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Japan und der Zweite Weltkrieg in Ostasien

1. Der japanisch-chinesische Krieg und der Zweite Weltkrieg in japanischen Schulbüchern (ca. 2005)

2. Japan und der Zweite Weltkrieg: Schuld und Vergangenheitsbewältigung
       a) Die Frage der Verantwortung für den „Pazifischen Krieg“ (pazifisch-asiatischer Schauplatz des
       2. Weltkriegs)

3. Links und Infos (noch in Arbeit)

 

 

1. Der japanisch-chinesische Krieg und der Zweite Weltkrieg in japanischen Schulbüchern (ca. 2005)

In den beiden ersten Beiträgen geht es darum, wie der 2. Weltkrieg in Ostasien oder der Pazifische Krieg dargestellt werden. Im ersten Teil werden Auszüge aus japanischen Schulbüchern präsentiert und analysiert, die 2005 nach dem letzten großen Schulbuchstreit mit China in englischer Sprache ins Internet gestellt wurden. Im zweiten Teil wird ein Abriss über die Schulddebatte in Japan gegeben. Darauf folgen Links und Infos zu den angesprochenen Themen.

a) Kriegsausbruch, Verantwortung und geopolitische Perspektive

Aktuell (21.2.2012): Die nachfolgend genannten Links zu den Online-Texten (englisch) japanischer Schulbücher sind leider “out of order”.

Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Darstellung des 2. Weltkriegs bzw. des Japanisch-chinesischen Krieges in japanischen Schulbüchern hat das japanische Außenministerium 2005 die Texte japanischer Schulbücher in englischer Übersetzung ins Internet gestellt. Die damals herunterladbaren Texte (pdf) (ohne Bildmaterial) von 8 Lehrwerken beginnen mit der Meiji-Ära. Die Terminologie und Klassifizierung der beiden Weltkriege erfolgt darin zunächst einmal nach internationalem, d.h. europäischem Standard, aber natürlich mit anderer Schwerpunktsetzung und Perspektive, nämlich einer japanischen bzw. ostasiatischen. 

Hier soll es zunächst um das Selbstverständnis Japans hinsichtlich des Beginns des japanisch-chinesischen Krieges sowie des ostasiatischen Kriegsschauplatzes im Rahmen des 2. Weltkrieges gehen - also um die Gründe, die Zusammenhänge und die Perspektive für den jeweiligen Kriegsausbruch. Im Folgenden werden die entsprechenden Passagen von drei Schulbüchern untersucht. Die Angaben zu den Seitenzahlen beziehen sich auf die Zählung in der jeweiligen pdf-Datei.

Middle School Social Studies: History, Osaka Shoseki: (Link)

Während die Verantwortung der japanischen Armee für den Manchurian Incident 1931 und die Eroberung der Mandschurei eingestanden wird, gibt es für 1937 nur eine vage Formulierung “Japan planned to cut off northern China from the rest of the country” (S.20), der Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke und die Konsequenzen werden neutral formuliert: “The Japanese and Chinese armies clashed at the Marco Polo Bridge on the outskirts of Beijing. Although a cease-fire deal was agreed on the ground, the Japanese government’s policy was unclear. The hostilities spread to Shanghai and the Sino-Japanese War broke out in earnest although no declaration of war had been issued.” (S.22). Weitere Gründe für die japanische Politik werden hier nicht gegeben, im Gegenteil: Der chief secretary of the cabinet wird zitiert mit der Erklärung: “The Japanese army took the absolute minimum necessary steps so secure lines of communication and transportation and to protect Japanese residents. There was never any intention whatsoever do capture territory.”(S.23).  Der Vergleich mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges in Europa unterstreicht diese Betrachtung, denn dort heißt es kurz und bündig: “In Europe, Hitler sought to expand Germany’s territory.”(S.24). Der Pazifische Krieg, wie der Krieg mit den USA und Großbritannien genannt wird, wird als Reaktion auf die Wirtschaftsblockade und Unterstützung Chinas erklärt.

Middle School Social Studies: History. Looking Toward the Future. Kyôiku Shuppan, ch. 6: (Link)

Der Beginn des Krieges 1937 bleibt auch in diesem Schulbuch ein “clash”, für den keiner verantwortlich war, die Verantwortung für die weitere Entwicklung wird so fomuliert: “the Japanese military continued to widen the battlefront without declaring war.”(S.17). Demgegenüber heißt es auch hier über den Kriegsausbruch 1939 in Europa: “Germany [...] invaded Poland in September 1939.”(S.20). Die Darstellung der Gründe für den Pazifischen Krieg ist identisch mit der im erstgenannten Schulbuch.

New Middle School History: Japanese History and the World (revised version) - Shimizu Shoin / ch. 5: (Link)

Die eigenständige Aktion der japanischen Shandong-Armee bei der Eroberung der Mandschurei wird hier noch stärker betont und auch hinsichtlich des Kriegsbeginns 1937 faktisch jede politische Verantwortung seitens der Regierung bestritten: “The Japanese military, which had de facto the control of Manchukuo, next invaded northern China. In 1937 (Shôwa 12), the Japanese and Chinese armies clashed on the outskirts of Beijing. [...] The Government failed in its attempt at peace negociations, and the conflict escalated into all-out war (the Sino- Japanese War).”(S.20). Politische Verantwortung kommt dann erst für den weiteren Verlauf ins Spiel, indem die militaristische Erziehung der Jugend und weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen genannt werden (vgl. S.21), verantwortlicher Akteur bleibt jedoch das Militär. In dieser Perspektive lässt dieses Buch dann auch weitaus mehr Kritik an der japanischen Besatzungspolitik zu, so etwa hinsichtlich des Massakers in Nanjing (vgl. S.21), da diese künstliche Trennung zwischen Militär und Politik die ganze  Verantwortung auf das Militär schiebt. Ganz durchhalten lässt sich dies jedoch wohl nicht, so wird für 1941 Immerhin noch eingestanden: “The Japanese military leadership and government were unable to proprerly judge neither Japan’s economic strength nor the international situation. Japan hat turned not only China, but also the US and Britain, into its enemies.”(S.25).

Hinsichtlich der Frage nach der asiatischen Perspektive auf den 2. Weltkrieg geht aus den Büchern klar hervor, dass der “2. Weltkrieg” nur als indirekt mit Japan verbunden und als in Europa entstanden gesehen wird  Die Einbeziehung Japans in das weltweite Kriegsgeschehen durch den Pazifischen Krieg oder den Asiatisch-pazifischen Krieg - so die terminologische Eigenperspektive - 1941 wird als Folge des japanisch- chinesischen Krieges gesehen. Wie auch sonst? Die Integration der europäischen Konzeption des 2. Weltkrieges ermöglicht es jedoch auch, unterschiedliche Verantwortlichkeiten (Expansionspolitik Hitlers) darzustellen und dabei die japanische politische Verantwortung zu minimieren. Ähnliches gilt auch für die jeweiligen Kriegs- u.a. Verbrechen.

 

b) Kriegsverbrechen

Das Nanking-Massaker:

Nach den Auseinandersetzungen mit China 2005 wurden die Schulbücher vor allem ins Internet gestellt um nachzuweisen, dass der “Nanking-Zwischenfall” darin behandelt wird. Dies geschieht jedoch in unterschiedlicher Weise und stets in einer relativierenden Haltung gegenüber den Vorwürfen.

Middle School Social Studies: History. Looking Toward the Future - Kyôiku Shuppan / ch. 6:

Das Kriegskapitel wird in diesem Buch insgesamt ziemlich kurz abgehandelt, vom “Manchurian Incident” (Eroberung der Mandschurei 1931) bis zum Kriegsende 7 Seiten (gerechnet ohne Bilder und Karten).  Über die Anfangsphase des Japanisch-chinesischen Krieges heißt es dann: “In December [1937], the Japanese military occupied the Chinese capital of Nanjing. During the confusion of the occupation  the  Japanese military killed many prisoners-of-war and residents, becoming the target of international criticism (the Naning Incident).” (S. 12). In einer Fußnote wird dann ergänzt, dass das japanische Volk damals davon nichts wusste.

The New History Textbook - Fusôsha / ch. 5:

Hier wird der Nanjing Indicent nur in einer Fußnote erwähnt: “At this time, the Chinese military and civilian population suffered many casualties due to the Japanese military (the Nanjng Incident). Furthermore, controversy has arisen with the data used to calculate the number of the victims in this incident. Many perspectives exist on the number of victims and other details about this incident due to doubts about the historical records, and debate continues to this day.” (S. 18).

Middle School Social Studies: History / Japan’s Path and the World - Nihon Bunkyô Shuppan / ch. 6:

“When Japanese forces seized Nanjing, they killed many Chinese civilians (the Nanjing Massacre). They were critisized by the international community, but the Japanese people were not informed.” (S. 8). Hier wird immerhin vom Nanking Massaker gesprochen und die Tat als solche sprachlich in ihrer Dimension adäquat wiedergeben, die Dimension allerdings wieder durch den Hinweis auf die umstrittenen Zahlen relativiert. Auch hier wird Wert darauf gelegt, dass die Bevölkerung “nicht informiert” war, allerdings war das Nanking Massaker Gegenstand des Kriegsverbrecherprozesses, der zwar in Kap. 7 erwähnt wird, aber ohne jegliche Details.

Our Middle School Social Studies: History - Nihon Shoseki Shinsha / ch. 5:

°At the end of the year, the Japanese army occupied the capital, Nanjing. In the process the army reportedly massacred as many as 200,000 civilians and prisoners of war, and the endless cycle of violence and looting that ensued drew harsh international condemnation (the Nanjing Incident.” Eine Fußnote ergänzt: “There are a variety of views how many Chinese were killed.” (S. 15f.). Hier wird immerhin eine Opferzahl genannt, allerdings dann wieder mit dem obligatorischen Hinweis auf unterschiedliche Schätzungen relativiert.

Middle School Social Studies: History - Osaka Shoseki / ch. 5:

Ohne Nennung einer Opferzahl, dafür aber von Opferkategorien, die die Dimension ebenfalls verdeutlichen,  akzeptiert dieser Text eindeutiger die Anklage des Verbrechens: “The army occupied the capital, Nanjing, in December [1937], and killed many of the city’sd residents, including women and children (the Nanjing Indicent).” Eine Fußnote ergänzt: “The facts regarding the Nanjing Incident were not made public in Japan. It was not until after the war, at the International Military Tribunal for the Far East, that the scale of the incident and the facts about the victims came to light. Although a number of investigations and studies have been carried out, the total number of victims has never firmly been established.” (S. 15).

New Middle School History: Japanese History and the World (revised version) - Shimizu Shoin / ch. 5:

Da eben Gesagte gilt auch ähnlich für dieses Buch: “The occupation von Nanjing is especially notorious for the army’s indiscriminate violence against the Chinese people, including captured, unarmed soldiers, the elderly, women, and children. Estimates of Chinese casualties on this occasion, including soldiers who died in battle, reach high numbers. Many foreign countries sharply critisized Japan for the Nanjng Massacre, but in Japan, few people were even aware that such an incident had taken place.” (S. 14).

Social Studies: History for Middle School Students. Japan’s Path and World Events (first revised edition) - Teikoku Shoin / ch. 6:

“In Nanjing, many Chinese, not only soldiers but also women and children, were killed. Japan was critisized by the international community for the ‘barbarism of the Japanese military’ (the Nanjng Massacre). The Japanese people, however, were not informed of this incident.” (S. 17). Dieser Wortlaut verrät am deutlichsten, dass diese Passagen unter politischem Druck so formuliert wurden, deswegen auch die “revised versions”.

 

2. Japan und der Zweite Weltkrieg:
Schuld und Vergangenheitsbewältigung

a) Die Frage der Verantwortung für den „Pazifischen Krieg“
(pazifisch-asiatischer Schauplatz des 2. Weltkriegs)

Nach der persönlichen Begegnung Kaiser Hirohitos mit General MacArthur am 27.9.1945, knapp vier Wochen nach der Kapitulation, erklärte der Tennō, er sei gegen den Krieg gewesen.[1] Die Amerikaner hatten für die Ausformulierung der bedingungslosen Kapitulation den Kaiser hinsichtlich seiner (Mit-?) Verantwortung sowie die Frage nach der Kontinuität des Kaisertums und der persönlichen Regentschaft Hirohitos außen vor gelassen und nur betont, dass der religiöse Kult um den Kaiser aufgegeben, eine umfassende Demilitarisierung und eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft eingeleitet werden müsse. General MacArthur tat persönlich auch alles, um Hirohito aus dem Tokioter Kriegsverbrecherprozess herauszuhalten, selbst nur als Zeugen, zu riskant wäre es gewesen, dass die Verantwortung des Kaisers zur Sprache gekommen wäre. Immunität durch General MacArthur genossen auch die anderen Mitglieder der Kaiserfamilie, von denen etliche militärische Führungspositionen innehatten, darunter der Onkel Hirohitos, Prinz Asaka, als Befehlshaber der Truppen, die Nanking eroberten. Die Immunisierung erfolgte gegen den Willen des Vorsitzenden Richters Sir William Flood Webb, der aufgrund der Aktenlage überzeugt davon war, „daß der Kaiser als absoluter Herrscher die […] Verantwortung für die Genehmigung des Krieges trüge.“[2]

Dieses Zugeständnis wurde der japanischen Regierung gemacht um die Annahme der Kapitulation zu erleichtern, zu unsicher war sich die amerikanische Führung, und zwar zu Recht, ob eine wirklich bedingungslose Kapitulation wie im Falle Deutschlands auch nach dem Atombombeneinsatz akzeptiert würde. Tatsächlich bedurfte es erst des zweiten Atombombenabwurfs über Nagasaki um, zusammen mit den genannten Zugeständnissen, auch die Zustimmung des Kaisers zur Kapitulation zu erzwingen, die das Militär noch durch einen Putschversuch zu verhindern versuchte.

Über die genaue Rolle Hirohitos bei den Entscheidungen über den Krieg gegen die USA durch den Angriff auf Pearl Harbor am 7.12.1941 und überhaupt über die generelle Verantwortung für die Außen-und Kriegspolitik sind sich die Experten uneins. Die einen relativieren die Autorität des Kaisers gegenüber dem Militär, das bereits seit dem „mandschurischen Zwischenfall“ eigenmächtig die politische Entwicklung mitbestimmt und zuletzt (seit 1941) eine Quasi-Militärdiktatur errichtet hatte. Auch in der vormodernen Geschichte Japans unter dem Shogunat war der Kaiser schon einmal über lange Zeit politisch marginalisiert worden.

Außerdem hatte die militärische Entwicklung seit dem Krieg gegen China eine Eigendynamik entwickelt, gegen die politische Überlegungen nur schwer ankämpfen konnten. Diese „militärische Logik“ zeigte sich in der Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und Gegnern des Krieges gegen die USA im Sommer 1941. Die Gegner, darunter der damalige Premierminister Fürst Konoe, konnten sich letztlich nicht durchsetzen, weil sich in den USA langsam aber stetig die Meinung durchsetzte, dass man angesichts des Kriegsgeschehens in Europa und Asien nicht länger neutral bleiben könne, und hierbei ging es zunächst um den ostasiatischen Kriegsschauplatz, wo die USA China indirekt unterstützten (Waffen, Geld) und Japan einem sich ausweitenden Embargo unterzogen, das zuletzt die für Japan lebenswichtigen Öllieferungen in Frage stellte.

Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion stand Japan vor dem Dilemma, seine Verpflichtungen aus dem Antikominternpakt (1936) und Dreimächtepakt (1940) durch Eintritt in den Krieg gegen die UdSSR zu erfüllen, wie Hitler sich das erhofft hatte, oder aber seinen eigenen strategischen Interessen zu folgen, die ganz anders gelagert waren. Japan hatte schon am 13.4.1941 einen Neutralitätspakt mit der Sowjetunion geschlossen und hielt auch nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR daran fest.

Trotzdem waren die strategischen Notwendigkeiten nicht so zwingend, dass sie den persönlichen politischen Entscheidungsspielraum quasi auf null reduzierten. So argumentiert die Gegenseite unter den Experten, dass die herbeigeführten „Zwänge“ selbst wieder auf vergangenen Entscheidungen beruhten und der Kaiser bis zum Schluss das letzte Wort hatte (siehe auch die Kapitulation). Mi der auch öffentlich propagierten imperialistischen Politik der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ nach dem Beginn des Krieges gegen China, unter der Regierung Konoe (1938), war die Befreiung Asiens von der Kolonialherrschaft der europäischen Mächte verbunden und eine gewaltsame Lösung dieses Unrechts im Sinne der Japaner intendiert, d.h. mit dem Ziel einer japanischen Vorherrschaft. Dies konnte die USA nicht in ihrem Isolationismus belassen. Der Angriff auf Pearl Harbor erscheint somit als notwendige Konsequenz einer seit längerem eingeleiteten, weil gewollten imperialistischen Großmachtpolitik.

Die Tatsache der heftigen Auseinandersetzung in der politisch-militärischen Führung Japans zeigt ja gerade, dass von Zwängen, die einem Automatismus nahekämen, schon deshalb nicht die Rede sein kann. Die Entscheidung für den Krieg gegen die USA war somit die letzte Etappe in einem Tauziehen zwischen Politik und Militär in Japan, bei dem verantwortliche Entscheidungen getroffen wurden.

Welche Rolle spielte dabei der Kaiser? Nach der Meiji-Verfassung war er oberste politische und militärische Autorität. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte setzte er die militärische Führung ein und war schon von daher für das Kriegsgeschehen unmittelbar mitverantwortlich, d.h., auch für Kriegsverbrechen, an denen er zwar nicht ursächlich (durch Befehl o.ä.) schuldig war, die er im Nachhinein aber durch Billigung de facto rechtfertigte. Im Falle der Eroberung von Nanking steht sogar im Raum, dass Hirohito durch eine persönliche „Note“ vom 5.8.1937 die Missachtung des internationalen Rechts angeordnet habe (alle Gefangenen töten)[3], in jedem Fall geschah dies wohl aber durch den Oberbefehlshaber der japanischen Truppen vor Ort, Prinz Asaka, dem Onkel des Kaisers, bei der Eroberung Nankings.[4] Im Übrigen war das Hauptquartier des Generalstabs am 20.11.1937 im Kaiserpalast eingerichtet worden, sodass ein ständiger Kontakt zum Kaiser bestand.[5]

Hinsichtlich der Entscheidung 1941 geben die Aufzeichnungen des Obersten Siegelbewahrers des Kaisers, Kōichi Kido, Auskunft, der als persönlicher Vertrauter des Kaisers eine wichtige Schlüsselstellung in der Hierarchie zwischen Kaiser und Kronrat, politischer und militärischer Führung einnahm. Die Aufzeichnungen in seinem Amtstagebuch zeigen ihn als hervorragenden Kenner der Lage und einen Vermittler, der gleichwohl auch seine eigene Meinung vertrat.[6]

Im Juli 1941 kam es zu einer Regierungskrise, da Premier Konoe und Außenminister Matsuoka uneins über die weitere Politik gegenüber den USA waren. Konoe vertrat die Position, Gespräche mit den USA weiterzuführen, die deren relative Neutralität bis auf Weiteres zumindest verlängert hätten. Dafür mussten aber Kompromisse eingegangen werden. Mitte Juli bot Konoe den Rücktritt des Kabinetts an, nachdem Matsuoka erklärt hatte, nicht mehr weiter dieser Regierung angehören zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt Fand er jedoch noch die Unterstützung durch das Militär, die in ihm einen unverzichtbaren weil allseits anerkannten politischen Führer sahen. (17.7., S. 118). Woraufhin ihn der Kaiser mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragte.

Am 31.7. erklärte der Kaiser gegenüber Kido, er sei gegen einen Krieg mit den USA und sprach sich auch gegen den Dreibund mit Deutschland und Italien aus, der die japanisch-amerikanischen Beziehungen belaste. Als Grund für diese Ansicht gab es die Abhängigkeit von den amerikanischen Ölimporten an. Im Kriegsfalle habe Japan nur Reserven für anderthalb Jahre. Kido wandte sich gegenüber dem Kaiser gegen Einschätzungen, auch aus militärischen Kreisen (Admiral Nagano), die einen solchen Krieg für nicht gewinnbar hielten. (31.7.1941, S. 118f.). Konoe trat jedoch, wie zu diesem Zeitpunkt auch der Kaiser, für den diplomatischen Weg gegenüber Washington ein. Am 2.8. kommunizierte Konoe Kido, dass sich die Position der Militärs in dieser Frage verhärtete und dass dies, falls es zum Konflikt zwischen Militärs und Regierung käme, den Rücktritt der letzteren zur Folge haben würde. (S. 120). Am 7.8. legte Kido Konoe das Dilemma dar, dass die notwendige Ölversorgung nur über die holländischen Ölfelder (Niederländisch-Indien, heute Indonesien) gesichert werden könne, sprich: durch eine japanische Eroberung, dies die USA aber zum Kriegseintritt führen würde, der unter den gegebenen Umständen nicht gewonnen werden könne. Japan müsse also Zeit gewinnen (zehn Jahre), um sich für einen Krieg mit den USA zu rüsten. (S. 120f.).

Am 6.9. riet Kido dem Kaiser, bei der bevorstehenden Ratssitzung unter Anwesenheit Hirohitos, die  Militärs im Hinblick auf einen notwendigen diplomatischen Erfolg zu warnen (d.h. diesen nicht zu gefährden sondern vielmehr zu unterstützen). Am 11.9. erfuhr Kido jedoch vom Kriegsminister Tojo Hideki (einem bedingungslosen Befürworter des Krieges gegen die USA) von laufenden Vorbereitungen für den Krieg gegen die USA. (Eine Entscheidung war jedoch noch nicht gefallen). Am 26.9. gab Konoe gegenüber Kido zu, dass er die Hoffnung verloren habe und die Militärs sich offenbar mit ihrem Plan eines Angriff auf die USA am 15.10. durchsetzten würden. Er denke deswegen über eine Rücktritt nach. (S. 122). Währenddessen gingen die Gespräche mit den USA weiter (vermutlich über den US-Botschafter in Tokio).

Am 7.10. offenbarte sich Kido eine Meinungsverschiedenheit zwischen Armee und Marine die zwar beide antiamerikanisch eingestellt waren, aber darin divergierten, dass die Marine noch auf diplomatische Erfolge setzte, die Armee hingegen nicht. Am 9.10. legte Kido einem resignierten Premier noch einmal dar, dass ein Krieg gegen die USA zum jetzigen Zeitpunkt wenig Aussichten auf Erfolg hätte. (S. 124). Stattdessen müssten die nationalen Anstrengungen darauf gerichtet werden, den „chinesischen Zwischenfall“ zu Ende zu bringen, indem die Rückzugsgebiete der Nationalchinesen mit ihrer Hauptstadt Chungking durch konzentrierte Kraftanstrengung erobert würden.

Am 13.10. legte Kido dann dem Kaiser dennoch die nun notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung eines Krieges gegen die USA dar. So sollte Deutschland dazu gebracht werden, sich am Krieg gegen die USA zu beteiligen und keinesfalls Separatfrieden mit Großbritannien oder gar der Sowjetunion schließen. (S. 124f.). Bei letzterem zeigt sich, wie wenig Kido Hitlers Ziele kannte, in seiner Einschätzung hinsichtlich eines Kriegseintritts gegen die USA lag er dagegen richtig.

Am 15.10. spitzte Kriegsminister Tojo den Konflikt mit Premier Konoe zu, indem er erklärte, entweder Konoe trete zurück oder das ganze Kabinett täte es. (S. 125). Am 17.10. riet Kido dem Kaiser, nur eine Regierung unter Tojo Hideki könne die Vertiefung der Spaltung zwischen militärischer und politischer Führung verhindern. (S. 126), wobei er seltsamerweise meinte, Tojo würde als Regierungschef einen überstürzten Krieg verhindern (20.10., S. 129). Zwischen dem 5. und 19.11. wurden  die Kriegsvorbereitungen intensiviert und am 19.11. erfuhr Kido vom Kaiser, dass die Gespräche mit den USA es wahrscheinlich machten, dass „bis zum Monatsende mit dem Ausbruch des Krieges mit den USA zu rechnen sei.“ (S. 129).

Am 26.11. äußerte Hirohito gegenüber Kido sein Bedauern, dass sich die Lage in dem genannten Sinne entwickelte, und dass jetzt eine endgültige Entscheidung anstünde. Um seinen Rat befragt, erklärte Kido im nötigen zurückhaltenden Ton, der Kaiser möge die Entscheidung nach der Besprechung im Rat in voller Überzeugung, ohne einen Zweifel, treffen.

Bei der Sitzung des Kronrats am 29.11. stellte Fürst Konoe fest, dass die diplomatischen Bemühungen endgültig gescheitert seien. Gleichwohl entstand im Kronrat keine radikale Kriegsstimmung. Am 30.11. äußerte der Bruder Hirohitos sogar noch Bedenken gegen den Krieg von Seiten der Marine. Die Marineführung war jedoch gegenteiliger Meinung und Hirohito gab dem Premier und Kriegsminister Tojo am selben Tag den Befehl zur Vorbereitung der Kriegshandlungen. Am folgenden Tag, dem 1.12., fiel die offizielle Entscheidung dafür im Großen Rat (Regierung und Kaiser). (S. 131-133).

Die Darstellung Kidos lässt keinen Zweifel daran, dass die Entscheidung für den Krieg durch den Kaiser in freier Entscheidung getroffen wurde.

W. Geiger, 9.9.2019

 

Siehe auch:

Wolfgang Geiger: Ent-Schuldigung. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan, in: Hessische Lehrerzeitung 3/2015, S. 10-11, >Download des Heftes.

10-9-2019 - Wird fortgesetzt...

 

[1] Cf. Reinhard Zöllner: Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart. Von 1800 bis zur Gegenwart. Paderborn u.a.o. (Schöningh UTB), S. 387.

[2] Sir William Flood Webb: “Introduction”, in: David Bergamini: Japan’s Imperial Conspiracy. New York 1971, Bd. 1, S. X. Zit. nach: Peter Wetzler: „Kaiser Hirohito und der Krieg im Pazifik“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 37, 1989, H. 4, S. 611. >online

[3] Cf. >Wikipedia: Asaka unter Berufung auf japanische Quellen.

[4] Cf. Francis Pike: Hirohito’s War. The Pacific War 1941-1945. London/New York (Bloomsbury) 2016, S. 168; Herbert P. Bix: War Responsibility and Historical Memory: Hirohito’s Apparition, in: The Asia-Pacific Journal/Japan Focus, Vol. 6, Issue 5, p. 5. >online

[5] Noriko Kawamura: Emperor Hirohito and the Pacific War. Seattle/London (Univ. of Washington Press) 2015, S. 82.

[6] Cf. Extracts from the Diary of Marquis Koichi Kido, in: Donald M. Goldstein / Katherine V. Dillon (Hg.): The Pacific War Papers: Japanese documents of World War II. Washington D.C. (Potomac Books / © Prange Enteprises, NY) 2004, S. 188-134. Die folgenden Angaben beziehen sich hierauf.