2. Japan und der Zweite Weltkrieg: Schuld und Vergangenheitsbewältigung
a) Die Frage der Verantwortung für den „Pazifischen Krieg“ (pazifisch-asiatischer Schauplatz des 2. Weltkriegs)
Nach der persönlichen Begegnung Kaiser Hirohitos mit General MacArthur am 27.9.1945, knapp vier Wochen nach der Kapitulation, erklärte der Tennō, er sei gegen den Krieg gewesen.[1] Die Amerikaner hatten für die Ausformulierung der bedingungslosen Kapitulation den Kaiser hinsichtlich seiner (Mit-?) Verantwortung sowie die Frage nach der Kontinuität des Kaisertums und der persönlichen Regentschaft Hirohitos außen vor gelassen und nur betont, dass der religiöse Kult um den Kaiser aufgegeben, eine umfassende Demilitarisierung und eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft eingeleitet werden müsse. General MacArthur tat persönlich auch alles, um Hirohito aus dem Tokioter Kriegsverbrecherprozess herauszuhalten, selbst nur als Zeugen, zu riskant wäre es gewesen, dass die Verantwortung des Kaisers zur Sprache gekommen wäre. Immunität durch General MacArthur genossen auch die anderen Mitglieder der Kaiserfamilie, von denen etliche militärische Führungspositionen innehatten, darunter der Onkel Hirohitos, Prinz Asaka, als Befehlshaber der Truppen, die Nanking eroberten. Die Immunisierung erfolgte gegen den Willen des Vorsitzenden Richters Sir William Flood Webb, der aufgrund der Aktenlage überzeugt davon war, „daß der Kaiser als absoluter Herrscher die […] Verantwortung für die Genehmigung des Krieges trüge.“[2]
Dieses Zugeständnis wurde der japanischen Regierung gemacht um die Annahme der Kapitulation zu erleichtern, zu unsicher war sich die amerikanische Führung, und zwar zu Recht, ob eine wirklich bedingungslose Kapitulation wie im Falle Deutschlands auch nach dem Atombombeneinsatz akzeptiert würde. Tatsächlich bedurfte es erst des zweiten Atombombenabwurfs über Nagasaki um, zusammen mit den genannten Zugeständnissen, auch die Zustimmung des Kaisers zur Kapitulation zu erzwingen, die das Militär noch durch einen Putschversuch zu verhindern versuchte.
Über die genaue Rolle Hirohitos bei den Entscheidungen über den Krieg gegen die USA durch den Angriff auf Pearl Harbor am 7.12.1941 und überhaupt über die generelle Verantwortung für die Außen-und Kriegspolitik sind sich die Experten uneins. Die einen relativieren die Autorität des Kaisers gegenüber dem Militär, das bereits seit dem „mandschurischen Zwischenfall“ eigenmächtig die politische Entwicklung mitbestimmt und zuletzt (seit 1941) eine Quasi-Militärdiktatur errichtet hatte. Auch in der vormodernen Geschichte Japans unter dem Shogunat war der Kaiser schon einmal über lange Zeit politisch marginalisiert worden.
Außerdem hatte die militärische Entwicklung seit dem Krieg gegen China eine Eigendynamik entwickelt, gegen die politische Überlegungen nur schwer ankämpfen konnten. Diese „militärische Logik“ zeigte sich in der Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und Gegnern des Krieges gegen die USA im Sommer 1941. Die Gegner, darunter der damalige Premierminister Fürst Konoe, konnten sich letztlich nicht durchsetzen, weil sich in den USA langsam aber stetig die Meinung durchsetzte, dass man angesichts des Kriegsgeschehens in Europa und Asien nicht länger neutral bleiben könne, und hierbei ging es zunächst um den ostasiatischen Kriegsschauplatz, wo die USA China indirekt unterstützten (Waffen, Geld) und Japan einem sich ausweitenden Embargo unterzogen, das zuletzt die für Japan lebenswichtigen Öllieferungen in Frage stellte.
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion stand Japan vor dem Dilemma, seine Verpflichtungen aus dem Antikominternpakt (1936) und Dreimächtepakt (1940) durch Eintritt in den Krieg gegen die UdSSR zu erfüllen, wie Hitler sich das erhofft hatte, oder aber seinen eigenen strategischen Interessen zu folgen, die ganz anders gelagert waren. Japan hatte schon am 13.4.1941 einen Neutralitätspakt mit der Sowjetunion geschlossen und hielt auch nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR daran fest.
Trotzdem waren die strategischen Notwendigkeiten nicht so zwingend, dass sie den persönlichen politischen Entscheidungsspielraum quasi auf null reduzierten. So argumentiert die Gegenseite unter den Experten, dass die herbeigeführten „Zwänge“ selbst wieder auf vergangenen Entscheidungen beruhten und der Kaiser bis zum Schluss das letzte Wort hatte (siehe auch die Kapitulation). Mi der auch öffentlich propagierten imperialistischen Politik der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ nach dem Beginn des Krieges gegen China, unter der Regierung Konoe (1938), war die Befreiung Asiens von der Kolonialherrschaft der europäischen Mächte verbunden und eine gewaltsame Lösung dieses Unrechts im Sinne der Japaner intendiert, d.h. mit dem Ziel einer japanischen Vorherrschaft. Dies konnte die USA nicht in ihrem Isolationismus belassen. Der Angriff auf Pearl Harbor erscheint somit als notwendige Konsequenz einer seit längerem eingeleiteten, weil gewollten imperialistischen Großmachtpolitik.
Die Tatsache der heftigen Auseinandersetzung in der politisch-militärischen Führung Japans zeigt ja gerade, dass von Zwängen, die einem Automatismus nahekämen, schon deshalb nicht die Rede sein kann. Die Entscheidung für den Krieg gegen die USA war somit die letzte Etappe in einem Tauziehen zwischen Politik und Militär in Japan, bei dem verantwortliche Entscheidungen getroffen wurden.
Welche Rolle spielte dabei der Kaiser? Nach der Meiji-Verfassung war er oberste politische und militärische Autorität. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte setzte er die militärische Führung ein und war schon von daher für das Kriegsgeschehen unmittelbar mitverantwortlich, d.h., auch für Kriegsverbrechen, an denen er zwar nicht ursächlich (durch Befehl o.ä.) schuldig war, die er im Nachhinein aber durch Billigung de facto rechtfertigte. Im Falle der Eroberung von Nanking steht sogar im Raum, dass Hirohito durch eine persönliche „Note“ vom 5.8.1937 die Missachtung des internationalen Rechts angeordnet habe (alle Gefangenen töten)[3], in jedem Fall geschah dies wohl aber durch den Oberbefehlshaber der japanischen Truppen vor Ort, Prinz Asaka, dem Onkel des Kaisers, bei der Eroberung Nankings.[4] Im Übrigen war das Hauptquartier des Generalstabs am 20.11.1937 im Kaiserpalast eingerichtet worden, sodass ein ständiger Kontakt zum Kaiser bestand.[5]
Hinsichtlich der Entscheidung 1941 geben die Aufzeichnungen des Obersten Siegelbewahrers des Kaisers, Kōichi Kido, Auskunft, der als persönlicher Vertrauter des Kaisers eine wichtige Schlüsselstellung in der Hierarchie zwischen Kaiser und Kronrat, politischer und militärischer Führung einnahm. Die Aufzeichnungen in seinem Amtstagebuch zeigen ihn als hervorragenden Kenner der Lage und einen Vermittler, der gleichwohl auch seine eigene Meinung vertrat.[6]
Im Juli 1941 kam es zu einer Regierungskrise, da Premier Konoe und Außenminister Matsuoka uneins über die weitere Politik gegenüber den USA waren. Konoe vertrat die Position, Gespräche mit den USA weiterzuführen, die deren relative Neutralität bis auf Weiteres zumindest verlängert hätten. Dafür mussten aber Kompromisse eingegangen werden. Mitte Juli bot Konoe den Rücktritt des Kabinetts an, nachdem Matsuoka erklärt hatte, nicht mehr weiter dieser Regierung angehören zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt Fand er jedoch noch die Unterstützung durch das Militär, die in ihm einen unverzichtbaren weil allseits anerkannten politischen Führer sahen. (17.7., S. 118). Woraufhin ihn der Kaiser mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragte.
Am 31.7. erklärte der Kaiser gegenüber Kido, er sei gegen einen Krieg mit den USA und sprach sich auch gegen den Dreibund mit Deutschland und Italien aus, der die japanisch-amerikanischen Beziehungen belaste. Als Grund für diese Ansicht gab es die Abhängigkeit von den amerikanischen Ölimporten an. Im Kriegsfalle habe Japan nur Reserven für anderthalb Jahre. Kido wandte sich gegenüber dem Kaiser gegen Einschätzungen, auch aus militärischen Kreisen (Admiral Nagano), die einen solchen Krieg für nicht gewinnbar hielten. (31.7.1941, S. 118f.). Konoe trat jedoch, wie zu diesem Zeitpunkt auch der Kaiser, für den diplomatischen Weg gegenüber Washington ein. Am 2.8. kommunizierte Konoe Kido, dass sich die Position der Militärs in dieser Frage verhärtete und dass dies, falls es zum Konflikt zwischen Militärs und Regierung käme, den Rücktritt der letzteren zur Folge haben würde. (S. 120). Am 7.8. legte Kido Konoe das Dilemma dar, dass die notwendige Ölversorgung nur über die holländischen Ölfelder (Niederländisch-Indien, heute Indonesien) gesichert werden könne, sprich: durch eine japanische Eroberung, dies die USA aber zum Kriegseintritt führen würde, der unter den gegebenen Umständen nicht gewonnen werden könne. Japan müsse also Zeit gewinnen (zehn Jahre), um sich für einen Krieg mit den USA zu rüsten. (S. 120f.).
Am 6.9. riet Kido dem Kaiser, bei der bevorstehenden Ratssitzung unter Anwesenheit Hirohitos, die Militärs im Hinblick auf einen notwendigen diplomatischen Erfolg zu warnen (d.h. diesen nicht zu gefährden sondern vielmehr zu unterstützen). Am 11.9. erfuhr Kido jedoch vom Kriegsminister Tojo Hideki (einem bedingungslosen Befürworter des Krieges gegen die USA) von laufenden Vorbereitungen für den Krieg gegen die USA. (Eine Entscheidung war jedoch noch nicht gefallen). Am 26.9. gab Konoe gegenüber Kido zu, dass er die Hoffnung verloren habe und die Militärs sich offenbar mit ihrem Plan eines Angriff auf die USA am 15.10. durchsetzten würden. Er denke deswegen über eine Rücktritt nach. (S. 122). Währenddessen gingen die Gespräche mit den USA weiter (vermutlich über den US-Botschafter in Tokio).
Am 7.10. offenbarte sich Kido eine Meinungsverschiedenheit zwischen Armee und Marine die zwar beide antiamerikanisch eingestellt waren, aber darin divergierten, dass die Marine noch auf diplomatische Erfolge setzte, die Armee hingegen nicht. Am 9.10. legte Kido einem resignierten Premier noch einmal dar, dass ein Krieg gegen die USA zum jetzigen Zeitpunkt wenig Aussichten auf Erfolg hätte. (S. 124). Stattdessen müssten die nationalen Anstrengungen darauf gerichtet werden, den „chinesischen Zwischenfall“ zu Ende zu bringen, indem die Rückzugsgebiete der Nationalchinesen mit ihrer Hauptstadt Chungking durch konzentrierte Kraftanstrengung erobert würden.
Am 13.10. legte Kido dann dem Kaiser dennoch die nun notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung eines Krieges gegen die USA dar. So sollte Deutschland dazu gebracht werden, sich am Krieg gegen die USA zu beteiligen und keinesfalls Separatfrieden mit Großbritannien oder gar der Sowjetunion schließen. (S. 124f.). Bei letzterem zeigt sich, wie wenig Kido Hitlers Ziele kannte, in seiner Einschätzung hinsichtlich eines Kriegseintritts gegen die USA lag er dagegen richtig.
Am 15.10. spitzte Kriegsminister Tojo den Konflikt mit Premier Konoe zu, indem er erklärte, entweder Konoe trete zurück oder das ganze Kabinett täte es. (S. 125). Am 17.10. riet Kido dem Kaiser, nur eine Regierung unter Tojo Hideki könne die Vertiefung der Spaltung zwischen militärischer und politischer Führung verhindern. (S. 126), wobei er seltsamerweise meinte, Tojo würde als Regierungschef einen überstürzten Krieg verhindern (20.10., S. 129). Zwischen dem 5. und 19.11. wurden die Kriegsvorbereitungen intensiviert und am 19.11. erfuhr Kido vom Kaiser, dass die Gespräche mit den USA es wahrscheinlich machten, dass „bis zum Monatsende mit dem Ausbruch des Krieges mit den USA zu rechnen sei.“ (S. 129).
Am 26.11. äußerte Hirohito gegenüber Kido sein Bedauern, dass sich die Lage in dem genannten Sinne entwickelte, und dass jetzt eine endgültige Entscheidung anstünde. Um seinen Rat befragt, erklärte Kido im nötigen zurückhaltenden Ton, der Kaiser möge die Entscheidung nach der Besprechung im Rat in voller Überzeugung, ohne einen Zweifel, treffen.
Bei der Sitzung des Kronrats am 29.11. stellte Fürst Konoe fest, dass die diplomatischen Bemühungen endgültig gescheitert seien. Gleichwohl entstand im Kronrat keine radikale Kriegsstimmung. Am 30.11. äußerte der Bruder Hirohitos sogar noch Bedenken gegen den Krieg von Seiten der Marine. Die Marineführung war jedoch gegenteiliger Meinung und Hirohito gab dem Premier und Kriegsminister Tojo am selben Tag den Befehl zur Vorbereitung der Kriegshandlungen. Am folgenden Tag, dem 1.12., fiel die offizielle Entscheidung dafür im Großen Rat (Regierung und Kaiser). (S. 131-133).
Die Darstellung Kidos lässt keinen Zweifel daran, dass die Entscheidung für den Krieg durch den Kaiser in freier Entscheidung getroffen wurde.
W. Geiger, 9.9.2019
Siehe auch:
Wolfgang Geiger: Ent-Schuldigung. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan, in: Hessische Lehrerzeitung 3/2015, S. 10-11, >Download des Heftes.
10-9-2019 - Wird fortgesetzt...
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