Aufgrund der verlorenen Originale von Marinos von Tyros (siehe dazu auf Geographie 1) und der nur spärlichen sonstigen Angaben bei Ptolemäus bleibt seine Datenerfassung unklar der durch die Fehlerkorrektur lokalisierten Orte erstaunt jedoch. Die meisten topographischen Lokalisierungen verweisen auf später nachgewiesene und heute noch existierende Orte und/oder auf archäologisch nachgewiesene Siedlungen. Viele heutige Städte hätten damit jedoch eine viel weiter in die Vergangenheit zurückreichende Siedlungskontinuität als die urkundlich überlieferten oder sogar archäologisch bislang gesicherten Daten, z.B. auch Leipzig oder Dresden.
Bei den Ortsangaben des Ptolemäus handelt sich also um reale “Städte” (poleis), was auch immer dieser Begriff für die damalige Zeit bedeuten mag, und nicht um Fantasieorte. Vielleicht waren es größere befestigte Siedlungen, die die Römer oppida (Sing. oppidum) nannten, insbesondere bei den Kelten. Die rigorose geodätische Erfassung der Orte lässt jedoch auf ein weitaus stärkeres Durchdringen der Germania Magna durch die Römer vermuten als bisher angenommen, auch nach der Varusschlacht 9 n. Chr. und dem Abbruch des Eroberungsversuches bis zur Elbe 16 n. Chr. Römische Schiffsreisen übers Meer und die Flüsse aufwärts sind aus diesem Zusammenhang bekannt, von daher vielleicht auch der relativ genaue Verlauf der Elbe bei Ptolemäus, während der Rhein im doppelten Sinne des Wortes “links liegen” gelassen wurde. Nach Ptolemäus’ Angaben sowie aufgrund der systematischen Verzerrungen in insgesamt 12 Gruppen für den Raum der Germania Magna verfuhren römische Feldvermesser, die militärische Expeditionen oder v.a. Handelsreisen begleiteten, oder aber Händler selbst, nach dem Prinzip, dass für einige wichtige topographische Punkte eine Lokalisierung mit astronomischen Mitteln erfolgte (die Messung des Breitengrades war kein Problem, die , die Kohärenz des SystemsPositionierung nach dem Längengrad dagegen sehr schwierig) und dann andere Orte auf diese jeweiligen Hauptorte bezogen wurden. Dafür wurden Itinerarien erstellt (Reisewegsbeschreibungen) (vgl. Kleineberg et al., op. cit., S. 6, 22).
“Wichtige Handelswege waren der Hellweg, der auch militärisch genutzt wurde, und die sog. Bernsteinstraße. So berichtet Plinius (Nat. hist. XXXVII, 45) von einem römischen ritter (eques), der zur Zeit Neros vom pannonischen Carnuntum an die Küste Germaniens gereist ist, um große Mengen an Bernstein zu erwerben. Da Plinius in diesem Zusammenhang von commercia (“Handelsplätzen”) spricht, die jener römische Ritter besucht habe, deutet dies auf einen regelmäßigen Handelsverkehr hin.” (a.a.O., S.23).
Das relativ dichte Netz von Siedlungen nach Ptolemäus, das die obige Karte nicht im Detail wiedergibt, vermittelt einen ganz anderen Eindruck von Germanien als die bekannten Darstellungen bei Tacitus. Schon Pomponius Mela (siehe auf Geographie 1) schrieb in seiner Weltbeschreibung 44 n. Chr.:
“[26] Seine Bewohner sind ungefüge an Geist und Körper. Ihrer angeborenen Wildheit entsprechend üben sie beides auf das eifrigste: ihren Mut durch Kampf und ihren Körper durch die Gewöhnung an Strapazen, insbesondere an Kälte. Nackt bleiben sie, bis sie mannbar sind, und ihre Kindheit dauert sehr lange. Die Männer bekleiden sich nur mit kurzen Umhängen oder Baumrinde, mag der Winter noch so hart sein. Im Schwimmen zeigen sie nicht nur Ausdauer, sondern auch Eifer. [...] [28] [...] So rauh und unzivilisiert ist ihre Lebensweise, daß sie sogar rohes Fleisch essen, entweder frisches oder aber solches, das sie, wenn es direkt in der Haut der wilden und zahmen Tiere gefroren ist, mit Händen und Füßen bearbeitet und so wieder genießbar gemacht haben. [29] Das Land selbst ist wegen der vielen Flüsse kaum gangbar, durch die vielen Gebirge rauh und zum größten Teil durch Wälder und Sümpfe unwegsam.” (Pomponius Mela: Kreuzfahrt durch die Alte Welt. Zweisprachige Ausgabe von Kai Brodersen, Darmstadt (WBG) 1994, S. 151 - Buch III).
Tacitus schrieb dann Anfang des 2. Jh.s n. Chr.:
“5. Das Land zeigt zwar im einzelnen einige Unterschiede; doch im ganzen mach es mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck. [...] 16. Daß die Völkerschaften der Germanen keine Städte bewohnen, ist hinreichend bekannt, ja daß sie nicht einmal zusammenhängende Siedlungen dulden. Sie hausen einzeln und gesondert, gerade wie ein Quell, eine Fläche, ein Gehölz ihnen zusagt. Ihre Dörfer legen sie nicht in unserer Weise an, daß die Gebäude verbunden sind und aneinanderstoßen: jeder umgibt sein Haus mit freiem Raum, sei es zum Schutz gegen Feuersgefahr, sei es aus Unkenntnis im Bauen. Nicht einmal Bruchsteine oder Ziegel sind bei ihnen im Gebrauch; zu allem verwenden sie unbehauenes Holz, ohne auf ein gefälliges oder freundliches Aussehen zu achten. Einige Flächen bestreichen sie recht sorgfältig mit einer so blendendweißen Erde, daß es wie Bemalung und farbiges Linienwerk aussieht. Sie schachten auch oft im Erdboden Gruben aus und bedecken sie mit reichlich Dung, als Zuflucht für den Winter und als Fruchtspeicher. Derartige Räume schwädhen nämlich die Wirkung der strengen Kälte, und wenn einmal der Feind kommt, dann verwüstet er nur, was offen daliegt; doch das Verborgene und Vergrabene bemerkt er nicht, oder es entgeht ihm deshalb, weil er erst danach suchen müßte.” (Tacitus: Germania, Stuttgart (Reclam) 1971, S. 5, 13f.)
Vgl. die online verfügbare zweisprachige Ausgabe der Germania von Tacitus: hier.
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