Süden, und dann mit den nach Russland orientierten Slawen auf der anderen Seite des Flusses, in einem langen, schlauchartigen Gebiet am Fluss entlang, das sich als Republik Transnistrien (deutsche Bezeichnung, die eigene ist etwas anders) 1992 abspaltete und somit zwischen Moldawien und der Ukraine liegt. Während für Gagausien als Autonomes Gebiet innerhalb der Republik Moldau eine beiderseits anerkannte Lösung gefunden wurde, wird die Sezession Transnistriens de facto durch die Präsenz russischer Truppen gestützt.

Probleme mit einem starken russischen Bevölkerungsanteil gab und gibt es  auch in den baltischen Staaten, am stärksten in Lettland, wenn dieser Konflikt  in den letzten Jahren auch zurückgegangen ist. Mit der Unabhängigkeit erkannte Lettland nur als Staatsbürger diejenigen und deren Nachkommen an, die 1940 vor der sowjetischen Annexion in Lettland gelebt hatten. Damit wurden alle anderen, die danach zugezogen waren, vor allem Russen, zu Einwohnern ohne Bürgerrech und 27% der Bevölkerung zu “Nichtbürgern”. Der Abteil der ethnischen und sprachlichen Russen belief sich jedoch auf ca. 40%, da auch in der Zwischenkriegszeit Russen aus der vorherigen zaristischen Ära in Lettland lebten, damit aber auch das Staatsbürgerrecht hatten. Im Laufe der Zeit wurden Möglichkeiten zur Einbürgerung durch das Erlernen der lettischen Sprache ermöglicht, die Auswanderung eines Teils der Russen und die Verjüngung durch Nachgeborene senkten die Zahl der “Nichtbürger” 2020 auf 19,4% gesunken.

3. Die innere Entwicklung und das Verhältnis zur Demokratie und zum Westen. - Der Versuch, die zentrifugalen Kräfte hin zu mehr Unabhängigkeit von Russland zu stoppen und sogar wieder umzukehren, ging einher mit der Zurückdrängung der Demokratie in Russland selbst. Präsident Putin ließ seine Konzeption als “gelenkte Demokratie” bezeichnen und verstärkte diese Lenkung immer mehr, so dass bis vor dem Krieg gegen die Ukraine schon fast alle Medien kontrolliert wurden und jetzt auch noch die letzten freien zensiert bzw. verboten werden, freie kritische Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit (Demonstrationen) ist faktisch nicht mehr möglich bzw. steht unter Strafe und bekannte Oppositionelle sind in den letzten Jahren ermordet, verhaftet oder sonst mundtot gemacht worden. Unter Ausnutzung einer Lücke in der Verfassung, die die Amtszeit des Präsidenten auf eine einzige Wiederwahl beschränkt, konnte Putin durch den Tausch der Posten des Regierungschefs und des Präsidenten während einer Amtszeit und anschließender Rückkehr in die Präsidentschaft in der politischen Führung bleiben und nun durch eine neue Verfassung seine Amtszeit als Präsident weiter verlängern und mit noch mehr Macht ausstatten. 

4. Die Beziehungen zum Westen waren von Anfang an durch zwei widersprüchliche Tendenzen gekennzeichnet. Einerseits sollte die NATO-Erweiterung nach Osten verhindert werden, was nachvollziehbar ist unter dem Blickwinkel, dass man weiterhin einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Ost und West auf gesellschaftlich-politischer Ebene sieht und das russische Sicherheitsinteresse so definiert, dass die von der sowjetischen Herrschaft befreiten Staaten nicht als voll souverän anerkannt werden.  Besonders gravierend wurde die NATO-Osterweiterung gewiss dann, als selbst ehemalige Sowjetrepubliken sich der NATO anschlossen wie die drei baltischen Staaten. Was bedeutet aber die Forderung nach einer Zone “neutraler” Staaten über die Ukraine hinweg bis hin zu Schweden und Finnland, wie sie am 24.12.2021 vom russischen Außenministerium in die Debatte gebracht wurden, um Russlands “Sicherheitsinteresse” zu befriedigen? Diese Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit und ihrer Verteidigungsmöglichkeit im Konfliktfall macht sie indirekt von Russland abhängig. Nicht umsonst bestanden vor allen Polen und die drei baltischen Staaten, die in ihrer Geschichte leidvolle Erfahrungen mit russischer Fremdherrschaft machen mussten, auf den NATO-Beitritt zur Sicherung ihrer Souveränität. Und die russische Politik zunächst verbaler, dann auch militärischer Agression, erzeugt das genaue Gegenteil von dem, was sie fordert: Während Schweden udn vor allem Finnland Jahrzehnte der Neutralität währende des Kalten Krieges und danach gewahrt hatten, erzeugt die Angst vor Putin nun bei ihnen den Drang, sich der NATO anzunähern.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hatte Putin bereits in einer strategischen Grundsatzrede deutlich gemacht, dass die Sowjetunion zwar untergegangen sei, Russland aber nicht, und machte klar, dass es keine unipolare, von den USA dominierte Welt gebe, sondern dass sich Russland weiterhin als weltpolitische Akteur in einer multipolaren Welt verstehe. Ein besonderer Stein des Anstoßes war die Stationierung der amerikanischen Raketenabwehr (ABM) in osteuropäischen Staaten, die wir hier umseitig in einer speziellen Analyse behandeln (Analytischer Kommentar >Schrecken und Abschreckung).

Andererseits wollte man aber die wirtschaftliche Erneuerung Russlands nach dem katastrophalen Ende der Sowjetunion mit ihrer Planwirtschaft mit Hilfe des Westens bewerkstelligen, dies prägte die Ära Jelzin und Putin wollte sich von der damit verbundenen Abhängigkeit freimachen, ohne es durch einen abrupten Schnitt tun zu können. So offerierte er in seiner gefeierten Rede im Bundestag 2001 ein Angebot an Sicherheitspartnerschaft und Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich. Auf der Tagesordnung stand damals die Aufnahme in die Welthandelsorganisation. Im Rückblick kann man darin aber immer wieder die Betonung auf “Vollwertigkeit” und “Gleichberechtigung” der partnerschaftlichen Beziehungen erkennen, die damals wie rhetorische Floskeln erscheinen konnten, aber doch zum Ausdruck brachten, dass sich Russland nicht genug respektiert fand. Putin trat hier nicht als Bittsteller auf, sondern durchaus als Forderer, diplomatisch so verpackt, dass es offenbar kaum auffiel. Die beiden Reden von 2001 und 2007 unterscheiden sich nicht der fundamental, wie man meinen könnte, doch hatte sich in der Zwischenzeit einiges ereignet, darunter auch die weitere NATO-Osterweiterung, die Putin zu der Überzeugung brachte (wenn er sie denn nicht schon hatte), dass man auf russische Interessen keine Rücksicht nahm.

Wird ergänzt...

 

4. Politikwissenschaftliche/-didaktische u.a. Handreichungen für die Bildung:

Deutscher Bildungssserver:
Unterrichtsmaterialien zum Thema “Ukraine-Krieg”, hier >Audio-Linkempfehlungen
Der Ukraine-Krieg im Kontext Bildung, >Dossier
Der Ukraine-Krieg als Thema im Schulunterricht, >Arbeitsblätter und weitere Unterrichtsmaterialien

Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Rheinland-Pfalz:
Mit Schülerinnen und Schülern über den Krieg in der Ukraine sprechen .- eine >Impulssammlung, darunter Materialhinweise (zur Recherche sowie zum Einsatz im Unterricht)

Niedersächsischer Geschichtslehrerverband:
>Informationsmaterialien zum Krieg in der Ukraine

Wird ergänzt...

 

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Russland und die Ukraine 2022: Korrektur der Geschichte? Welche Geschichte? Überblick über die Geschichte der Ukraine und ihres Verhältnisses zu Russland, mit historischen Karten

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Quellen, Materialien, analytische Infos und didaktische Handreichungen zur Geschichte Russlands und Europas (im Aufbau) >hier

>Vierte Seite
Russland / Ukraine... und die Welt. Analytischer Kommentar

 

Wikipedia: >Geschichte Russlands / >Geschichte der Ukraine / >Putin

>Geschichte Russlands, Bundeszentrale fü  rpolitische Bildung

 

 

 

 

Von Tschetschenien bis Ukraine: Russland und seine militärischen Konflikte >ntv

Tschetschenien: >Uni Wien
Wikipedia: >Tschetschenien / >Dudajew; Tschetschenienkriege >Erster, >Zweiter

2. Tschetschenienkrieg >BpB, mit einer Übersicht über das Krisengebiet Nordkaukasus und weiterführenden Links

Kriegsbeginn vor 25 Jahren: Tschetschenien und die Folgen (2019) >Deutschlandfunk

Walter Laqueur: Putinismus: Wohin treibt Russland? Berlin (Ullstein / Propyläen) 2015.

Der Krieg, den es nicht gab >Dekoder

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Kauskasuskarte >Wikimedia Commons

Kaukasuskrieg 2008 zwischen Georgien und Russland >Landeszentrale für politische Bildung Ba-Wü

Wikipedia: >Kaukasuskrieg / >Georgien / >Abchasien / >Südossetien

Wikipedia: >Moldawien, >Transnistrien, >Gagausen

 

 

 

 

Wikipedia: >Lettland, >Nichtbürger

 

 

 

 

 

Putin >Wikipedia

 

 

Opposition in Russland, siehe Artikelsammlung der >taz

 

 

 

 

 

 

Minna Alander / Michael Paul: Russland bedroht die Balance im hohen Norden. Angesichts der russischen Kriegspolitik rücken Finnland und Schweden näher an die Nato, Stiftung Wissenschaft und Politik >SWP Aktuell 2022/A, 4.3.2022.

 

Münchner Sicherheitskonferenz 2007 >Wikipedia
Sebastian Fischer: Putin schockt die Europäer, in: >Spiegel 10.2.2077
Wortlaut Rede Putins >AG Friedensforschung

 

 

 

Wortprotokoll der Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25.9.2001 >Deutscher Bundestag